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Altenhilfe

Was neulich uns an Quarantäne
ein Virus auf den Hals geschickt,
weicht jetzt allmählich einer Szene,
die freier in die Zukunft blickt.

(Schön, nicht?) Denn müßige Passanten,
dern Schlendern bisher fristbeschränkt,
flaniern jetzt an den Bordsteinkanten
bis wohin ihre Lust sie lenkt.

Doch halt! ‘ne Grenze ist vorhanden,
die nach dem Alter sich bemisst:
Bis siebzig frei von allen Banden,
darüber gilt die alte Frist.

Auch ich gehör zu dieser Truppe,
die man noch an der Leine hält –
hochgradige Gefährdungsgruppe,
unter besondren Schutz gestellt.

Ihr meint, ich hätte schlechte Karten?
Die Ansicht ich nicht teilen kann.
Wie sonst nur der bedrohten Arten
nimmt erstmals meiner man sich an!

Auf einmal will in Watte packen
die Obrigkeit den morschen Leib,
dass ihn des Keims Organattacken
nicht vorschnell in die Kiste treib.

Dafür möcht ich ihr herzlich danken,
s’ ist keine Selbstverständlichkeit,
dass man den Alten und den Kranken
ein solches Maß an Sorge weiht!

Es soll ja durchaus Stimmen geben,
die andersrum argumentiern:
Die werden eh nicht lang mehr leben,
was macht‘s, wenn sie schon jetzt krepiern.

Erinnert mich fatalerweise
an einen Brauch, der einst geschätzt
im alten Japan, wo die Greise
man in der Wildnis ausgesetzt.

Bis zum „gesunden“ Volksempfinden
ist das zum Glück noch nicht gediehn.
Jetzt erst die Krise überwinden
und dann, auch hier, ein Fazit ziehn!

Mehr Sonne

Macht irgendwer sich darum Sorgen,
es möcht der Sonne was geschehn?
Sie kommt ja pünktlich jeden Morgen,
und nie hat man sie säumen sehn.

Sie steigt mit ersten Dämmerzeichen
behutsam übern Erdenrand,
um bald schon rosig zu bestreichen
den Himmel, der ihn überspannt.

Und wandert langsam von der Stelle,
bis sie am Mittag im Zenit,
wo sie in blendend weißer Helle
sich zu ‘nem Punkt zusammenzieht.

Doch mag sie da nicht lange sitzen,
die Hitze lässt ihr keine Ruh,
und leise wie auf Zehenspitzen
läuft weiter sie dem Westen zu.

Da liegt das Ziel der Tagesreise,
das Dunkel unterm Horizont,
das sie auf unsichtbare Weise
mit ihrem gleichen Licht besonnt.

In diesem Rhythmus immer weiter
wie seit Äonen schon vorher:
Der Tag mal wolkig und mal heiter,
doch niemals ohne Wiederkehr.

Ein Kunststück, sich da auszumalen,
dass diese Serie einmal reißt
und auf den innren Sonnenschalen
sie keine Kugel mehr umkreist.

Das aber haben Koryphäen
der Wissenschaft ihr prophezeit,
die tief in ihrem Herzen sehen
die Spuren der Vergangenheit.

Daraus die Zukunft auch erspüren
dank der Prozesse, die man kennt
und die‘s Inferno weiter schüren,
das brodelnd ihr im Busen brennt.

Und ihrer Wallung Hitzegrade,
sie halten damit gleichen Schritt
und teilen schließlich der Fassade,
der Hülle sich der Sonne mit.

Die ging, wer wollte es bestreiten,
nie sparsam um mit ihrem Gut
und lässt sich aus den Fingern gleiten
die aufgeheizte Strahlenflut.

Bist du Planet und auf der Pelle
ihr wie die Mücke ihrem Licht?
Dann fühl, wie aus der Feuerquelle
die Glut dich immer stärker sticht!

Und was da noch an Kreaturen
dir oben auf der Kruste kraucht,
hat auf den kochend heißen Fluren
sein Leben bald schon ausgehaucht.

Zuerst geht’s dem Merkur an’n Kragen.
Das hat der Gute nun davon,
so nah sich an den Kern zu wagen,
viel näher als ein Elektron.

Dann schlägt der Venus schwere Stunde –
so feurig ist der Sonne Kuss,
dass Runde immerzu um Runde
in Qualen sie sich winden muss.

Nun muss die Erde daran glauben,
die Nummer drei im Karussell;
die Grade stets sich höherschrauben,
bis sie ihr abgesengt das Fell.

Die Ströme dürsten und versiegen,
die Meere und die tausend Seen.
Es stirbt das Leben wie die Fliegen
und wird kein Hahn mehr danach krähn.

Der Weltenbrand, den ich entfache
hier auf poetischem Gefild,
hat nichts zu tun mit Panikmache,
wie höhren Orts man gerne schilt.

Er ist so sicher wie das Amen
von jeder Kirchenkanzel her
und auch in dem beschriebnen Rahmen,
als ob’s die Götterdämmrung wär.

Indes muss in Geduld sich üben
ein unerschrockner Defätist,
denn das Desaster kommt in Schüben
erst nach ‘ner größren Galgenfrist.

Noch tausend Millionen Jahre,
sofern der Augur sich nicht irrt,
kriegt sich der Stern nicht in die Haare
mit dem Geschmeiß, das ihn umschwirrt.

Das ist, um sich drauf einzustellen
in seiner ganzen Schwächlichkeit,
für Gottes findigen Gesellen
‘ne sagenhafte Vorlaufzeit.

Da kann er tüfteln und probieren
sein ganzes kurzes Leben lang,
bis schließlich sich die Flops summieren
zu seiner Söhne Forscherdrang.

Die pusseln dann verbissen weiter,
bis mal der große Wurf gelingt,
der einen auf der Himmelsleiter
ein gutes Stück nach oben bringt.

Ob allerdings die Menschenwesen
der Sonne Zorn dereinst entgehn,
darüber könnt ihr hier nichts lesen –
doch in den Sternen wird es stehn.

Das kennen wir doch

das-kennen-wir-doch-francisco-de-goyaTauch ein ich in der Nächte Ruh,
um meinen Grillen nachzuhängen,
dann drückt bisweilen mich der Schuh
der Menschheit selbst mit seinen Zwängen.

An allen Ecken brennt die Welt
in großen und in kleinen Flammen,
bricht über Hütte, Haus und Zelt
wie Sodoms Strafgericht zusammen.

Hier schlägt der Krieg mit blindem Hass
dem Volke tödlich seine Wunde,
da geht’s durch andern Aderlass,
durch Pest und Hunger vor die Hunde.

Ach, würden gegenseitig nur
die Schlächter sich beim Wickel kriegen,
es müsste ihre blut’ge Spur
mit ihnen selbst einmal versiegen.

Doch ist der Mächt’ge feig zumeist
und zeigt bloß Schwachen seine Krallen,
ein Löwe, der nur Lämmer reißt,
die krank ihm schon vors Maul gefallen.

Bis hierher, Leute, ungefähr
komm ich mit den Gedanken-Flausen
und dass nicht Mob und Militär,
nein, auch Konzerne schrecklich hausen.

Wie wichtig, laut und unverhüllt
die Stimme zu erheben,
dass sie auch andre Seelen füllt
mit ihrem Zornesbeben!

’s ist leider Krieg, und ich begehre,
nicht schuld daran zu sein –

dies durfte einst zu seiner Ehre
wer in die Lande schrein.

Doch ich, ein unbeschriebnes Blatt,
kann Verse noch und nöcher spinnen –
der Leute Lauscher, goethesatt,
vermögen sie nicht zu gewinnen.

Wenn einst zu Asche und zu Staub
die Mauern rings verrottet,
der Stürme und der Zeiten Raub,
der aller Hürden spottet,

Entdeckt vielleicht, man weiß ja nie,
mit welchem Instrumente,
ein Spatenwissenschaftsgenie
verwitterte Fragmente

Der Blätter, die zu später Stund
ich füllt‘ mit Schnörkelreihen,
und jubelt über seinen Fund
vergangner Grübeleien.

Dann wollte ich, in seine Sicht
auch hiervon kämen Fetzen,
dass Freud empfänd er vorm Gedicht
und vor der Zeit Entsetzen!