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Hinter den Fassaden

Hinter den FassadenDa ragen sie, die Hausfassaden,
der stärkste Sturm weht sie nicht um,
mit Ziegeln bis zum First beladen
in Reihen um die Luken rum.

Sind sie nicht wahre Pyramiden,
den Wettern trotzend und der Zeit,
von jenen Bauten nicht verschieden
im Balsamstein der Ewigkeit?

Ihr Stolz: sich nie gerührt zu haben
vom Fleck, an den man sie gepflanzt,
wie Burgen ohne Wall und Graben,
die hinter Schweigen sich verschanzt.

Seit Jahren hab ich sie beim Wickel,
belagernd sie mit meinem Blick,
doch keine Bresche schlägt mein Pickel
in dies Gemäuer, dumpf und dick.

Was mag dahinter sich verbergen?
Ein Hofstaat, üppig und galant,
der Fürst mit Narren und mit Zwergen,
ein Windspiel an erlauchter Hand?

Ein Ritter, der mit steter Fehde
den knappen Haushalt unterhält
und trotz der Weiber Widerrede
auch Kunkelmagen überfällt?

Womöglich gar ein Hexenmeister,
mit Mächten, schauerlich, im Bund,
ein Nekromant und Herr der Geister,
dem tausend Zaubersprüche kund?

Doch Fantasie einmal beiseite,
soweit sie bunte Märchen spinnt –
selbst wenn ich ihn im Heute reite,
mein Pegasus auf Hafer sinnt.

Wohnt da ein Manager am Ende,
der seinen Aufenthalt verhehlt,
damit im Schutze dieser Wände
er sorglos seine Kohle zählt?

Ein Krimineller alter Schule,
der gern in Hinterzimmer flieht,
dass aus gefülltem Zockerpoole
er fette Euro-Fische zieht?

Vielleicht ein Mime, eingeschlossen,
der sonst das Publikum nicht scheut,
der Paparazzi doch verdrossen
sich hier privater Stille freut?

Oder vielmehr ‘ne alte Dame,
der’s eher klösterlich behagt
und die der Welt und ihrem Krame
in heil’ger Jungfernschaft entsagt?

Die einz’ge Art, es rauszufinden:
Mal hinter die Kulissen sehn.
Ich müsste mich nur überwinden
und, um zu klingeln, rübergehn.

Was mich erwartet? Kann’s vermuten:
Kein Stück in hoffmannscher Manier –
die braven Bürger nur, die guten:
der Koch, der türkische Barbier.

Bildschirm, urban

Bildschirm, urbanMein Bildschirm ist die Fensterscheibe,
die jeden Abend präsentiert
den Heimatfilm um meine Bleibe –
‘ne Gegend, wo der Hund erfriert.

Statt eines Berges kühner Grate,
die zackig vor dem Himmel stehn,
sind künstliche Konglomerate
aus Ziegeln und Zement zu sehn.

Fassaden ohne Elemente
von Zierde und Gefälligkeit,
die Architekten längst in Rente,
die Räte für den Baubescheid.

Und aufgezogen wie auf Fäden
eins, zwei, drei, vier, fünf Fensterreihn,
darunter kleine Krauterläden,
jetzt glasig grell im Neonschein.

Des Bürgersteigs verworfne Schollen,
der Straße rissiger Asphalt:
Nichts nötigt hier, Respekt zu zollen
‘ner Aussicht à la Silberwald.

Der Baumbestand ist arg gelichtet,
dient kümmerlich als Feigenblatt
der Baukultur, die sich verpflichtet
zu Grünzeug in Gesteinen satt.

Das Bild bewegt sich nicht vom Flecke.
Im Vordergrund bisweilen nur
‘ne flotte Kiste auf der Strecke,
‘n Laster bräsig in der Spur.

Passanten, die nach Malz und Hopfen
sich sehnen, wieder heim zu sein.
Ich höre ihre Hacken klopfen,
klack, klack, da auf dem Pflasterstein.

Der Himmel drüber, mal bezogen
mit weich wattiertem Baldachin,
mal spreizend sich in weitem Bogen,
den goldne Sterne überziehn.

‘ne dürft’ge Sicht. Die doch dem Zwecke
durchaus nicht in die Suppe spuckt
von jenem Fenster in der Ecke,
aus dem Herrn Hoffmanns „Vetter“ guckt.

Denn diese statische Kulisse,
die immer gleiche Szenerie,
sie fordert grad das ungewisse,
das freie Spiel der Fantasie.

So scheint mir in modernem Sinne
interaktiv die Fensterschau:
Sie macht ja, dass ich Verse spinne
in dieses ganze Grieselgrau.