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Alt-Flöte

Unter den zig Adventsgeschenken
hat auch ein Blasrohr mich erfreut,
um gift’ge Pfeile zu versenken
im Ohr der lieben Nachbarsleut.

Genau besehen eine Flöte
mit Schnabel und mit Labium,
auf der ich nun schon fleißig tröte
ein regelloses Dideldum.

Denn Übung macht ja erst den Meister
auch in dem Töne-Abc,
der ich mich widme umso dreister,
als ich noch ganz am Anfang steh.

Kaum können noch die Finger greifen
ein G gerade und ein A,
um nicht viel mehr damit zu pfeifen
als das besagte Trallala.

Ein H ist heut dazugekommen
zum Trio gleichsam, do, re, mi,
und prompt hab ich mir vorgenommen
die erste Katzenmelodie.

Werd ich’s zum Virtuosen bringen?
Da reich im Leben ich nicht ran.
Wie schwerelos dagegen klingen
die Töne eines Telemann!

Zum Beispiel diese Flötensuite –
würd ich die jemals praktiziern,
man müsste hier im Haus die Miete
des Lärmes wegen reduziern!

Nein, Jahre braucht’s ununterbrochen
für so ein freies, flüss’ges Spiel,
das setzt sich dieser alte Knochen
am besten gar nicht erst zum Ziel.

Doch Töne aus dem Rohr zu locken,
das schaff ich jedenfalls mit links,
auf die Gefahr selbst hin, zu schocken
die werten Mitbewohner rings.

Da kommt die Bude mir entgegen,
die etwas aus dem Rahmen fällt
und, halb im Keller schon gelegen,
von anderen schön Abstand hält.

Bleibt nur noch über mir die Dame,
die über neunzig, wie ich glaub.
Wie war doch gleich noch mal ihr Name?
Egal, Sie ist auch so schon taub.

Licht im Dunkeln

Kaum bist du vor die Tür getreten,
erfasst dich schon ein eis’ger Schwall
wie ein Ganove, ungebeten,
kaltblütig zu ‘nem Überfall.

Fünf Uhr mal grade angebrochen,
doch finster ist es wie die Nacht.
Die Kälte kriecht dir in die Knochen,
hast du drei Schritte erst gemacht.

Die finden kaum sich auf dem Wege,
dem unbeleuchteten, zurecht.
Hier eine Wurzel, da ‘ne Schräge,
im Dunkeln wandert es sich schlecht.

Indessen wundersamerweise
kein Fluch sich deinem Mund entringt,
da überall auf deiner Reise
ein Lichtlein dir entgegenblinkt.

Hier sieht man es als Sternenhaufen
in einen Gartenbusch gebannt,
da locker als Girlande laufen
hoch oben wo am Söllerrand.

Und dort, wie es mit mattem Scheine
aus einem Stubenfenster glüht,
dass in des Hauses heil’gem Haine
den Abendfrieden es behüt.

Derart, den Kragen hochgeschlagen,
die Hände im Jackett verstaut,
lässt sich die Witterung ertragen,
die solche goldnen Brücken baut.

Und hast du deine Tour beendet
ein knappes Stündchen später nur,
wird gegenläufig nun verwendet
der Sohle unsichtbare Spur.

Zurück durch diese Lichtbordüre,
die zaubrisch deine Schritte säumt,
bis kurz sich vor der Eingangstüre
der Wind zum letzten Male bäumt.

Du spürst, wie er nach deinem Nacken
erneut mit frost’gen Fingern fischt,
doch eh sie ihn noch richtig packen,
bist du ins Haus ihm schon entwischt.

Musst du nun als Tribut ihm zahlen
Verzicht auf weihnachtliches Flair?
Wie schön doch auch die Lichter strahlen
am Bäumchen hier im Flur parterre!

Nachtruhe

Kein Laut. Ich würde wirklich wetten,
da draußen schlafen alle schon.
Die Körper wälzen sich in Betten.
Die Nasen schnarchen. Kammerton.

Man träumt sich in den nächsten Morgen
mit Bildern, die von gestern sind,
da einem, so im Pfühl geborgen,
die Zeit nur umso schneller rinnt.

Was wird der neue Tag uns bringen?
Rhetorisch allemal gefragt:
Den alten Trott vor allen Dingen,
der heimlich an der Seele nagt.

Mal Wünsche auch, die sich zerschlagen,
und Hoffnung, die im Sand verläuft.
Egal, man muss sein Päckchen tragen,
selbst wenn noch eins dazu gehäuft.

Zwar kann das Schicksal dich belohnen
mit Aussicht auf das große Los.
Die Chance indes: Eins zu Millionen,
‘ne jämmerliche Quote bloß!

Auf jeden Fall sein Soll erfüllen,
wo immer man in Lohn und Brot –
als Chef mit Privileg zum Brüllen,
als Charge, der Entlassung droht.

Der eine in den Arsch gekniffen,
der andre immer Herr im Haus.
Ist dieses Spiel erst angepfiffen,
kommt man so leicht nicht wieder raus.

Erst vierzig, fünfzig Jahre später
wird aus der Mühle man befreit,
Nur Asse oder Schwarzer Peter?
Dein Rententräger gibt Bescheid.

Jetzt reißt kein Schrilln dich aus dem Schlummer
und treibt dich in die Arbeitspflicht,
doch hast vielleicht du andren Kummer,
denn vorn und hinten reicht es nicht.

Der Glücksmoment ist ausgeblieben,
der heiß ersehnte Hauptgewinn.
Du musst nicht grade Kohldampf schieben,
doch große Sprünge sind nicht drin.

Dann wälzt du dich in deinem Bette
wohl oft noch schlaflos hin und her:
„Ach, wenn ich damals doch nur hätte…
wer weiß, wie‘s dann gelaufen wär!“

Doch wer auf Dornen da gebettet
und wer auf Rosenblüten weich,
darüber wird hier nicht gewettet –
im Schnarchen sind sich alle gleich.

Schöner schlafen

Die Türen alle fest verschlossen,
die Fenster alle zu und dicht.
Der Tag verdämmert in den Gossen,
Frau Luna rüstet sich zur Schicht.

Noch hockt der Bürger vor der Kiste
und zieht sich seinen Krimi rein,
den spannendsten der Sendeliste:
„Geht garantiert durch Mark und Bein“.

Wird aber nicht mehr lange dauern,
dann pappt er auf der Ruhestatt,
wo jene Schreckgespenster lauern,
die glotzend er beschworen hat.

Die geistern prompt durch die Visionen,
die ihm sein müdes Hirn erweckt,
mit blut’gen Leichen ihm zu lohnen,
was ihm an Bildschirmspeise schmeckt.

Dabei schlief er doch wirklich besser,
wenn ihn davor kein Reiz erregt,
der mit Revolver oder Messer
den Träumen auf den Magen schlägt.

So weit lass ich es gar nicht kommen
und seh dergleichen mir nicht an,
stattdessen mir den fohlenfrommen,
den Pegasus vorn Karren spann.

Doch keineswegs für Hirtendichtung,
wo alle Welt im Schäferkleid
ob im Gebüsch und auf der Lichtung
sich neckischem Vergnügen weiht.

An ernsten Themen soll’s nicht fehlen
bis hin zum letzten Weltgericht –
doch so, dass mir beim Schäfchenzählen
kein schwarzes in die Augen sticht.

Wohnungswechsel

In unsrem Wohnhaus, einer Wiese,
da wechseln oft die Mietpartein,
doch unvergesslich sind mir diese
und fallen mir besonders ein.

Zunächst, mit Leichtigkeit zu merken,
weil es auf diesen Burschen passt,
der immer stolz auf seine Stärken,
der flotte Siggi Seidelbast.

Und dann, die nie zu überhören,
geschäftig ohne Rast und Ruh,
doch ohne Sinn, damit zu stören,
die Großfamilie Frauenschuh.

Wie mäuschenstill fand ich dagegen,
vereint auf einer Lebensbahn
und kaum sich aus der Bude regen
die Halbgeschwister Löwenzahn.

Gut kann ich mich auch noch entsinnen
des Urbilds reiner Männlichkeit,
das mehr in Loden ging als Linnen –
des Oberförsters Färberwaid.

Und auch der mit den schlechten Zähnen,
die kaum sie spreizte mal zum Gruß,
das Haar in grau melierten Strähnen,
der alten Jungfer Hahnenfuß.

Wer wohnte gleich doch noch daneben?
Ich weiß, sie war nicht sein Geschmack;
drum ging er lieber einen heben,
der prüde Nachbar Portulak.

Und das war vielleicht eine Marke.
beschäftigt bei der gelben Post
und immer Sprüche klopfend, starke,
die Quasselstrippe Wasserdost!

Er konnte das nun gar nicht leiden
und zog dann jedes Mal ‘ne Schnut‘,
ließ sich ein Treffen nicht vermeiden,
der Höker Frithjof Fingerhut.

Ein Feingeist mit gepflegten Händen
und Meister auf dem Englischhorn,
ein Bücherwurm mit tausend Bänden,
das war der Lehrer Lerchensporn!

Ach, diese frühren Nachbarsleute,
wie deutlich seh ich sie vor mir,
lebendig allesamt bis heute,
mehr als nur Namen auf Papier.

Und die ich seinerzeit empfunden
als Schar, der man den Rücken kehrt,
sie sind mir nun, da sie entschwunden,
mit einem Male lieb und wert.

Am meisten aber wird mir fehlen
im weißen Wölkchen des Tutus,
um aller Welt das Herz zu stehlen,
der kleine Engel Mädesüß.

Lautmalerei, 2

Was nützen mir die besten Schwarten,
wenn mich das Leben überrollt
und mir auf meinen Geistesfahrten
den nötigen Respekt nicht zollt?

Soeben hab ich ausgelesen
was über Lärm – ein Strafgericht,
das mit ‘ner Flut gewitzter Thesen
mir richtig aus der Seele spricht.

Dem Krach in vielerlei Gestalten,
vom Peitschenknall zum Froschkonzert,
wird da ein Spiegel vorgehalten,
der so schon an den Nerven zerrt.

Um wieviel mehr im echten Leben,
das er wie Jericho bedröhnt,
wird einmal aus den Angeln heben,
was er vorab mit Taubheit krönt!

Wie hält dies ewige Getöse,
das sich aus tausend Quellen nährt,
der Mensch nur aus, dass samt Gekröse
er aus der Haut nicht ständig fährt?

Doch gibt es auch so trübe Tassen,
die mit dem Lärm sich arrangiern
und ihre Harley heulen lassen,
um Muskelkraft zu demonstriern.

Und andre, die sich auch nicht sträuben
und grad sein Übermaß erfreut,
weil gerne sie mit Rock betäuben
den Brägen, der Gedanken scheut.

O dass man solche Idioten
doch endlich einmal Mores lehrt!
Man zeige mir den Gord’schen Knoten
und reich mir Alexanders Schwert!

Könnt grade jetzt ich gut gebrauchen:
Mein Nachbar bohrt sein Nachtgebet.
Doch lass ich meinen Zorn verrauchen –
denn, uff, die letzte Strophe steht!

Ein Hammerhaus

Halb zwölf. Und keine Nachbarn hauen
noch wild auf ihre Wände ein.
Ob in die Glotze sie jetzt schauen,
den Hammer im Reliquienschrein?

Ob in die Kissen sie gesunken,
erschöpft vom Rhythmus ihrer Hand,
die nach so viel geschlagnen Funken
total erschlafft und ausgebrannt?

Wer weiß. Ich jedenfalls genieße
die Ruhe, die jetzt eingekehrt,
und ungestört in Verse gieße,
was immer mir erwähnenswert.

Die Bürgerpflicht zur Maskerade
bestimmt auch heut das Straßenbild,
damit aus der Gesichtsfassade
nichts Feuchtes in die Lüfte quillt.

Dazu begann die zweite Phase
nach staatlichem Entspannungsplan –
man lupft den Griff leicht an der Nase,
doch öffnet nicht den ganzen Hahn.

Doch ist nicht von der Hand zu weisen,
dass man noch immer Fesseln trägt.
Wann werden wieder Flieger kreisen,
dass nicht umsonst sich Heimweh regt?

Noch sind die Grenzen fest verschlossen,
ich komm zurzeit hier nicht vom Fleck –
allein mit meinem Musenzossen
setz locker ich darüber weg.

Indessen auch nur in den Träumen,
die mir die Fantasie verleiht;
sie zählt nicht in den Landschaftsräumen
der schlagbaumfreud’gen Obrigkeit.

Ein Weilchen also ich noch glucke
in meinem meerbespülten Nest,
gewappnet mit Geduld und Spucke,
bis man mich endlich ziehen lässt.

Ich schätze, dass es ein paar Wochen
auf alle Fälle doch noch braucht.
So lange werden meine Knochen
noch in dies Wechselbad getaucht.

Am Tage Hämmern, Klopfen, Bohren,
womit man laut sein Handwerk preist,
indes es beinah mir die Ohren
bis rauf zum Trommelfell zerreißt.

Dann abends endlich wieder Frieden.
Beim Schreiben lausche ich dem Meer.
Doch was ist schon gewiss hienieden?
Fast zwölf. Und plötzlich hämmert wer!

Streitende Nachbarn

So an die zweimal hundert Staaten
bepflastern diesen Erdenbauch,
die in die Wolle sich geraten
um jeden Fitzel Schall und Rauch.

Hat jeder wo ‘ne winz’ge Ecke,
an der dem Nachbarn groß was liegt,
dass gierig er die Finger strecke,
bis er sie in dieselben kriegt.

Hat jeder seine Traditionen,
die dieser Nachbar diffamiert,
damit er seine Legionen
zu Hass und Hader motiviert.

Will jeder nur zu eignen Zwecken
die Schätze heben dieser Welt,
und jeder hat den Dreck am Stecken,
den ihm der andre unterstellt.

Und jeder hat auf seiner Seite
ganz selbstverständlich auch das Recht,
mit dem schon immer man „befreite“
ein Volk zu eines andern Knecht.

Dabei vereint im festen Glauben
an des Erlösers Lieb und Leid,
das Leben sie sich ständig rauben
im Namen der Barmherzigkeit.

Konsens kommt selten nur zustande,
der Egoismus überwiegt,
und selbst in seinem eignen Lande
man sich zur Not auch mal bekriegt.

Doch selbst in schönsten Friedenszeiten
lacht allen nicht das gleiche Glück;
es sichern kleine Minderheiten
sich überall das Sahnestück.

Und wo sie nicht den Knüppel nehmen
nach ewiger Tyrannenart,
geht man, das Unrecht zu verbrämen,
dem Volk mit „Freiheit“ um den Bart.

Auf einen Nenner hier zu bringen
dies Völkersammelsurium:
Die Menschheit fliegt auf Geistesschwingen,
die gierig, grausam, blind und dumm.

Und diese fast zweihundert Länder,
in die der Globus parzelliert,
sie sind die besten Unterpfänder,
dass er so bleibt, so kleinkariert.

Nachschrift für Epimenides

Als Mensch mich davon auszunehmen,
ich keine guten Gründe find;
müsste auch ich mich für was schämen,
dann wär’s am liebsten mir für „blind“.

Ruhe im Bau

Als wär kein Wandel eingetreten:
Des Abends im vertrauten Heim.
Vor Augen Isabell-Tapeten
und unsichtbar den gelben Leim.

Genügend Kraft ist noch vorhanden.
Ich führ den Pinsel wie ein Schwert,
dass Strich für Strich die Hiebe landen
als Verse von Gewicht und Wert.

Die Kerze weilt an Ort und Stelle,
den Schwanenhals ganz hochgereckt,
wo oben in bescheidner Helle
das Flämmchen seine Zunge streckt.

Wär er nicht untern Tisch gefallen,
der Wächter mit der späten Tour,
er ließ jetzt seinen Ruf erschallen:
„Elfmal, ihr Leute, schlug die Uhr!“

Zu seiner Zeit lag da die Erde
im Schlafe des Gerechten schon,
weil herrgottsfrüh von seinem Herde
es scheiden hieß für Brot und Lohn.

Als Rentner kann ich mich erdreisten,
weil meine Ernte eingebracht,
Gesellschaft sogar noch zu leisten
den Geistern weit nach Mitternacht.

Was für ‘ne kreative Stille
dann plötzlich dieses Haus durchweht,
als hätte ihm ‘ne Schlummerpille
den Saft zum Lärmen abgedreht.

Der Herr, der ohne Ruhn und Rasten
am Tag zu bohrn und hämmern pflegt,
er hat nun seinen Werkzeugkasten
zunächst einmal auf Eis gelegt.

Die Dame, die mit schriller Kehle
mich früh schon aus dem Schlummer reißt,
befiehlt jetzt ihre raue Seele
dem Traume, der sie schweigen heißt.

Die Stühle selbst, die ewig scharren
und quietschen von der Decke her,
in süßer Ruhe sie verharren,
von diesen Ärschen endlich leer.

Die Stille hat mit feinen Fäden
sich festgesponnen um das Haus
und lässt durch Tür und Fensterläden
nicht einen Seufzer mehr hinaus.

Man könnte fast Beklemmung kriegen,
denkt tiefer man darüber nach
und sieht im Geist die Nachbarn liegen
verpuppt in ihrem Schlafgemach.

Da klemmen sie in ihren Laken
und dösen einem Morgen zu,
der immer neu, doch mit dem Haken,
auch immer näh’r der letzten Ruh.

Unmöglich kann ich mich erwehren
Visionen auch von dieser Art,
wie sie die Geister ja bescheren,
die unsichtbar um mich geschart.

Womöglich werden sie sich steigern,
die Angst davor ich nicht verhehl,
zumal ich eher zu den Feiger‘n
als zu den Abgebrühten zähl.

Schon fühl ich Schauder mich beschleichen,
wie er zum Hasenherzen passt,
das, horch, ein jähes Lebenszeichen,
postwendend großer Schreck erfasst!

Wie kann man sich nur so verjagen!
Da fand wer spät noch unters Dach,
der laut die Haustür zugeschlagen –
hey, Nachbar, Dank für diesen Krach!