Totgeschwiegen

TotgeschwiegenWann bin ich Maler? Wenn die Massen
ergriffen vor der Leinwand stehn,
in langen Schlangen an den Kassen
von Galerien und Museen?

Wann Komponist? Wenn in den Sälen,
wo festlich man Konzerte gibt,
der Chor der Hörer nicht zu zählen,
der innig meine Klänge liebt?

Ein Schneider? Wenn die Kunden strömen,
sich zu gewanden in mein Tuch,
dass man von Bergen bis nach Böhmen
begierig füllt mein Auftragsbuch?

Und Maurer? Wenn ich Kathedralen
in gotisch blaue Himmel türm
und tausend Augen gläubig strahlen
wie in der Dämmerung Gewürm?

Brauche als Held ich Millionen
als Zeugen meiner Ruhmestat,
um ewig in Walhall zu wohnen
mit Logensitz im Götterrat?

Kein Kunststück, dies zu widerlegen,
das Argument liegt auf der Hand:
Dem stehen alle die entgegen,
die man ihr Leben lang verkannt.

Ich muss hier keine Namen nennen,
denn ihre Zahl ist Legion,
weil auch die „Kenner“, die verkennen,
sich nähren vom Expertenlohn.

Auch Dichter sind dabei gewesen,
die erst im Grabe man geehrt.
Ach, Zeilen ihr, die ungelesen,
verzweifelt nicht an eurem Wert!