Landgewinn

So frühlingshaft in voller Blüte,
wie prächtig es der Brache steht!
Dies Ackerland von mindrer Güte
prangt schöner als ein Blumenbeet!

Hat edle Sorten nicht zu bieten,
nicht Veilchen und Vergissmeinnicht,
bis auf die stolzen Margeriten,
der Sonne gleich von Angesicht.

Auch leuchten lila Trichterwinden
aus niedrigem Gebüsch hervor,
doch längst so zahlreich nicht zu finden
wie Gelb an Geld das Hasenohr.

Und bis zum Bauch in diesem wilden
und wuchernden Gemüsefeld
ein Tier, das an dem süßen, milden
sein Eselsmäulchen schadlos hält.

Und so beschäftigt mit dem Kauen
der Gräser, die es aufgerafft,
versäumt es glatt, sich umzuschauen
nach seiner Wiesennachbarschaft.

Ein Pferdchen grast nur wenig weiter
und rupft, was ihm der Grund beschert,
das auch nicht fragt nach Ross und Reiter
und weltvergessen sich ernährt.

Doch finden sich zu jeder Stunde
noch viele andre Gäste ein –
da hüpfen Spatzen ihre Runde
und flattern fröhlich Papagein.

Mein letztes Hemd würd ich verwetten,
das sei des Eisbergs Spitze nur
und in dem Wust von Kraut und Kletten
auch manchen Käfers feine Spur.

Botanik-Leistungskurs? Von wegen!
Ein Erbe der Erfahrungswelt –
wenn wir uns auf die Wiese legen,
schon bald ein Kribbeln uns befällt.

Nun, ob Insekten, Vögel, Pferde,
selbst Erstre in Millionenzahl,
sie fressen dieses Stückchen Erde
beim größten Appetit nicht kahl.

Doch locker leisten das die fiesen
gefräß’gen Raupen dann und wann,
wie ihre Gier sie grad bewiesen
im Schwester-Grundstück nebenan.

Da schlugen ihre Eisenzähne
sie in den Boden noch und noch,
bis diese blühende Domäne
verwandelt in ein Baggerloch.

Das Weitre können wir uns denken:
Die dicken Brummer mit Zement,
die Kräne, wie sie Lasten schwenken –
und dann der Innungs-Präsident.

„Auch wenn heut kaum noch Lücken klaffen
in unsren schönen Häuserreihn,
wir werden weiter Wohnraum schaffen
wie diese Siedlung, die wir weihn.

Und die bald leben hier und wohnen
als gute Nachbarn Flur an Flur,
sie werden spüren, dass sich lohnen
Komfort und Umwelttechnik pur.“

Applaus, Applaus. Der wilden Weide,
nur einen Steinwurf weiter weg,
tut der Investor nichts zuleide,
und schert ihn sonst auch jeder Dreck.

Erst will er mal sein Schnäpschen kippen
auf dieses neue Wohngebiet,
bevor er wieder seine Strippen
für andere Projekte zieht.

Sein Koma ist von kurzer Dauer.
Kaum ist er wieder bei Verstand,
auch wieder Häusle-, Städtebauer
mit Lust auf Bauerwartungsland.

Und richtet bald schon die Pupille
begehrlich auf der Brache Rest,
wobei die Frage: Wie viel Mille?
sich letztlich immer klären lässt.

Denn herrlich blühn da die Renditen
dem flotten Macher in den Schoß.
Die Käfer und die Margeriten –
Millionen werden obdachlos.