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Stadtvermöbelung

Erlebnis: In der City shoppen.
Das heißt, die Nerven liegen blank.
Die Tüten schon nicht mehr zu toppen.
Ein Königreich für eine Bank!

Man muss sich dringend mal verschnaufen.
Die Arme machen nicht mehr mit.
Von wegen, ein paar Sachen kaufen.
Das zieht wie Blei bei jedem Schritt.

Da gibt’s zum Glück ja diese Bänke.
Da lehnt man sich entspannt zurück,
schaut halb versöhnt auf die Geschenke
und prüft noch einmal jedes Stück.

O heil’ge Einfalt, eine Lehne!
Die gab wohl früher einmal Halt.
Heut wandelt sich die Straßenszene,
und Stein macht dir den Hintern kalt!

Der Grund für diese Mobbing-Möbel
liegt – pst, nicht petzen! – auf der Hand:
„Zum Luxus passt hier nicht der Pöbel,“
vertraulich so der Fachverband.

„Nur keine Penner, wie sie hungern
mit keinem Heller auf der Naht,
um ganze Tage rumzulungern
als Werbung für den Wohlfahrtsstaat.

Wir wollen hochpotente Kunden
mit möglichst dickem Portemonnaie,
die nur so wuchern mit den Pfunden,
und dann husch, husch aufs Kanapee.“

Und weil’s bei Heuchlern ja so Sitte,
was schönzureden mit Bravour,
nennt dreist man diese Sitzverschnitte:
Defensive Architektur.

Frühlingsbote

Zerzaust, verzottelt liegt der Garten
direkt vor meiner Fensterbank,
kein Tummelplatz der tausend Arten,
verödet, müde, winterkrank.

Die Kräuter, die in graden Achsen
im späten Sommer angepflanzt,
sind kniehoch hier und da gewachsen,
doch schütter, schäbig und zerfranst.

Dazwischen tabakfarbne Blätter,
vertrocknet, spröde, dichtgedrängt,
die viele Wochen Wind und Wetter
in dieses Kroppzeug eingezwängt.

Ein Saum von bleichen Kieselsteinen
umrandet dieses Ödgefild,
um nahtlos sich mit ihm zu vereinen
zum ausgemachten Chaosbild.

Wie soll aus diesem dürren Tümpel
mit seinem grau verfilzten Grün,
aus staubigem Naturgerümpel
ein neuer Frühlingstag erblühn?

Doch seht nur! Auf smaragdnem Stängel,
taufrisch zum Topp und unverwest,
Narcissus als Posaunenengel,
wie er zur Auferstehung bläst!

Gratiskonzert

Die tiefen Töne überwiegen
bei dieser kruden Melodie,
die morgens schon herüberfliegen
vom Baugelände vis-à-vis.

Nur eine Handvoll Instrumente,
doch nichts von Flöte und Spinett.
Das Fehlen feinerer Akzente
macht ein konstantes Forte wett.

Der Bohrer spielt die erste Geige,
ein riesenhafter Kontrabass,
dass tief er in den Boden steige
zu Proben ohne Unterlass.

Ein Scheppern ist sein Markenzeichen,
wenn innen an sein Rohr er schlägt,
dass dem Gewinde so entweichen
die Klumpen, die es mit sich trägt.

In einer etwas höhren Lage
gibt sich dafür die Raupe kund –
Gestöhn hält dem Gequietsch die Waage,
düst sie con brio übern Grund.

Dazu das Brummen der Motoren
von Lastern, die geduldig harrn,
wie große, schwerbereifte Loren
das Baggergut davonzukarrn.

Die Kammer-Crew der Interpreten.
Doch gibt auch einer an den Ton –
statt mit dem Stock, dem obsoleten,
mit einer Mess-Totalstation.

Ein Weißhelm hebt ihn aus der Menge
der Spieler mit den bunten raus.
Er kennt nach Breite und nach Länge
den Masterplan des ganzen Baus.

Obwohl die Töne üppig fließen,
bis abends man die Bühne sperrt,
lässt sich doch eintrittsfrei genießen
dies lange Open-Air- Konzert.

Doch leider hab auf die Moderne
ich immer noch nicht richtig Bock
und träum mich lieber in die Ferne
zurück zu Klassik und Barock.

So zähln zu meinen Favoriten
Vivaldi, Telemann und Bach.
Was die da drüben aber bieten,
das nenn ich schlicht und einfach Krach.

Fallobst

Bisher hab vor den Jahreszeiten
noch keinen Bammel ich verspürt,
da sie behutsam vorwärtsschreiten,
wie von ‘nem Blindenhund geführt.

Wie denn im Frühling sich nicht freuen,
wenn aus der Erde reichem Schoß
die alten Schätze sich erneuen,
die kurz da eingekellert bloß?

Und wenn zur Sommerzeit die Ähren
in langen, goldgelockten Reihn,
indem sie von der Sonne zehren,
den Fluren ihren Glanz verleihn?

Und wenn auf winterharter Scholle,
mit einem Hauch von Schnee bepelzt,
die schwarze, immer würdevolle
Frau Krähe durch den Nebel stelzt?

Genauso könnt vom Herbst ich sagen,
dass es an Reizen ihm nicht fehlt,
wozu auch, weil sie Früchte tragen,
die Fülle seiner Pflanzen zählt.

Doch hier liegt auch der Hund begraben,
dass er nicht ganz geheuer ist,
denn mit den weit verstreuten Gaben
verbindet sich ‘ne Hinterlist.

Habt ihr’s schon einmal knistern hören
und jäh darauf ‘nen kurzen Knall?
Dann könnt ihr, glaubt mir, darauf schwören,
es war ‘ne Frucht im freien Fall!

Und keine Eckern, keine Eicheln
und anderes, was wenig wiegt,
die bestenfalls den Scheitel streicheln
dem, der davon was abgekriegt.

Du hast ‘nen kleinen Trip genossen
und biegst in deine Straße ein,
da bombardiern dich mit Geschossen
die Bäume gleich am Wegesrain!

Was aber sind das für Kaliber –
kaum mag ich meinen Augen traun!
Ein Traumformat für Waffenschieber:
Groß, kantig, hart. Kastanienbraun.

Gräber im Grün

Zum Friedhof heut aus freien Stücken
und keineswegs aus dunklem Trieb,
allein um Löwenzahn zu pflücken
fürn Tier, das seinem Frauchen lieb.

Man hockt am Boden in ‘ner Schneise
und rupft das heiß begehrte Kraut,
das allenthalben büschelweise
von der Natur hier angebaut

Im Schatten längst ergrauter Eichen,
von Rhododendron ringsumher,
von Malven, Rosen und dergleichen,
als ob’s der Garten Eden wär.

Doch auch umgeben von den Mälern,
die man als letzten Gruß entbot
und die den schönen Eindruck schmälern
mit ihrer Mahnung an den Tod.

Ich ließ den Blick darübergleiten
und starrte plötzlich wie gebannt:
Da lag wer, den zu Lebenszeiten
vor Jahren selber ich gekannt!

Ein Name, der für sich alleine
nicht unbedingt ins Auge fällt,
der machte meiner Neugier Beine,
weil Titel ihm vorangestellt.

Prof. Doktor. Irrtum ausgeschlossen.
‘ne Leuchte seiner Wissenschaft
und hochgeehrt von Zunftgenossen
für Früchte seiner Geisteskraft.

Da liegt er hilflos mir zu Füßen,
den ich bewundert als Student,
und lässt mich untertänigst grüßen
von seinem Marmormonument.

Erinnern wird an ihn indessen
mehr als ein halb versteckter Stein –
bewohnt sein Ruhm doch unvergessen
des Akademos heil’gen Hain.

Schattenspender

Kam ich vom Regen in die Traufe,
als ich des Südens Sonne floh,
dass in ‘nem Klima ich verschnaufe
mit tiefrem Temp’raturniveaau?

Die Hitze hat mich fortgetrieben,
weil sie da meist mehr Feuer hat,
und wiederum mich eingeschrieben
ins Gästebuch der Hansestadt.

Doch dies Kalkül, ist’s aufgegangen?
Die Tage hier sind ähnlich heiß.
An allen Ecken sieht man Schlangen
am Kiosk für Zitroneneis.

Und kein Gewitter, Donnergrollen.
Nach Kühlung lechzend Herr und Hund.
Soll ich mich deshalb wieder trollen,
weil die Geschichte mir zu bunt?

Käm mir im Traum nicht, der Gedanke.
Ein Vorteil, den ich nicht verkenn –
fast keine ungeschützte Flanke,
wo ich mir gleich den Keks verbrenn.

Die Ahorn- und die Eichenbäume,
sie spreizen sich im Blätterputz
und liefern über weite Räume
den allerbesten Sonnenschutz.

Muss ich mal raus, um was zu kaufen,
mach ich schon vorab meinen Schnitt –
kann überall im Schatten laufen:
Da kommen keine Palmen mit!

Von Ranken und Reben

Des Hauses harte Ziegelwangen
auf einmal nackt wie neugeborn;
mit Messern, Scheren, Sägen, Zangen
hat rüde man sie glattgeschorn.

Und statt der filzigen Geflechte,
die weithin wuchernd sie bedeckt,
zeigt sich die Haut erneut, die echte,
in fadem Gelb, das grau gefleckt.

Man hat das Weinlaub kappen müssen,
weil es nicht ganz geheuer ist
und sich mit Frost und Regengüssen
gefährlich ins Gemäuer frisst.

Was nützt die hübscheste Fassade,
die Büschel bunter Blätter ziern,
wenn mit den Jahren ohne Gnade
die Klinker ihren Halt verliern?

Noch immer ist da was im Gange,
Gerüste ragen noch empor;
doch manchmal dringt auch ziemlich lange
des Werkzeugs Schweigen mir ins Ohr.

Vor meinem Fenster auf den Planken
turnt nur ein Typ noch auf und ab,
der schabt und schmirgelt an den Flanken
sich stundenlang die Pfoten schlapp.

Das deutet auf ein bald’ges Ende
der großen Säuberungsaktion:
Befreiung strupp’ger Außenwände
von Kräutern, die mit Folgen drohn.

Woraus die Weisheit zu erschließen,
die auf des Plato Lehre speit:
Das Schöne, das wir so genießen,
liegt mit dem Guten oft im Streit.

Und schon ein Eigentor geschossen!
Ja, sitz ich denn im Glashaus nicht?
Gehn Reben, die in Wein zerflossen,
nicht mit der Leber ins Gericht?

Gewiss. Doch nur, wenn einem schmeckte
weit mehr als hier und da ein Glas,
denn die verderblichen Effekte,
die zeitigt erst das Übermaß.

Kein Grund, mir aus dem Hals zu reißen
dieses Gewächs mit Stumpf und Stiel –
ja, mit dem Roten und dem Weißen
auch mancher Vers ins Wasser fiel.

Kultur im Blick

An Chinas legendärer Mauer
gibt sich die Welt ein Stelldichein,
und auch am funkelnd-finstren Tower
ist man wohl niemals ganz allein.

Und grade bei den Pyramiden
erhoff man keine Grabesruh –
von wegen: Wüste, abgeschieden:
Man tritt sich ständig auf die Schuh.

Paris auch hat ‘ne Menge Ecken,
die jeder Depp auf Erden kennt,
dass, um die Nase reinzustecken,
er um den halben Globus rennt.

Venedig mit Canale Grande –
ein Taubenschlag am Wasserlauf;
da kreuzt die ganze Gafferbande
gleich fahrgastschiffeweise auf.

Das kann in Rom zwar nicht passieren,
man landet hier auf luft’gem Sitz,
doch auch mit reichlich Passagieren,
die auf die Altertümer spitz.

Man sammelt sich in dichten Trauben
an den Relikten alter Zeit,
um einen flücht’gen Blick zu rauben,
die Kamera stets schussbereit.

Bei den gewalt’gen Menschenmassen,
die sich vor Monumenten staun,
kann ja das Auge nur erfassen,
was einem grad sie nicht verbaun.

Doch hast du mit dem Fotokasten
dir überall ein Bild gemacht,
kannst du getrost nach Hause hasten,
weil Bleibendes du mitgebracht.

Musst nach dem Petersdom du schmachten?
Nein, nicht nach diesem Blickkontakt!
Und um ihn näher zu betrachten –
nur noch die Bilder ausgepackt!

Nichts Neues

Nichts NeuesDer Abflug knapp, doch weich die Landung:
Zurück im Winterdomizil.
Und draußen noch die gleiche Brandung,
das immer gleiche Wellenspiel.

Das Kirchlein noch an Ort und Stelle,
die Glocken mit gewohnter Wucht.
Und auch der Hafen noch, die Quelle
von Fisch und andrer Meeresfrucht.

Die Nachbarn auf der andren Seite
sind fleißig immer noch in Gang:
Die Junge fegt in ganzer Breite
den Gehweg alle naselang.

Der Alte, wacklig auf den Beinen,
gibt weiterhin sich große Müh
und holt beharrlich für die Seinen
die frischen Brötchen in der Früh.

Im Supermarkt hier um die Ecke
fällt gleichfalls mir nichts Neues auf;
noch immer lockt die kleine Kecke
die Kunden zum Kosmetik-Kauf.

Und was lässt sich von jenen sagen,
die mir im Haus besonders nah?
Ich höre sie die Türen schlagen,
mit einem Wort, sie sind noch da.

Hat ihren Job die Zeit vergessen,
der ihr verbietet Ruh und Rast,
gedankenlos nur dagesessen
und ihren eignen Flug verpasst?

Sie hat dem örtlichen Ambiente
ja sichtlich nicht am Zeug geflickt
und ihre wandelnden Talente
in langem Müßiggang vertickt.

Nun, trotz gelegentlicher Schauer
bin heut zum Hafen ich geeilt
und sah, dass von der Molenmauer
ein Reiher still nach Fisch gepeilt.

Die galt mir immer als Domäne
der flatterhaften Möwenbrut –
bedeutet also diese Szene,
dass irgendwie sich doch was tut?

Gewiss. Doch lässt die Zeit uns warten.
Sie fällt nicht mit der Tür ins Haus.
Schier endlos mischt sie ihre Karten –
und spielt auf einmal Trümpfe aus!

Dem Winter entgegen

Wie könnte ich jetzt Sterne pflücken
von der Galaxis Straßenrand,
da dichte Dünste sie entrücken
der heischenden Poetenhand?

In ihren wallenden Gewändern,
die ihre Örter nicht erhelln,
entgehen sie Rabattenschändern,
die sie in Blumenvasen stelln,

Damit das Wesen, angebetet,
die Göttin ihrer Leidenschaft,
wie längst bekniet sie und beknetet,
von ihrem Glanz dahingerafft.

Verzeiht, hier muss ich kurz mal halten:
Mich überfordert der Vergleich,
jonglier ja mit Naturgewalten,
an deren Größe ich nicht reich.

Das Ganze noch mal glattgebürstet,
von Falten und von Flitter frei:
Ein Dichter, der nach Sternen dürstet,
und sieht sie nicht im Nebelbrei.

Ansonsten gibt es nichts zu meckern.
Die Winde wehen mäßig kalt,
und Regentropfen kaum bekleckern
die Sammetdecke von Asphalt.

Zu den geborstnen Eichelsplittern
haben Kastanien sich gesellt,
die wohl noch lange nicht verwittern
auf diesem tristen Trümmerfeld.

Ein Tuch von tabakfarbnen Blättern
hat übern Gehweg sich gelegt,
das ihm wie mit mobilen Lettern
ein wirres Muster eingeprägt.

Von ihren grünenden Geschwistern
harrn nur noch wenige am Zweig;
gelegentlich ein feines Knistern –
dann schluckt auch sie der Bürgersteig.

Die Vorbereitungen, sie laufen,
wie die Natur sie immer traf.
Bald geh ich mir mein Ticket kaufen
und flüchte in den Winterschlaf.