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Ein Regentag

Den ganzen Tag hat es gegossen
wie seit Äonen schon nicht mehr,
und wie aus prallen Schläuchen schossen
die Wassermassen kreuz und quer.

War das ein Prasseln und ein Platschen
aus diesem lecken Wolkentank,
dass in der Loggia selbst das Quatschen
fast bis zum Hals darin versank!

Setz einen Fuß mal vor die Türe
und zieh ihn schleunigst wieder weg –
der Regen (nix mit Pediküre!)
haut deiner Socke einen Fleck.

Der Innenhof mit seinen Fliesen
schwamm fingerdick in dieser Flut,
die ganz im Sinn der Expertisen:
Mehr Regen tät dem Stausee gut.

Mit diesem tröstlichen Gedanken,
dass Feld und Frucht sonst bald verdorrt,
geriet mein Rochus doch ins Wanken
auf die Beries’lung immerfort.

Ich habe einfach abgeschrieben
den Gang hinaus ins Freie heut
und bin im Trockenen geblieben,
wo man sich schließlich auch zerstreut.

Man führt ein Tässchen sich zum Munde,
indessen man ein Buch verschlingt,
und abends zur gewohnten Stunde
der Muse noch ein Ständchen bringt.

Da war sie auch schon angekommen
so treu wie Jockel auf den Pfiff,
das Abendrot noch kaum verglommen,
als ich zu Stift und Tinte griff.

Doch wie ich eben auf die Schnelle
das Erste zu Papier gebracht,
versiegt mit einem Mal die Quelle,
die meine Zeilen sichtbar macht.

Da hieß es denn im Finstern tappen
wie Blindekuh beim Kinderfest,
um irgendwo noch aufzuschnappen
mit Dusel einen Kerzenrest.

Der war aus ‘ner verstaubten Lade
am Ende denn auch exhumiert
und hat mit seinem Stummel fade
nichts als sich selbst illuminiert.

Je länger aber in der Bleibe
ich unversorgt vom Strome saß,
spürt desto stärker ich am Leibe,
wie sich die Kälte weiterfraß.

Doch eh ich jammerte und flennte
wie in des Hades Schattenreich,
fühlt irgendwie in dem Ambiente
den Dichterfürsten ich mich gleich.

Tagesnachruf

Tagesnachruf, Paul CezanneSo geht auch dieser Sonntag mir zur Neige,
da sacht verdämmernd ihm das Auge bricht.
Und ich, dass ich die letzte Stund vergeige,
pfeif aus dem Stegreif mir noch ein Gedicht.

Ein Grabgesang, der jämmerlich zu nennen,
bedenk ich, was der Scheidende mir wert.
Fagotte müssten schluchzen, Flöten flennen,
wenn so ein Duzfreund in die Grube fährt.

Die Tränen müssten kübelweise fließen,
die Wange nässend, die in Krämpfen zuckt,
und Asphodelus aus dem Herzen sprießen,
der Todestrauer blumiges Produkt.

Ein Tag? Nein, lasst mich’s in Minuten sagen:
Einsfünf beinah, wer hätte das gedacht.
Und sechzigfach Sekunden draufzuschlagen –
zur ganzen Fülle seiner Zahlenpracht!

Nur immer weg von dieser Uhr sich wenden,
dern spitze Klinge mir die Zeit zerstückt –
die Trümmer, unsichtbar, dahin zu senden,
wo Hades seine Schattensträuße pflückt.

Da heißt’s, Natur, dir für die Gnade danken,
dass Trägheit du in unser Herz gesenkt,
wie’s in des Chronos übermächt’gen Pranken
sich unverdrossen seine Zukunft denkt.

Seht mich hier fröhlich vor dem Teiche hocken,
der von der Flasche schön in Glas gefasst:
Kein Kauz-Orakel, keine Totenglocken.
Den Abgang grade wieder mal verpasst!

In vino veritas

In vino veritasSind sie denn nicht die größten Denker,
die Säufer, leidend an der Welt?
Nenn’s Römer, nenn es Cognacschwenker –
’s ist Wahrheit, was das Ding enthält.

Gefällt dir nicht, dies „Hoch die Tassen“?
Dann wirst du nie ein Philosoph.
Ein Gläschen um die Hüfte fassen –
so macht der Weisheit man den Hof.

Schon mit den ersten kurzen Schlucken
entkrampft sich der gestresste Geist.
Der Globus kann dich nicht mehr jucken,
da zu den Sternen du nun reist.

Und wenn nach Dutzenden von Zügen
in Seligkeit die Seele schwimmt,
wird sie empfindlich für die Lügen,
auf die das Leben uns getrimmt.

Benebelt kannst du klarer blicken,
beschwipst wird nüchterner dein Sinn.
Du hörst des Kosmos Uhren ticken
und gibst dem Ewigen dich hin.

Schon wieder da auf deiner Runde,
du alter Stromer, du, Trabant?
Ich grüße dich zur Abendstunde
ganz herzlich übern Becherrand.

Nie möchte den Moment ich missen,
da du erscheinst am Firmament,
dass eine Weile mir beflissen
dein Lämpchen vor der Feder brennt.

Grad will auf Poe ein Glas ich leeren,
dann nehme ich Horaz mir vor,
um bald auch Goethe so zu ehren,
der selbst auf gute Tropfen schwor!

Will auch den Bellman nicht vergessen
und nicht Villon, den Galgenstrick,
Verlaine und Steinbeck. Währenddessen
wachs ich an Weisheit weiter. Hick!

Und sollte ein Lamento singen,
das dieses Jammertal beklagt –
doch desto wen’ger will‘s gelingen,
je mehr ich „Prosit!“ schon gesagt!

So wie die Pfaffen uns benebeln
mit Engelszungenfertigkeit,
kommt mählich, den Verstand zu knebeln,
die glaubensfreie Trunkenheit.

Dann geht die ganze Weisheit schlafen
und schwitzt sich das Bouquet vom Fell,
beginnend mit dem Zähln von Schafen
und endend mit dem Weckappell.

Wird mit ‘nem Kater sie erwachen?
Da sei Dionysos davor!
Entronnen kaum des Hades Rachen,
leiht schon den Musen sie ihr Ohr.

Schon morgens würd ich gerne dichten,
sobald mir Licht ins Auge fällt.
Ein erstes Schlückchen dann? Mitnichten.
So früh es nur die Kunst entstellt.

Erst abends, dämmernd oder dunkel,
wenn schon das Kerzenflämmchen glüht,
begeistert durch des Weins Gefunkel
zum Sang sich endlich mein Gemüt.

Hat durchaus seine prakt’sche Seite,
die es zu andrer Zeit nicht hätt –
wenn glücklich mich die Muse freite,
kann ich danach sofort ins Bett.

Heute mal nicht

Heute mal nichtDie meisten haben ihre Lider
schon zugeklappt auf „Schlaffunktion“;
ich aber hocke wach hier wieder
wie ‘n Nachtportier am Telefon.

Ihr meint, ich sollte mir verknusen
so ‘n Bild, das eher irritiert?
O nein, erwart ich von den Musen
‘nen Anruf doch, der inspiriert!

Und um die Zeit mir zu vertreiben
bis zum entscheidenden Moment,
will ich schon mal in Kladde schreiben,
heißt was man so skizzieren nennt.

Jetzt haben also schon die meisten
die Lider auf „Geschlossen“ stehn,
ich aber (Rentner!) kann mir leisten,
so was wie ‘n Nachtdienst zu versehn.

Wie? Dies hätt ich mit andren Worten
gleich anfangs oben schon verfasst?
Mal gucken… muss die Stelle orten…
tatsächlich! Prima aufgepasst!

Verzeihung, kann ja mal passieren,
wenn man so viel zu Blatte bringt.
Muss nicht den Faden mal verlieren,
wer so wie ich am Schnürchen singt?

Ja, mit den Musen an der Strippe,
ich so was nicht befürchten muss.
Doch hole Hades diese Sippe –
kein Anruf! Na, dann eben Schluss.

Einfach klasse

Einfach klasseMuss ich ihn wirklich noch beschreiben?
Ist er nicht jedem noch bekannt?
Versetzung oder Sitzenbleiben –
es lag allein in seiner Hand.

Wir waren damals noch die Kleinen
und saßen schüchtern in der Bank.
Er zog uns an den Hammelbeinen,
weil unser Stumpfsinn ihm wohl stank.

Wer konnte ihm das Wasser reichen?
Er wusste so unendlich viel.
Ein Quell der Weisheit ohnegleichen,
ein Fuchs in jedem Ratespiel.

Er paradierte vor der Klasse
gebiet’risch wie ein Feldmarschall,
dem man der Jugend graue Masse
geschickt zur Prüfung für Walhall.

Und erst am Pult, wo dieser Schlimme
bisweiln so tat, als ob er schlief,
doch plötzlich dich mit Donnerstimme
aus Träumen an die Tafel rief!

Er lehrte Nützliches fürs Leben.
Und manches, was nur Schall und Rauch.
Er lehrte, Strebern nachzustreben.
Und Fürchten lehrte er uns auch.

Mit Daten war er vollgeladen
vom Scheitel runter bis zum Steiß.
Sein Albtraum war der Imageschaden,
wenn er mal irgendwas nicht weiß.

Er wollt auf Nummer sicher gehen,
vor Lücken hat es ihm gegraust,
soldatisch seinen Schulmann stehen,
allwissend wie der Doktor Faust.

Und die da nicht aus freiem Triebe
von Tag zu Tag die Bank gedrückt,
er hat mit seiner Wissensliebe
nur äußerst mäßig sie beglückt.

Was waren uns die Vertebraten?
Was der Atome Pollenflug?
Die Parther oder die Sarmaten,
die hier und da der Römer schlug?

Was waren uns die Stalaktiten,
der Wind, der in der Wüste blies?
Was dieser Beowulf der Briten
und Roland, der ins Hifthorn stieß?

Was warn uns Stempel, Staubgefäße?
Was Cato, Cortez, Wallenstein?
Was eines Plautus derbe Späße
in klassischem Vulgärlatein?

Wie wenig haben wir begriffen
von dieser steten Faktenflut,
auf der gezwungen wir zu schiffen
mit angsterfülltem Heldenmut!

In solchen übermächt’gen Spuren
ging folgsam unser Geist einher,
gehemmt von Püffen und Zensuren –
und dennoch wachsend immer mehr.

Tempi passati! Längst vergangen
und zur Erinnerung verblasst.
Des Paukers rosig blühnde Wangen
in Eiche lange schon gefasst.

Er, der mit Imponiergehabe
und Dünkel durch die Flure schritt,
was brachte er als Morgengabe
seiner Persephone wohl mit?

Gewiss entspricht’s des Lehrers Wesen,
dass er an Bücher nur gedacht.
Doch wie im finstren Hades lesen?
Schon Charon kippte ihm die Fracht.

Ein Schatten ward er unter Schatten,
von keinem Geisteslicht erhellt.
Nie mehr: „Herr Studienrat, gestatten…“
Ganz formlos geht’s in seiner Welt!