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Macht was her

Er pflegt Kontakt zu höchsten Kreisen.
Man setzt ihn nirgends vor die Tür.
Muss seine Würde nicht beweisen –
sein bloßer Name bürgt dafür.

Er fühlt sich wohl in seiner Rolle.
Er liebt es, wenn man ihn hofiert,
liebt Sitzungen und Protokolle,
in denen man ihn oft zitiert.

Wie majestätisch kann er schreiten,
wie kühn reckt er sein Haupt empor
und schaut prophetisch in die Weiten
wie kaum ein Seher je zuvor!

So sticht er glücklich aus der Menge,
die fast ihn übersehen hätt,
und macht das Manko seiner Länge
mit ausgeprägten Gesten wett.

Und auch mit seiner Wunderwaffe,
dem Füller mit dem prallen Lauf –
sei’s Unterschrift, sei es Paraphe,
mit goldner Tinte trägt er auf!

Versteht sich, dass er seine Leute
mit väterlicher Strenge führt –
zwar spricht er nicht von Hundemeute,
doch mag’s, wenn er Gehorsam spürt.

Das gilt auch fürs Familienleben,
Verhalten: Pascha oder Pfau,
dem Junior manchmal eine kleben,
den Marsch mal blasen seiner Frau.

Mehr kann man praktisch nicht erreichen,
das Schicksal hat es gut gemeint,
und wird er einst vom Acker schleichen,
wird er im Kirchenblatt beweint.

Da kann man eigentlich nur hoffen,
dass auch noch dies ihm zuerkannt:
Der einz’ge Wunsch, der ihm noch offen –
ein Stückchen Blech am Ordensband.

Er bräucht nur einen Wegbereiter,
der für die Ehre ihn benennt:
„Verdienst“, „Gemeinwohl“ usw. –
als Dackelzüchter-Präsident.

Nachbarn gegenüber

Nachbarn gegenüberDa drüben dieser Fensterreihe
im – eins, zwei, drei – im vierten Stock
ich Nacht für Nacht mein Auge leihe,
dem einz’gen Licht im Häuserblock.

Es glost so gelb durch die Gardinen,
als ob aus Pergament sie wärn,
von Kerzen tausendfach beschienen,
die regungslos ihr Wachs verzehrn.

Und haucht noch einen bleichen Schimmer
aufs Mauerwerk, das es umschmiegt,
da ferne der erhellten Zimmer
im Finstern die Fassade liegt.

Im Niemandslande zwischen Sternen
(so einsam scheint mir dieses Licht)
und grell erglüh’nden Stadtlaternen
es trübe aus dem Dunkel sticht.

Im Gegensatz indes zu diesen,
mit denen es sich nicht verträgt,
sich hinter Rollos und Markisen
doch immer auch das Leben regt.

In einem dieser Fensterrahmen
gewahr ich manchmal, vorgebeugt,
ein Schattenwesen ohne Namen,
das träge in den Abend äugt.

Am Umriss kann ich wohl ersehen,
es handelt sich um eine Frau,
die überfliegt vorm Schlafengehen
das Viertel in der Vogelschau.

Vielleicht ist’s einer Haremsdame
total verlarvtes Konterfei,
verlassend kurz die polygame,
verschlossne Festung des Serail

Dass einmal tüchtig Luft sie schnappe,
die frei ihr um die Nase weht,
und willenlos nicht als Attrappe
dem Pascha zur Verfügung steht.

So lass die Fantasie ich schweifen,
auch wenn sie tausend Böcke schießt.
Könn’n Silben zu Gedichten reifen,
die man mit Fakten nur begießt?

Was wissen wir schon von den andern,
den Menschen, die uns vis-à-vis?
Bisweilen lässt man Blicke wandern.
Man sieht sich. Aber sieht sich nie.