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Temperaturschwankungen

Die Lampe oben an der Decke
im schön gewölbten Himmelszelt,
sie leuchtet fast in jede Ecke
und wärmt dabei die ganze Welt.

Doch keineswegs mit gleicher Stärke
sie ihren reichen Charme versprüht
und geht sehr wählerisch zu Werke,
indem sie glimmert oder glüht.

Besonders gut hat es getroffen
der Strich, der weit im Süden liegt
und, allen Zärtlichkeiten offen,
sich dürstend an die Quelle schmiegt.

Dem schickt die Kräfte, die geballten,
im Juli sie zum Überdruss
und lässt auch winters nicht erkalten
den angenehmen Strahlenfluss.

Doch wird vergeblich darauf lauern,
wer dringend ihn zu Hause braucht –
er bricht sich an den Außenmauern
und nur das Land in Hitze taucht.

Drum ist die Sonne auszuschließen
als Wohnungswärmelieferant –
da müsste also üppig sprießen
das Thermische von Menschenhand.

Doch wo gibt’s Rohre, die sich winden,
wo Rippen schön in Reih und Glied?
Ach, kaum hier irgendwo zu finden,
weil man’s nicht so dramatisch sieht!

„Höchstens zwei Monate im Jahre
wird’s etwas kühler mal zur Nacht,
da reichen schon zwei Deckenpaare,
damit man sich’s gemütlich macht.

Und wenn wir aus dem Bett uns tasten
am Morgen in das kalte Bad,
hängt da ja noch der Klimakasten,
der Aircondition-Apparat.

Solln, Kinder wir der lichten Sphären,
den guten Ruf uns ruiniern,
indem wir Heizungen begehren,
die nur beweisen, dass wir friern?“

So leben sie nach Art des weisen
Diogenes in Alt-Athen,
der nicht ermüdete, zu preisen,
Bedürfnissen zu widerstehn.

Tagsüber in der lichten Sonne
bestand zur Klage auch kein Grund –
lag nachts er aber in der Tonne,
fror er erbärmlich wie ein Hund!

Kein Spatzenhirn

In ‘nem Lokal, das frei und offen
dem Spiel der Winde ausgesetzt,
habt ihr ihn wohl schon selbst getroffen,
den Gast, der durch die Lüfte hetzt,

Um unterhalb von Tischen, Sitzen,
auf nackter Erde rings geschwind
die winz’gen Krümel zu stibitzen,
die eurem Hals entfallen sind

Und die ‘ne so bescheidne Speise,
dass sie nicht mal zu Buche schlägt
für einen, der nach Menschenweise
nur ungern abzugeben pflegt.

Da macht es nichts, dass zu dem Mahle
er auch noch seine Kumpel ruft –
der Knauser, selbst der radikale,
es nicht unter Verluste stuft.

Hätt aber unterm Tisch das Treiben
er etwas länger ausgespäht,
hätt er gelernt, es zuzuschreiben,
der Sperlingssolidarität.

Die ähnelt wohl in manchen Zügen
dem Menschen, der zuhauf gern weilt,
nur dass er außer dem Vergnügen
auch noch sein Brot mit andern teilt.

Als wär von Jesus er beflügelt,
zu helfen seinem Bruderspatz –
indes der Pfaff noch immer klügelt:
Fürn Ötsch im Paradies kein Platz!

Ich aber hab Respekt gewonnen
vor diesem prächtigen Kumpan
und deshalb etwas nachgesonnen
auch über seine Lebensbahn.

Wo hat sein Zelt er aufgeschlagen,
wo bringt er seine Freizeit zu,
wenn nach des Tages Beutejagen
der Flügel fordert seine Ruh?

Er soll mit wen’gem sich bescheiden,
nicht fragen, wo er unterkroch –
‘ne Höhle reicht ihm in den Weiden
und notfalls auch ein Mauerloch.

Und nicht mal das hat er alleine
zum ganz persönlichen Gebrauch,
nennt er ‘ne Spätzin doch die Seine
und süße Spatzen manchmal auch.

Es scheint ihm dennoch zu gefallen
das Wohngefühl auf engstem Raum,
da sich bei ihm die Bruten ballen
wie sonst bei andern Vögeln kaum.

Zufriedenheit ist seine Stärke,
sein karges Los beklagt er nicht,
im Gegenteil, für gute Werke
übt weiterhin er gern Verzicht.

Und da sein Glück er schon gefunden,
was soll er in die Fremde ziehn,
den halben Globus zu umrunden
für zweifelhafte Utopien?

Standvogel also. Heimattreuer.
Nährt redlich sich im eignen Land.
Dem große Reiseabenteuer
vom Hörensagen nur bekannt.

Es fehlt ihm ja nicht mal an Bissen,
bedeckt ein Schneetuch seinen Tisch –
dann muss er Korn und Knospe missen,
doch nicht das Brot, das immer frisch.

Ich möchte Philosoph ihn nennen,
Diogenes der Vogelheit,
dem Fragen untern Krallen brennen,
für die der Dompfaff keine Zeit.

Der pfeift mit schillerndem Gefieder
und sichtlich stolzgeschwellter Brust
den ganzen Kanon seiner Lieder
aus selbstzufriedner Sangeslust.

Der Spatz indes, wie jener Weise,
der in ‘nem wind’gen Fass gehaust,
begnügt mit Wohnung sich und Speise,
vor denen es die meisten graust.

Er geht auch nicht in Samt und Seide
und stellt sein feines Tuch zur Schau
als farbenprächt’ge Augenweide
der Marke Westentaschen-Pfau.

Nein, als verkappter Jesus-Jünger,
der’s ernsthaft mit der Armut hält,
scheint diese ihm der beste Dünger
für eine friedlich blühnde Welt.

Nicht wie die einst auf Petri Throne
in der Prälaten Purpurrot –
nein, in der Kutte braunem Tone
erbettelt er sein bisschen Brot.

In eigener Sache

In eigener SacheSoll ich von mir ein wenig euch erzählen,
wahrheitsgetreu, kein bisschen aufgesetzt,
so wie die indiskreten, die Juwelen,
einst vom Intimsten in der Welt geschwätzt?

(Natürlich könnt ihr euch nicht wehren,
die Frage ist nicht ernst gemeint –
ich würd ‘nen Deubel mich drum scheren,
falls unverhofft ihr sie verneint.)

Auf xx Jahre bring ich’s heuer
und seh nicht ein Jahr jünger aus:
auch Kleider machen mich nicht neuer,
da von der Marke „Graue Maus“.

Als in die Welt man mich geschmissen,
ging diese grad entzwei.
Ich lag in meinem Federkissen
und dacht mir nichts dabei.

Auch wo ich da gelandet,
das war mir piepegal.
Hat der, der glücklich strandet,
denn irgendeine Wahl?

So wuchs ich mit den Jahren,
und Ehrgeiz lag mir fern;
der Welt Warum erfahren,
wollt aber stets ich gern.

Macht, Mammon und Meriten,
sie waren nicht mein Ding –
es warn der Weisen Viten,
für die ich Feuer fing.

Die Riesen, viel beschworen,
weil weiter sie gesehn,
indes wir, nachgeboren,
auf ihren Schultern stehn.

O Großtat jener Geister,
dass Neues sie gedacht,
indem zu ihrem Meister
Prometheus sie gemacht!

Den Göttern zu entreißen
der Wahrheit Flammenlicht,
ließen sie Narrn sich heißen,
aus denen Wahnsinn spricht.

Und schritten so versonnen
in ihrem Wissensdurst,
dass ihnen selbst ein Bronnen,
in den sie fielen, wurst.

Und wär’s der Herr der Erde,
man beugte nicht sein Haupt.
„Dass wieder Sonne werde!“,
ward Alex zugeschnaubt.

Die Güter, die gefallen,
warn ihnen Schall und Rauch.
Was braucht es Hof und Hallen,
tat’s eine Tonne auch?

Dem Eigennutz zu leben,
hebt uns nicht ab vom Tier.
Nicht: „Welt, was kannst du geben?“ –
„Was“, fragt ich, „geb ich ihr?“

(Beim Tanz um goldne Kälber
wird dafür man verlacht.
Versteht sich wohl von selber,
dass ich’s nicht weit gebracht.)

Doch das, was ich ihr schenke,
es ist von Wert gering:
nur Verse, ungelenke,
die ich den Sternen sing.

Sie kommen mir von Herzen,
und gern geb ich sie fort
in dieses Kosmos Schwärzen,
die ohne Zeit und Ort.

Und sollt’s der Zufall fügen,
sie fänden wo ein Ohr,
das wär – ich will nicht lügen –
der Hammer Marke Thor.

Doch sollten sie verhallen
im Orkus ungehört,
ich würd nur fester krallen
den Stift, der sie beschwört.

Es ehrt der gute Wille
den Gebenden allein.
Gerade in der Stille
soll Großes ja gedeihn.

Zudem: In meinem Alter
fang ich von vorn nicht an.
Fühl wohl mich als Verwalter
der Kunst, die ich schon kann.

Soweit von Poesie gesprochen.
Steckt mir noch anderes im Blut?
Nein, mit dem Wasser muss ich kochen,
wie’s Meiermüllerschulze tut.

Mit Farben und Figuren
hab ich nicht viel im Sinn.
So wie für Partituren
ich nicht zu haben bin.

Ich blas auf meiner Flöte
mehr hölzern als mit Pfiff
und käm in arge Nöte,
wenn ich zum Pinsel griff.

Hab auch nichts im Gehirne
von Boyle und Kekulé,
grad dass ich eine Birne
heil aus der Fassung dreh.

Als Crack zu überzeugen
fällt ebenfalls mir schwer,
vorm Chef das Kniebeugen
gibt sportlich wenig her.

Und mimische Geschicke?
Die Lust an Schau und Spiel?
Nur wenn für Augenblicke
ich aus der Rolle fiel.

Nicht mal dass beim Genießen
ich gern zu Tische säß –
von mir aus könnten schließen
die Tempel der Gourmets.

Mal mit so Leckereien,
da wird wohl jeder schwach,
doch ihnen mich zu weihen
fänd fade ich und flach.

Von Tausenden Talenten
mit einem nicht begabt!
Nicht mal zum Delinquenten
hab ich das Zeug gehabt!

So leb ich meine Tage
ganz unscheinbar dahin,
der Menschheit nicht zur Plage
und auch nicht zum Gewinn.

(Falls nicht auf diese Weise
die Welt am besten fährt –
wenn jeder still und leise
das Seine nur begehrt.)

Wie immer auch, beenden
will nun ich mein Porträt,
verschwitzt an Hirn und Händen
brauch ich ‘nen Pausentee.

Habt Dank, ihr Herrn und Damen,
dass brav ihr, mit Fasson,
gelauscht der Beichte. Amen.
Und grüßt mir Franz Villon!