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Am grauen Strand

Da wo die Engel gerne singen
und musiziern nach Herzenslust,
heut einmal keine Geigen hingen
dem Himmel von der blauen Brust.

Es waren eher Kontrabässe
mit ihrem dumpf geächzten Laut,
die ‘nem Gewölk sich voller Nässe
für ihr Lamento anvertraut.

Verhüllt von einem grauen Schleier,
kam heut die Sonne nicht ans Licht –
wahrscheinlich hält der Wasserspeier
da oben nicht mehr lange dicht!

Ein bessres Los hat nur getroffen
das Meer am fernen Horizont;
da war ein Hintertürchen offen,
ein schmaler Streifen noch besonnt.

Und Regen kann es ja nicht schrecken,
der trommelt auf sein Fell nur weich,
ein leichtes Prickeln zu erwecken
und Blasen, die zerplatzen gleich.

Indes der Sturm, der unverfroren
ihm öfter in den Wellen wühlt,
lässt‘s heute einmal ungeschoren
und anderswo sein Mütchen kühlt.

Und seine ungeheure Masse,
die an entrückte Ufer schlägt,
wird wie die Furche der Barkasse
von einem Kräuseln nur bewegt.

November. Doch es drängt die Frage
dem Wetterkundigen sich auf:
Schon einer der halkyon’schen Tage,
der sich verguckt im Jahreslauf?

In dieser unverhofften Flaute
entspannt sich das gestresste Meer
und träumt, wie gern es wieder blaute
dem hohen Himmel hinterher.

Die schöne Stille zu genießen
war auch des Versemachers Zweck –
und selbst die lieben Nachbarn stießen
die Stühle leiser heut vom Fleck.

Muse auf Reisen

Schon ging er in die letzte Phase,
der Abend hart auf Mitternacht,
als ich, die Brille auf der Nase,
mich an mein Musenstück gemacht.

Ich weiß nicht, ob ich’s je beschrieben –
wenn nicht, hol ich es hiermit nach:
Das Werkzeug ist stets gleich geblieben,
nur nicht der Standort, das Gemach.

Klar, dass ich einen Schreiber brauche,
der dem Papier aufs Auge drückt,
was aus des Hirns verstopftem Bauche
dem Licht der Welt entgegenrückt.

Und eine Kerze, deren Flamme
zwar schwach wie vorm Marienbild,
doch als ob Höh’rem sie entstamme,
mir fast als wundertätig gilt.

Wer hilft dem Brägen auf die Sprünge,
der halb im Dämmer noch verharrt,
dass mit Ideen den Wisch er dünge,
der mir noch nackt entgegenstarrt?

Die Rebe macht ihn leicht und locker,
dass bald sich seine Zunge löst,
doch ohne dass dabei vom Hocker
den Musentrunkenen es stößt!

Mehr braucht es nicht an Requisiten
nebst einer Bühne, die vertraut,
den Göttern etwas darzubieten,
was Schlösser in die Lüfte baut.

Die kann man ja auch mit sich tragen
wie’n Maler seinen Skizzenblock,
dass er in allen Lebenslagen
vor lohnenden Motiven hock.

So weit will ich’s indes nicht treiben,
zwei Orte reichen mir schon aus,
ins Album Verse mir zu schreiben
aus dem besagten Bauch heraus.

Jetzt also wieder tief im Süden,
der weniger mit Sonne geizt,
die, ohne merklich zu ermüden,
hier auch im Winter kräftig heizt.

Ein Vogel, der vor allen Dingen
sich wo ein zweites Nest erstritt –
und wie ein solcher auch zu singen,
nahm seine Muse er gleich mit.

Dezemberabend

DezemberabendDezemberabend. Ringsum Schweigen.
Vom Dunkel jeder Laut erstickt.
Die Stadt, erschöpft vom Zähnezeigen,
ist endlich wieder eingenickt.

Kein Reifen reißt sie aus dem Schlummer,
kein Streithahn kräht sie zeternd wach.
Der Wind selbst, tags ‘ne große Nummer,
er atmet kläglich jetzt und flach.

Kein Stern schwimmt in den Wolkenwogen
als traulich-trüber Feuerschein,
die auch das Mondlicht aufgesogen
wie Mark aus bleichendem Gebein.

Kein Vogel flattert seine Runde,
kein Köter, der noch blafft und bellt.
Die Stille red’t der Nacht zum Munde.
Das Schweige-Barometer fällt.

Man spürt in diesem Winterfrieden
schon jenes Festes Gegenwart,
wenn sich die halbe Welt hienieden
um ein geschmücktes Bäumchen schart.

Nur noch die Federn müssten fliegen,
die schüttelnd uns Frau Holle schickt
und die in heil’gem Weiß dann liegen,
so weit geblendet ‘s Auge blickt.

Denn diese sind’s, die uns beschwören
der schönen Ruh Vollkommenheit:
den stummen Sang von Engelschören,
kristallnen Tons herabgeschneit.

Man muss sich überraschen lassen.
Man kriegt nicht alles, was man will.
Sind sie auch grau, die Straßen, Gassen,
sind sie doch wunderbar auch still.