Der kranke Freund

Der kranke FreundErst heute hab ich es erfahren:
Ein Freund von anno dazumal,
der knapp voraus mir nur an Jahren,
sei ständig Gast im Hospital.

Ein ganzes Bündel von Gebrechen
will stationär behandelt sein.
Kaum, dass er essen kann und sprechen,
kaum fallen ihm noch Namen ein.

Den ich so munter fand vor Zeiten,
den nichts aufs Krankenlager warf –
was ließ die Kräfte ihm entgleiten,
dass fremder Hilfe er bedarf?

Ich weiß es nicht. Kann nur bedauern
den Menschen, der mir lieb und wert,
dass vor des Schicksals Klagemauern
mehr als ein Seufzer mir entfährt.

Ein Rollstuhl seine bittre Bleibe,
ein Pflegeheim sein Gnadenbrot,
indes dem Geiste und dem Leibe
noch weitere Zerrüttung droht!

Kann auf ein Wunder man noch hoffen?
Auch dieser Ausweg scheint versperrt,
das Tor zur Zukunft nicht mehr offen,
wie sehr die Heilkunst auch dran zerrt.

Die Zeit, die Mutter aller Dinge,
entlässt sie blind aus ihrem Schoß.
Der Schnuller und die Galgenschlinge:
Produkte ihrer Laune bloß.

Man kann sich ihrer nicht erwehren,
ist ihnen hilflos ausgesetzt,
ob Freude oder Leid sie mehren,
ob morgen oder ob schon jetzt.

So lass in die Erschütt’rung fließen
ich Sorge um mein eignes Wohl.
Noch mag Gesundheit ich genießen –
doch gibt’s darauf ein Monopol?

Wie viele Tage noch gewähren
die Nornen mir vorm Scherenschnitt?
Der kranke Freund, er soll mich lehren:
Nimm jede Stunde fröhlich mit!

Denn nur im Heute und im Kleinen
dein Teil der Ewigkeit du erbst. –
Wie wahr! Gern tröst ich mich mit Weinen,
der Trauben Tränen für den Herbst.

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