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In vino veritas

In vino veritasSind sie denn nicht die größten Denker,
die Säufer, leidend an der Welt?
Nenn’s Römer, nenn es Cognacschwenker –
’s ist Wahrheit, was das Ding enthält.

Gefällt dir nicht, dies „Hoch die Tassen“?
Dann wirst du nie ein Philosoph.
Ein Gläschen um die Hüfte fassen –
so macht der Weisheit man den Hof.

Schon mit den ersten kurzen Schlucken
entkrampft sich der gestresste Geist.
Der Globus kann dich nicht mehr jucken,
da zu den Sternen du nun reist.

Und wenn nach Dutzenden von Zügen
in Seligkeit die Seele schwimmt,
wird sie empfindlich für die Lügen,
auf die das Leben uns getrimmt.

Benebelt kannst du klarer blicken,
beschwipst wird nüchterner dein Sinn.
Du hörst des Kosmos Uhren ticken
und gibst dem Ewigen dich hin.

Schon wieder da auf deiner Runde,
du alter Stromer, du, Trabant?
Ich grüße dich zur Abendstunde
ganz herzlich übern Becherrand.

Nie möchte den Moment ich missen,
da du erscheinst am Firmament,
dass eine Weile mir beflissen
dein Lämpchen vor der Feder brennt.

Grad will auf Poe ein Glas ich leeren,
dann nehme ich Horaz mir vor,
um bald auch Goethe so zu ehren,
der selbst auf gute Tropfen schwor!

Will auch den Bellman nicht vergessen
und nicht Villon, den Galgenstrick,
Verlaine und Steinbeck. Währenddessen
wachs ich an Weisheit weiter. Hick!

Und sollte ein Lamento singen,
das dieses Jammertal beklagt –
doch desto wen’ger will‘s gelingen,
je mehr ich „Prosit!“ schon gesagt!

So wie die Pfaffen uns benebeln
mit Engelszungenfertigkeit,
kommt mählich, den Verstand zu knebeln,
die glaubensfreie Trunkenheit.

Dann geht die ganze Weisheit schlafen
und schwitzt sich das Bouquet vom Fell,
beginnend mit dem Zähln von Schafen
und endend mit dem Weckappell.

Wird mit ‘nem Kater sie erwachen?
Da sei Dionysos davor!
Entronnen kaum des Hades Rachen,
leiht schon den Musen sie ihr Ohr.

Schon morgens würd ich gerne dichten,
sobald mir Licht ins Auge fällt.
Ein erstes Schlückchen dann? Mitnichten.
So früh es nur die Kunst entstellt.

Erst abends, dämmernd oder dunkel,
wenn schon das Kerzenflämmchen glüht,
begeistert durch des Weins Gefunkel
zum Sang sich endlich mein Gemüt.

Hat durchaus seine prakt’sche Seite,
die es zu andrer Zeit nicht hätt –
wenn glücklich mich die Muse freite,
kann ich danach sofort ins Bett.

Meisterbeschwörung

MeisterbeschwörungWie gern würd ich die Flasche teilen,
die ich jetzt vor der Nase hab,
mit einem Meister schöner Zeilen,
und weilte er auch schon im Grab!

Archilochos, das wär so einer,
der schlüge keinen Becher aus,
zumal mein Tropfen hier wohl feiner,
als was gewohnt er von zu Haus.

Auch Li Taipo, könnt ich mir denken,
und schon aus Höflichkeit allein,
ließ gern ein Schälchen voll sich schenken –
gerade jetzt bei Mondenschein!

Und auch nicht grad ein Kostverächter
war ja der Muschelbruder Franz,
der Schrecken aller Tugendwächter
nähm die Bouteille gewiss auch ganz.

Gern würde ich den Bellman sehen,
der brächte gleich die Laute mit.
Und mag er auch auf Sundgau stehen –
sagt zum Pinot er nicht igitt!

(Nie würd indes ich invitieren
Herrn Goethe, trink- und sangesfroh,
da könnte ich mich nur blamieren
mit schnödem Landwein – statt Château!)

Horaz, den liebend gern hingegen:
Der mochte alles ländlich schlicht –
und auch mal selber Hand anlegen,
beim Pflug so gut wie beim Gedicht.

Doch: Wär das wirklich auszuhalten,
säß mir da plötzlich vis-à-vis
so eine dieser Top-Gestalten
globaler Spitzenpoesie?

Ich spürte sicher Unbehagen,
und meine Zunge tät sich schwer,
das rechte Wörtlein anzuschlagen,
das jenem angemessen wär.

(Mag jeden man auch Dichter nennen,
der sich mit Versen Ruhm errang,
sind da doch Raum und Zeit, die trennen
den einen von dem andern Sang.)

Ach, sicher läg’s mir in der Kehle
allein aus Ehrfurcht wie ein Kloß,
dass ich die auferstandne Seele
mit offnem Maul bestierte bloß.

Vielleicht ist’s besser, nicht zu stören
die Geister, die dem Tod vermählt,
zumal ja heut, sie zu beschwören,
auch jene Endor-Hexe fehlt.

Sie hätten mir wohl Tipps gegeben,
wie bestens man gebunden spricht.
Nun hol ich Rat mir bei den Reben –
hat der nicht (Oechsle!) auch Gewicht?