Leben, rituell

Leben, rituellWie immer morgens nach dem Wecken
spult man die gleiche Leier ab:
Den Kopf ins kalte Wasser stecken,
das bringt den Kreislauf schön auf Trab.

Dann fährt man mit ‘ner frischen Klinge
die Backen lang bis an den Hals,
dass sie den Stoppelbart bezwinge –
sofern du männlich jedenfalls.

Nun kriegt die makellose Reihe
der Zähne ihre Rubbelkur
mit einem blütenweißen Breie,
der keimvernichtend von Natur.

Erledigt diese Prozeduren,
das Haar gekräuselt und gekämmt,
vergleicht man erst noch mal die Uhren
und ruckelt sich ins Oberhemd.

Dann Krönung dieser Rituale:
das flotte Frühstück eins, zwei, drei –
ein Toast, ein Kaffee, eine Schale,
die lückenlos gefüllt mit Ei.

Und so aufs Leben vorbereitet,
das feindlich vor der Haustür steht,
gemessen man durch diese schreitet,
wenn einem auch die Muffe geht.

‘ne Ewigkeit von Stunden später:
Man kommt von draußen wieder rein,
zerschlagen zwar wie Hackepeter,
doch froh, im eignen Bau zu sein.

Jetzt kann der Feierabend steigen,
jetzt macht er seinem Namen Ehr!
Von wegen! Müdigkeit und Schweigen.
Total. Wenn nicht die Glotze wär.

Ritual: Sich in den Sessel lümmeln.
Ritual: Die Beine aufgebockt.
Ritual: An Bier und Brezeln mümmeln.
Ritual: Den Spielfilm ausgehockt.

Am Ende wieder Zähneputzen,
Pyjama an, ins Bett getaucht.
Der Schlummer ist von großem Nutzen,
weil für die Leier man ihn braucht.

Untätig kann man uns nicht nennen.
Wir rennen ja von früh bis spät.
Doch ohne unser Ziel zu kennen.
Es sei denn, dieses Spielgerät …

Das geht so bis zum schönen Tage,
an dem man dich in Rente schickt
und morgens dir mit einem Schlage
die Uhr ganz friedlich weitertickt.

Du brauchst dich nicht mehr zu erheben,
du drehst dich um, den Hintern zu
dem abgehakten Arbeitsleben –
l. m. a. A., lass mich in Ruh!

Doch leider wirst du spitz bald kriegen,
dass der Triumph von Dauer nicht:
Du bleibst in deinem Kissen liegen,
weil irgendwo und -was dich sticht.

Bist du ein Jüngling denn geblieben?
Die besten Jahre sind vorbei,
in Jobscharmützeln aufgerieben,
in der Routine Einerlei.

Und die begleitet dich noch immer
und ärger, als es je dir schien.
Doch jetzt in blässlich gelbem Zimmer.
Der Nächste bitte! Arzttermin.

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