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Emily

Was braucht es eines Virus Wüten,
dass seines Heims man sich erfreu?
Man kann auch seine Stube hüten
aus angeborner Menschenscheu.

Doch von der Welt nicht abgeschlossen,
die blühend draußen sich erstreckt,
nicht wie in Bernstein eingegossen
in Totenstarre ein Insekt.

Kann man nicht lebhaft Anteil nehmen
an allem, was in ihr geschieht,
indem, die Augen zu beschämen,
man lieber mit dem Herzen sieht?

Wird nicht der Halm, der durch die Spalten
des Pflasters an die Sonne drängt,
die Würde solcherart behalten
als Wesen, das am Leben hängt?

Die Amsel, die an frost’gen Tagen
sich nur von Fastenspeise nährt,
wird sonst sie wer noch danach fragen,
ob ihr Gesang einst wiederkehrt?

Jetzt heißt’s indes das Wort erteilen,
ihr, die der Scholle nicht entkam
und ihre ungekrönten Zeilen
ins Grab, ins frühe, mit sich nahm!

Sie sind nicht lange stumm geblieben,
in gute Erde eingesät;
der Frühling hat sie ausgetrieben,
der Wind sie übers Land geweht!

To make a prairie it takes a clover and one bee,
One clover, and a bee,
And revery.
The revery alone will do,
If bees are few.

Spätes Störfeuer

Zu Haus. Die Arbeit überstanden.
Den Wagen sicher wo geparkt.
Im Abendrot die Wellen branden.
Die Lichter aus im Supermarkt.

Zwei, drei verschwommene Gestalten
noch draußen vor dem Strandlokal.
Die linden Lüfte jäh erkalten.
Der erste Stern blinkt auf einmal.

Die Avenida ist befriedet,
verhallt der Raser Kriegsgeschrei –
die rechte Zeit, dass jemand schmiedet
den Plan fürs ew’ge Autofrei.

Das soll indessen mir nicht gelten
für diese Glocken vis-à-vis –
wann immer sie metallisch bellten,
man Engelsflügel ihnen lieh.

Sie hängen träge in den Balken
und regungslos von früh bis spät,
um kurz nur manchmal durchzuwalken
die Christenohren zum Gebet.

Den Klöppel haben sie für heute
zum letzten Male schon gerührt
und mit dem Angelus-Geläute
der Kirche Schafe zugeführt.

Jetzt funkelt, Gott auch nachts zu preisen,
überm Portal grad angebracht,
ein Augenpaar aus Glas und Eisen,
das wie ein Cherub es bewacht.

Verkörpert da die reine Stille,
in wohlig-warmes Licht gehüllt,
das seine Höhle und Pupille
mit flüss’gem Bernsteinglanz erfüllt.

Und bis der erste Gockel krähte,
wär dieser Frieden wohl perfekt –
hätt seine Liebe nicht, die späte,
fürs Hämmern jemand noch entdeckt!

Zeitaufschreibung

ZeitaufschreibungAm Abend zur gewohnten Zeit.
Ich knie vor den Musen nieder,
das Trankopfer vollzugsbereit,
wie sie es fordern immer wieder.

Gewähren mir im Gegenzug,
dass meine Verse ich schon finde
nach flüchtigem Gedankenflug
wie’n Specht den Wurm in seiner Rinde.

Die Stunden rinnen aus dem Glas,
indem sie auch die Buddel leeren,
und machen dennoch mir den Spaß,
die Strophen mählich zu vermehren.

Bemerkt, dass ich von Kunst nicht red,
nicht von der Weisheit tiefem Bronnen –
bloß, dass hier Zeit geschrieben steht,
in Tintenblau und -schwarz geronnen.

Ein Hobby ist’s, ‘ne Spielerei,
wie andre am Computer hocken,
‘ne Tüte Erdnussflips dabei,
und manche Kurzweil ihm entlocken.

Das Spiel indes, das mich erfreut
in langen abendlichen Stunden,
beginnt genauso stets erneut,
doch ist beendet nicht verschwunden.

Die Wörter ziehen ihre Spur
wie Adern übern Leib der Seiten,
wie Furchen auf beschneiter Flur,
die erdig ihr das Weiß bestreiten.

Und greif ich auch zu neuem Blatt,
ihm andre Linien einzupressen –
das Alte bleibt an seiner Statt,
verblassend, aber unvergessen.

Denn was ich wohlbedacht gefüllt
mit Zeilen von beredten Händen,
wird nicht zerrissen und zerknüllt,
wie Wurstpapier im Müll zu enden.

Und heb ich’s auf, gewiss nicht weil
es von besondrem Werte wäre,
so grob behaun vom Bardenbeil
macht es der Kunst nur wenig Ehre.

Nein, eher gilt’s mir als Beleg,
als Auszug aus den Depositen
des Kontos, das zu führen pfleg
für Chronos ich ohne Renditen.

Und wie es schleichend sich erschöpft,
füll ich’s geduldig mit Gedichten –
die Zeit, die mir schon abgeknöpft,
kann ich poetisch somit sichten.

Wie ein Insekt, das unverwest
im Leib des Bernsteins eingeschlossen,
so in die Zeilen, die ihr lest,
ist meine Lebensfrist geflossen.

Drum ist sie ja nicht wen’ger weg –
doch irgendwie auch nicht verloren.
Man stirbt. Und nach dem ersten Schreck
wird in der Kunst man neu geboren!

Meeresstille

Meeresstille und keinerlei FahrtMal wieder einer dieser Tage,
an denen sich kein Lüftchen regt
und statt an steifen Windes Plage
man schwer an seiner Flaute trägt.

Wenn müßig wir am Strand spazieren,
indes das Auge weithin schweift,
das Leuchtturmlicht zu imitieren,
das flüchtig übers Wasser streift …

Erwarten wir von dieser Masse
polierte Glätte nicht, Parkett,
und dass sie faltenlos umfasse
die Fluten wie ein Wasserbett …

Indem sie diese fest versiegelt
mit einer künstlich-steifen Haut,
statt dass sie brodelnd widerspiegelt
das Leben, das darunter braut.

Wir wolln sie in Bewegung sehen,
im Schwung der Hüften jederzeit,
und wenn die Welln auch hoch nicht gehen,
sie lüften doch ihr nasses Kleid.

Doch Neptun hatte andre Pläne,
für die er Äolus gewann,
und setzte heut ein Meer in Szene,
das förmlich zu Gelee gerann.

Reglos am Horizont Konturen,
denen wohl gar der Einschluss droht –
Objekte auf des Bernsteins Spuren:
Ein Segel- und ein Fischerboot.