Halbjahresbilanz

HalbjahresbilanzEin halbes Jahr nun schon in Rente!
Und? Fließt sie ruhiger, die Zeit?
Vermehrten sich die Glücksmomente,
seitdem die Arbeit nicht mehr schreit?

Frühmorgens reißt kein Radiowecker
mich aus des Schlummers schönster Stund –
dem Störenfried zog ich den Stecker
und stopfte ihm den Quasselmund.

Erwacht, dreh ich mich noch im Kissen
dreimal, bevor ich ihm entwisch,
und dreimal länger kau den Bissen
gemütlich ich am Frühstückstisch.

Und auch die andern Rituale
verlaufen nun mit mehr Bedacht –
warum auch, dass mit einem Male
dem Stuhlgang man noch Beine macht?

Da mich Termine nicht mehr drücken
und keine Akten ich mehr wälz,
füll ich mit Muße mir die Lücken –
doch nicht wie auf dem Bärenpelz!

Gemächlich, doch mit festem Rahmen,
in den ‘ne neue Pflicht gespannt:
Geschäfte, die zu kurz stets kamen,
die nehm ich endlich in die Hand.

Auf Vordermann die Bude bringen,
die Patina längst angesetzt,
gehört mit Vorrang zu den Dingen,
die ich nun treibe – ungehetzt.

Doch was ich tue auch und lasse,
es ist von keinem Zwang diktiert.
Der Freiheit ganzes Ausmaß fasse
ich jetzt erst, alt und pensioniert.*

(*Dies Wörtchen dient dazu, zu spalten
Bürovolk von Beamtenschaft.
Man soll es nicht für möglich halten,
dass dieser Dünkel noch in Kraft!)

Am Sonntag geh ich Flieder gucken
entspannt am Osterbekkanal.
Der Montag kann mich nicht mehr jucken:
Zurück zum Job? „Es war einmal …“

Das Wochenend vom alten Schlage,
das ständig ich herbeigesehnt,
es hat für mich die beiden Tage
auf sieben nunmehr ausgedehnt.

Jetzt hör ich abends öfter singen
die Amsel oder wer es sei
und zwitschernd um ihr Dasein ringen
ungleich dem Rentner: vogelfrei.

Derweil im schönsten Nest ich hocke
aus hartem, wetterfestem Stein
wie unter einer Käseglocke
und schlürf gebratne Tauben ein.

Ich könnte wohl die Welt genießen
so unbeschwert wie einst als Kind –
würd auch so zäh wie diesem fließen
die Zeit, die mir wie Schaum zerrinnt!

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