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Gut gelaufen

Ich hab das große Los gezogen.
Europa ist mein Vaterland.
Auf dieser Erde Waag‘ gewogen
des Wohlergehens Unterpfand.

Von seiner Fülle stets zu zehren,
das Schicksal gnädig mir beschied,
solange meine Jahre währen
vom Wiegen- bis zum Klagelied.

Der Krieg war eben erst zu Ende,
als ich auf festen Füßen stand
und die zerschossnen Häuserwände
mehr seltsam als bedrohlich fand.

Die Kinderseele, voll Vertrauen,
dass da nichts Böses hintersteckt,
sie ahnte wohl schon, dass mit Bauen
Ruinen man zum Leben weckt.

Und während in den weitren Jahren
sie wuchs zugleich mit der Statur,
vermochte stets sie zu gewahren
den Fortschritt unsrer Baukultur.

Geschlossen bald, verheilt die Wunden,
geschlagen noch vor ihrer Zeit,
und Land und Leut, so wüst geschunden,
im Schauraum der Vergangenheit.

Ob bar gekauft, ob abzuzahlen:
Ein Kühlschrank wurde angeschafft
und, beste Bohnen sich zu mahlen,
‘ne Mühle mit Elektro-Kraft.

Schon diente auch die Waschmaschine
der Hausfrau als Erleichterung
und schenkte Schlüpfer und Gardine
die Sauberkeit mit Trommelschwung.

Die Kneipenglotze, meist zum Zwecke
der kollektiven Fußballschau,
sie füllte bald die Zimmerecke
des Bürgers mit bewegtem Grau.

Und dann, der Gipfel der Begierde
bei diesem Tanz ums Goldne Kalb,
ein Auto als Laternenzierde,
geteilt mit Oma halb und halb.

Die Produktion auf vollen Touren,
man brauchte dringend jeden Mann.
In langen Arbeitsämterfluren
traf kaum man eine Seele an.

Na ja, den Rest könnt ihr euch denken.
Es blieb nicht immer so perfekt,
und wenn wir mal auf heute schwenken,
ist manches schauderhaft direkt.

Indes in diesem ew’gen Frieden
den Schulabschluss ich mir ersaß,
der sich mit Goten und Gepiden
noch lang in meine Träume fraß.

Der Lohn der Angst im Klassenzimmer,
speziell im Hals der Mathe-Kloß:
Zu guter Letzt ein Platz für immer
in der Behörde sichrem Schoß.

Zum Krösus kann man’s da nicht bringen,
beim Fiskus jeder Heller zählt,
doch an den wirklich nöt’gen Dingen
hat’s mir zumindest nicht gefehlt.

Gesättigt also und zufrieden
hab ich den Dienst schon längst quittiert
und hock als Rentner noch hienieden,
bis mich der Schnitter liquidiert.

Ein Leben auf der Sonnenseite.
Und falls ihr nach den Gründen grabt:
Europa, Asien, jede Breite –
der pure Zufall. Schwein gehabt!

Am Tempolimit

am-tempolimit-tamara-de-lempickaMit Riesenschritten eilten wir,
die Länder zu durchmessen
und haben Kilometer hier
und da en masse gefressen.

Von gelbem Glibber war das Glas
der Scheibe überflossen,
von breiigem Insektenaas
als treuem Fahrtgenossen.

Die Straße flog uns jauchzend zu,
nur um vorbeizurasen –
verbissen blieb der Fahrerschuh
in seinen Gasextasen.

Wir folgten stur der schwarzen Naht,
die in die Flur gezogen,
doch Felder trennend, Frucht und Saat
und goldne Weizenwogen.

Nicht mal der rüde Radarblitz,
verdonnernd uns zu blechen,
vergällte unsern Aberwitz,
Boliden auszustechen.

– Hast du die Burg da grad gesehn?
Da oben die Ruine?
– Ich glaub, das war schon Nummer zehn,
die werden zur Routine.

Toledo so und so Madrid –
Paläste, Kathedralen.
Pamplona nimmt und Tours man mit,
die gleichfalls sich empfahlen.

Rouen verging uns wie im Flug
und Lille, Luik und Leiden –
das Motto, das uns heimwärts trug,
war „Kurz mal schaun und scheiden“.

Hat Regen unsern Lauf gehemmt,
die Finsternis der Nächte?
Als ob wer Kilometer schlemmt
an Sättigung je dächte!

Europa, ach, dies Wonneweib,
Phöniziens Strand entrissen,
ich streifte flüchtig seinen Leib
optischer Leckerbissen.

Doch was ich hastig nur erhascht,
vom Zufall aufgefangen,
hat mich so freudig überrascht,
um mehr noch zu verlangen.

Die Schöne hast die Lust geschürt,
sie stiller anzubeten –
der Schwager, der den Knüppel rührt,
soll künftig kürzer treten!

Ein Geständnis

Ein GeständnisIch weiß nicht recht, ob ich’s erzählen soll –
Egal, es will ja offensichtlich raus:
Die xx Jahre sind soeben voll,
jetzt bin ich’s wirklich, Freunde: Altes Haus!

Könnt ich’s wie weiland Meister Rembrandt halten
und selbst von Zeit zu Zeit mich porträtiern,
ich schüf euch einen veritablen Alten,
den man nicht klonen will und nicht kopiern.

Doch da mir seine schöne Kunst versagt,
vertrau ich statt der Leinwand dem Papier.
Mein erster Pinselstrich: „Ich bin betagt“,
mein zweiter: Cannae, Bramsche, Abukir.

(Ein Fußnotvers hier für die 4. Zeile:
Die Schlachtenorte sind nur angeführt,
das Ausmaß zu verklickern jener Keile,
mit denen mich die Jahre demoliert.)

Der Fluss der Zeit geht immer abwärts nur,
nur immer fort vom fröhlich-frischen Quell –
so auch das Leben: Hin und nicht retour,
und wie der Wildbach strömt, so reißend schnell!

Da seht das Kerlchen mit der kurzen Hose,
die erste Armbanduhr am Handgelenk!
Wem stand ich vor so vielen Jahren Pose?
Als wär es gestern, wenn ich es bedenk.

Toi, qu’as-tu fait? Was hab ich draus gemacht ?
Ist im Vergangenen ein Sinn zu sehn?
Oder, banal, ein Wandel nur der Tracht,
mehr Stoff, um auch die Wade zu umwehn?

Ein bisschen Sinn und jede Menge Mode –
beschämt und resigniert gesteh ich’s ein ,
und doch, käm unversehens ich zu Tode,
mein letztes Wort gehörte Wittgenstein.

(Dem Kritiker tu hier ich’s helfend kund,
damit er lange Suche sich erspar:
Der letzte Laut aus jenes Weisen Mund:
“Mein Leben, dass ihr’s wisst, war wunderbar.“)

Paläste schuf ich nicht als Monumente,
mich zu verewigen in Stahl und Stein,
es mangelten mir selbst ja die Talente,
vom Mietling mich zum Häusler zu befrein.

Auch als Entdecker kann man mich nicht feiern,
was ich bereist, ist alles längst kartiert.
Und Göttin Gäa gänzlich zu entschleiern,
hab ich Europas wegen mich geniert.

Bleibt mir als Wissenschaftler Ruf und Ruhm?
Hab kosmisch nicht geforscht, nicht atomar.
Mein kümmerliches geist’ges Eigentum
weiß nichts von Ohm, von Torr und Millibar.

Gewiss hab ich Meriten als Artist?
Genie, begnadet, vor der Staffelei?
Ach, wenn die Kunst man nur am Pinsel misst,
tanz ich auch hier ganz kläglich aus der Reih.

Was ich der Nachwelt freundlich überlasse,
sind Nachtgedanken, aufs Papier geblaut,
Gedanken, die ich in Gedichte fasse,
dieweil der Mond mir durch die Finger schaut.

Die meisten schätzen so was nur gering
und nicht als eines Mannes würd’ge Tat,
ihr Beifall gilt allein dem großen Ding,
dem Bau, der Transaktion im Weltformat.

Rekorde liebt der Mensch, Superlative
Und was sich brüstet mit dem Wörtchen neu,
das Kleine aber eher ich, Naive,
der ich seit je die große Glocke scheu.

Man betet noch die falschen Götter an,
die Herren Eitel, Nimm und Suchestreit,
obwohl durch sie nur eines man gewann –
ach, eine Erde, die zum Himmel schreit.

Mir reichen die bescheidenen Meriten
der Musenkunst, die nicht den Ehrgeiz hat,
stets groß mit größer noch zu überbieten,
nie richtig hungrig und nie richtig satt.

Sei’s, dass man ihn missachte, meinen Sang,
sei’s, dass man Plunder ihn, Geplapper heiß!
Für mich bezeugt er jenen starken Drang,
dass ich dem Leben dankbar mich erweis.

Es ist ja immer schon mein Wunsch gewesen,
dass etwas Schönes ich der Welt verehr.
Hier kriegt ihr einen Teil davon zu lesen –
gereicht hat’s nun mal leider nicht zu mehr.

Wie „As ik kan“ der alte Meister spricht,
wenn er ein unerhörtes Werk vollbracht.
Die Verse, liebt sie oder liebt sie nicht:
Mir haben sie zumindest Spaß gemacht.

Wieder Streit

Wieder StreitIst erst die Liebe mal erkaltet,
entflammt sie meistens Bitterkeit,
und im verstörten Herzen waltet
die Asche einer süß`ren Zeit.

Doch die vulkanisch einst gewesen,
noch immer so von Funken schwirrt,
dass manche Frau dadurch zum Besen
und mancher Kerl zum Ekel wird.

Ihr ahnt schon, dass ich diese Zeilen
nicht ohne Not dahingeschmiert
und dass Erlebnisse dran feilen,
die jüngst mir selber erst passiert.

Doch ehe wir nun weiterwandeln,
erbitt ich eure Diskretion –
denn grad von meinen Nachbarn handeln
die Verse hier in dem Sermon.

O.k., ihr wollt darüber schweigen:
Ich danke euch und fahre fort.
Um ihre Meinung sich zu geigen,
falln sie beständig sich ins Wort.

Heißt: In des Weibes helles Keifen
mischt sich des Mackers Unverstand,
zu brummig, jemals zu begreifen,
was sie an ihm zu tadeln fand.

So geht das dann aus voller Lunge,
ich hab nicht auf die Uhr geschaut,
bis endlich Müdigkeit der Zunge
ihn übermannt, sie überfraut.

Von Herzen wünsch ich ihnen Frieden,
aus Egoismus nicht zuletzt,
weil mir die Gabe nicht beschieden,
zu grübeln, wenn es faucht und fetzt.

Im Übrigen würd ich beschwören,
dass wenn`s um Leidenschaften geht,
der Sinn genau herauszuhören,
auch wenn das Wort man nicht versteht.

Dies scheint mir sicher zu beweisen,
dass nicht rein geografisch nur
Europa als geeint zu preisen –
nein, auch als eine Streitkultur.

Frank und frei

Von der Leber wegSei es im Urlaub, sei’s zu Hause,
da gibt es keinen Unterschied –
das ganze Land ‘ne Dichterklause,
in die man sich zum Reimen flieht!

Kein Schnüffler pocht dir an die Pforte,
dein stilles Schaffen zu vergälln,
kein Zensor fordert zum Rapporte
Geschriebenes, dich bloßzustelln.

Gedanken lässt man und Gefühlen
nach Gusto einfach freie Fahrt
und kann auch mal sein Mütchen kühlen,
sofern dabei die Form gewahrt.

Kein Terror mehr von Staatsorganen,
die auch den kleinsten Freiheitsdrang
in Worten ihrer Untertanen
mit Kerker ahnden lebenslang.

Kein Terror mehr von Klerikalen,
„aus Liebe“ so in Hass entflammt,
dass sie zu mörderischen Qualen
den kleinsten Widerpart verdammt.

Es ist, o saeculum, zu leben,
auch heute eine wahre Lust.
Man braucht den Griffel nur zu heben
und nimmt sich alle Welt zur Brust.

Nun ja, auch diesmal mischt sich Galle
ins Bild, das auf Europa passt:
Das Maul aufreißen könn’n nicht alle –
der halbe Globus ist ein Knast.

Echter Landgewinn

Echter LandgewinnJa, größer ist es schon geworden,
Europa, einig Vaterland.
Von Ost nach West, von Süd nach Norden
wie’n Riesenlaken ausgespannt.

Schön bunt und mit ‘ner Masse Falten,
die irgendwie da reingeknickt,
in denen hartnäckig sich halten
die Wanzen, die kein Finger zwickt.

Die meisten hocken unzufrieden
in irgendeinem Winkel rum
und hadern mit dem Los hienieden,
das ihnen kein Elysium.

‘ne Handvoll krabbelt unverdrossen
geschäftig übers Tuch dahin,
weil es der andern Blut genossen
und neue Beute schon im Sinn.

Doch jene, die man angebissen,
die liegen ausgelaugt und bleich
schon halbwegs auf dem Sterbekissen
und warten auf den Zapfenstreich.

Die Beißer gehn jetzt größre Wege,
weil es sich lohnt für ihre Gier,
denn aus dem einstigen Gehege
wurd ja ein mächtiges Revier.

Die Wächter aber, Oberwanzen,
die der Gesamtheit dienen solln,
beeifern sich, nur zuzuschanzen
den Beißern, was sie immer wolln.

Na ja, so mag es vielleicht gehen
bei dieser eklen Kreatur,
doch weil wir Menschen höher stehen,
kann der Vergleich doch hinken nur.

Nie würden wir verkommen lassen
ein Wesen unsrer eignen Art,
nur um im Großen zu verprassen,
was dieses sich vom Munde spart.

Grad in Europa der Gedanke
schlug Wurzeln schon vor langer Zeit,
dass statt des Löwen rauer Pranke
auf Erden walte Menschlichkeit.

Und dann die vielen, vielen Jahre
mit Kyrie und Requiem –
wie dass ein Christenmensch verfahre
so käferhaft mit irgendwem?

Und kommt uns doch einmal zu Ohren,
dass Groß-Europa oft bereut –
Gerüchte nur, aus Neid geboren,
von richt’gen Wanzen ausgestreut!

Auch Schafe zählen

Auch Schafe zählenEuropa ist ‘ne feine Sache,
zumindest doch von Fall zu Fall.
So hocken Jüte und Walache
jetzt friedlich ja in einem Stall.

Und können sich da frei bewegen,
nach Lust und Laune rumspaziern,
bei Sonnenschein und Sturm und Regen
und wenn die Beine fast gefriern.

Doch jene, die den Stall behüten,
die haben noch den meisten Spaß.
Sie lassen jeden Mist vergüten
sich nach des Eigners Extramaß.

Und da ja nun aus allen Landen
man emsig wandert kreuz und quer,
besagte Eigner niemals fanden
besagten Stall von Schafen leer.

Gesund ha’m längst sie sich gestoßen,
gesichert ihren goldnen Schatz,
und pofitieren nun im Großen
von ihrem größren Futterplatz.

Die Schäfchen aber wandern weiter
und suchen ihr bescheidnes Grün
am Fuße einer Hühnerleiter,
wo Frust und Bitterkeit nur blühn.

Und immer größer wird die Herde,
die um das Nötigste gebracht.
O dass doch ein Europa werde,
das nicht nur Wölfe fetter macht!

Heimspiel

HeimspielEs ist im Grunde wie zu Hause –
nicht ganz so kalt, das geb ich zu,
und zwei, drei Stunden Mittagspause
verschieben hier das Rendezvous.

Doch kann man locker sich gewöhnen
an diesen Rhythmus mittels Takt,
heißt: über Dinge nicht zu stöhnen,
die man hier anders nur verpackt.

Du brauchst was Frisches für den Magen?
Ein Supermarkt dir helfen kann.
Füll einfach deinen Einkaufswagen;
die Kasse zeigt die Rechnung an.

Du wechselst gern die Straßenseite?
Oh, Zebrastreifen dicht gesät!
Betritt sie mit des Fußes Breite,
und schon die Karawane steht.

Da ist nichts Fremdes rauszuholen:
Europa eben, eines Leibs,
vom Göttergatten Stier gestohlen
zur Freude seines Zeitvertreibs.

Bis auf die Wärmeunterschiede,
wie’s von ‘nem Körper man ja kennt –
hier sitzt am Feuer man der Schmiede,
dort fröstelnd weit davon getrennt.

Wie fröhlich hört ich gestern krähen
die Nachbarn außer Rand und Band:
Ich konnte jedes Wort verstehen –
von dem ich bloß kein Wort verstand!

Viel Meer

Viel MeerFantastisch, sich das vorzustellen,
dass man das Meer im Rücken hat –
‘s ist einer von den Wunderfällen,
der Arche gleich am Ararat.

Man muss nur auf die Karte gucken:
Europa, ohne Ende Land.
Wohin da auch die Leute spucken,
es trifft auf Humus oder Sand.

Sie können weiß der Teufel laufen,
bis ihre Sohlen abgewetzt,
und werden doch kein Wasser saufen,
das salzig ihre Lippen netzt.

Das Meer, das sie vielleicht ersehnen,
weil es nach Fernweh riecht und Tang,
mag es auch noch so weit sich dehnen,
liegt ihnen fern ein Leben lang.

Um die Kontur rings seiner Küste
kann locker man ‘ne Linie ziehn –
‘nen Strich, nichts Dünneres ich wüsste,
den die Natur uns selbst verliehn.

Da hocken, wie die Griechen sagten,
sie wie die Frösche um den Teich;
doch warn’s ein paar nur, die einst quakten,
sind’s heut noch wen’ger im Vergleich.

Ich hab das große Los gezogen
wie in der Weihnachtslotterie:
‘nen Logenplatz an Welln und Wogen –
und eine Decke übers Knie.