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Abalone

Schon öfter hab ich diese Suppe
im Chinarestaurant geschmaust
und schob sie auf die Gurkentruppe,
die tief am Meeresboden haust.

Vom Stamme jener Wirbellosen,
der mit dem Grund verwachsen ist
und nicht bedroht durch Wasserhosen
in seiner kurzen Lebensfrist.

Gezeugt in habitabler Zone,
doch fern des Lichts gewalt’ger Flut,
reift sesshaft unsre Abalone
zum hochbegehrten Speisegut.

Von Gurken aber und dergleichen
besitzt sie nicht die Stachelhaut!
Den Irrtum kann ich endlich streichen,
da ich das Tierchen nun geschaut.

Und mir bewusst mit einem Male,
dass dieses Seeohr, wie es heißt,
geschützt von einer harten Schale,
die es als Muschel gleich erweist.

Der gräulich-gelbe Buckelrücken
von rauer, körniger Struktur
erlaubt ihr, tief sich einzudrücken
zur Tarnung in die sand’ge Flur.

Wie anders aber zeigt von innen
sich dieses winz’ge Domizil!
Kein Künstler könnte wohl ersinnen
ein prächtigeres Farbenspiel!

Das schillert auf dem Perlmuttgrunde
so grün, türkis und violett
wie sonst nur einer jener Funde
im alten Sammlerkabinett!

Was lehrt uns das bei unsren Bissen,
die blind die Kehle runtergehn?
Dass besser wir zu schätzen wissen,
was lebhaft wir vor Augen sehn.

Wie könnt ein Wesen uns entzücken,
dass fast es uns den Atem nimmt,
wenn es zerhackt zu kleinen Stücken
im Pfuhl der Suppentasse schwimmt?

Lieferservice

Zurzeit hieß jeder Schlemmertempel
wohl besser „Zur Corona-Ruh“;
selbst mit Drei-Sterne-Gütestempel
ist er für Publikum tabu.

Ein Schlupfloch aber ist geblieben,
‘ne Hintertür für den Gourmet –
denn online darum angeschrieben,
kreiert er dir dein Wunschsouper,

Du musst dich nur aufs Fahrrad schwingen
und holst dir selbst den Gaumenschmaus,
es sei denn, dass sie ihn dir bringen
per Nachtkurier direkt ins Haus,

Ambiente nicht mit eingeschlossen,
das gibt’s natürlich nur vor Ort.
Doch hilft man sich mit Tischgenossen
nicht auch daheim passabel fort?

Man hat auch so davon den Nutzen.
Die ganze Kocherei entfällt,
Kartoffeln schäln, Gemüse putzen,
was dir schon halb den Spaß vergällt.

Platzierst nur noch die „guten“ Teller,
die Gläser und das Essbesteck
und holst ‘nen Tropfen aus dem Keller,
der wie geschaffen für den Zweck.

Und schon erscheint auch wie gerufen
der Bote mit den Leckerein
und händigt dir, was Könner schufen,
mit schönster Ofenwärme ein.

Dann geht es endlich voll zur Sache.
Jetzt bitte keine Störung mehr!
Sodass ich nicht viel Worte mache
und erst zum Nachtisch wiederkehr.

Da hockt man satt schon und zufrieden
gemütlich plaudernd im Karree
und lässt nur noch das Wasser sieden
fürn starken Gute-Nacht-Kaffee.

Dann abgeräumt mit heitrer Miene,
türmt schmutzig das Geschirr sich auch,
den Abwasch macht die Spülmaschine,
die steht darum nicht auf dem Schlauch.

Genügend Gründe, wie ich denke,
lieber zu Hause zu diniern,
statt in der attraktivsten Schänke
sich mit ‘nem Keim zu infiziern.

Am höchsten ist darum zu preisen
der hier zuletzt genannte Grund –
wie viel und fettig wir auch speisen,
wir speisen jedenfalls gesund.

Abflug

Die Welt, gelähmt seit vielen Tagen
durch eines bösen Keims Boykott,
beginnt grad langsam erst zu wagen
die Rückkehr in den alten Trott.

Man darf sich wieder frei bewegen,
sitzt nicht mehr in der Bude fest
und kommt mit kräft’gen Flügelschlägen
in jedes noch so ferne Nest.

Man muss auch nicht mehr online kaufen,
sofern man grad auf Schrauben fliegt,
kann rasch mal um die Ecke laufen,
wo ‘n Eisenwaren-Laden liegt.

Erlaubt auch wieder auswärts essen,
hat man die eigne Küche satt;
Distanzen aber abgemessen,
man wetzt kein fremdes Schulterblatt.

Und auch dein Lieblingsplatz am Tresen,
der manche Woche unbesetzt,
empfängt dich freudig als ein Wesen,
das Trauben und Getreide schätzt.

Der Sonne Strahlen schon umleuchten
mit größrer Glut dein perlend Haupt.
Jetzt kühlend sich im Meer befeuchten!
Dann mach es doch; es ist erlaubt!

Noch aber ist nicht überwunden
der uns die Sache eingebrockt;
die Masken bleiben umgebunden,
damit sein Vormarsch weiter stockt.

Doch weiß man, ob er nicht als Quelle
die Lockerungen sich erschließt
und sich in einer zweiten Welle
noch weiter übers Land ergießt?

Ich pack jetzt meine Siebensachen –
‘nen guten Monat schon zu spät.
Der Flug, mich aus dem Staub zu machen:
am nächsten achten. Wenn er geht.

Kostverächter

In einem andren Land auf Achse
als Touri oder Dauergast,
such ich nicht unbedingt ‘ne Haxe,
die grad noch auf den Teller passt.

Gewiss würd ich auch diese kriegen
wie überall in West und Ost,
doch warum tausend Meilen fliegen
für heimatliche Hausmannskost?

Ich hab ja extra mitgenommen
den Gaumen auf die weite Tour,
um endlich einmal loszukommen
von der gewohnten Schweinekur.

Und dieser weiß sehr wohl zu schätzen
den Ausbruch aus dem alten Trott
und dass man speist an fremden Plätzen
nicht anders als in Frankreich Gott.

Den Anspruch wird er gar nicht stellen,
dass Edles nur den Hunger stillt –
es reichen schon ein paar Sardellen,
die über Feuerholz gegrillt.

Auch Seehecht, der in unsren Breiten
nur selten auf den Zinken liegt,
kann unschwer ihn dazu verleiten,
dass nicht genug er davon kriegt.

Und Muscheln aller Varianten
von Herz- und Venus- bis zu Mies-
sind gleicherweise ihm Garanten
für so ein Schlemmerparadies.

Ich hörte mal von jemand sagen,
er ließ die Pizza Pizza sein
und schippte in den deutschen Magen
nur Würstchen und Kartoffeln rein.

Selbst bei ‘nem Ausflug in die Ferne
aß er nur so was als Gericht;
in eine lausige Taverne,
nein, kriegten ihn zehn Pferde nicht.

Da musst er öfter Kohldampf schieben,
weil sich für ihn kein Gasthaus fand
und Kumpel in die Pasta hieben,
indes er hungrig draußen stand.

Ein Patriot bis auf die Knochen,
der sogar Magenknurren litt,
weil „Welschen“ er die Kunst zu kochen
und wohl auch sonst noch was bestritt.

Der würde gleich wohl wieder flüchten,
verschlüg’s ihn hier in Küstennäh
und er von Fisch und Meeresfrüchten
die Speisekarten wimmeln säh.

Doch seine unbeugsame Strenge,
die Zunge unters Joch zu schirrn,
beweist nichts andres als die Enge
der hammerharten Spießerstirn.

Na ja, auch wenn die Eskapaden
der meinen sehr viel weiter gehn:
Für zwei so deft’ge Kohlrouladen
ließ ich ein Dutzend Austern stehn!

Feier mit Tafelmusik

Im Strandlokal war tote Hose.
Ein Samstag und kein Publikum.
Der Kellner schlug in Heldenpose
sich nur mit seiner Muße rum.

Am Tisch ganz hinten in der Ecke,
da hockte immerhin noch wer –
vier Turteltäubchen, dern Genecke
klang fröhlich manchmal zu uns her.

Zur linken Hand ein Paar sich beugte
vertraulich übern Tellerrand
und großen Appetit bezeugte
für dessen reichen Fischbestand.

Das war’s schon an beherzten Wesen,
die heut nach draußen sich gewagt,
und nicht allein zum blanken Tresen,
an dem kein Wind und Wetter nagt.

Nein, auf das vordere Gelände,
wo man ein Feuerchen geschürt,
doch trotz der Plastikplanen-Wände
die Launen der Natur verspürt.

Der Sturm, er zerrte an der Plane,
dass sie sich beulte und sich bog
und flatterte wie eine Fahne,
die wütend an der Stange zog.

Und ließ dabei ein Heulen hören
wie Wölfe in der Winternacht,
wenn sie Gemeinsamkeit beschwören,
wie nur der Hunger sie entfacht.

Und in die kleinen Zwischenpausen,
wenn er nur kurz mal Luft geholt,
warf sich der Brandung dumpfes Brausen,
auf Steigen und auf Sturz gepolt.

So ein Gedröhne um die Ohren
war mir willkommener Besuch;
bin an dem Tag ja grad geboren
und schrieb ihn gern ins Gästebuch.

Zumal er sich die Mühe machte,
dem Anlass Nachdruck zu verleihn;
das Ständchen, das er mir da brachte –
es wird mir unvergesslich sein!

Kundschaft bitte!

Im Strandlokal gleich um die Ecke
war wieder mal der Teufel los;
von der Terrasse bis zur Hecke
saß man sich fast schon auf dem Schoß.

Und wie ein Schwarm von Bienen summte
das gut gelaunte Publikum,
sodass auch dieser Laden brummte
im Wettstreit mit dem Meer ringsum.

Der Kellner, ständig auf den Hachsen,
gewiss gewünscht sich haben muss,
acht Arme wären ihm gewachsen
wie dem gegrillten Oktopus.

Er saust mit Teller, Glas zur Küche
und saust mit Teller, Glas zurück,
im Schlepp die lieblichsten Gerüche
als Vorspiel für das Gaumenglück.

Kein Wunder: Nur zufriedne Mienen.
Der Bursche ist sein Trinkgeld wert.
Im Übrigen: Was für Sardinen,
hat je man zartere verzehrt?!

Und manchmal schiebt mit kurzem Schwunge
sich auch der Wirt von Tisch zu Tisch
(„Alles in Ordnung mit der Zunge?“),
dass er sich Komplimente fisch.

Mehr Worte muss er nicht verlieren,
bevor man sich bemüßigt fühlt,
gefällig dem zu applaudieren,
was morgen schon im Magen wühlt.

Die Freude schien mir ungezügelt
beim Wirt genauso wie beim Gast –
was aber hat den Boom beflügelt,
der über Nacht geboren fast?

Denn wie ich deutlich mich entsinne,
und lange ist das noch nicht her,
da ging dem Erstren bis zum Kinne
das Wasser – doch nicht das vom Meer.

Auf der geräumigen Terrasse
sah es meist leer und trostlos aus
und so auch mangels Menschenmasse
im großen Garten hinterm Haus.

Gern hab ich da als Einzelgänger
in einen Winkel mich gedrückt
und desto lieber auch, je länger
mir niemand auf den Pelz gerückt.

Mag es des Wirts Geheimnis bleiben,
warum jetzt alles auf ihn schwört.
Ich frag mich, ob beim Verseschreiben
man auch von so was schon gehört?