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Der Einbaum

Der EinbaumDer Stammbaum, eine dieser Gaben,
die uns der Forschergeist geschenkt,
die Menschheit hat ihn ausgegraben
und im Museum wo versenkt.

Da kümmert er im Magazine
mehr als Kuriosum vor sich hin,
anstatt, was doch gerechter schiene,
als Superschaustück mittendrin.

Der Grund ist unschwer zu erraten,
da diesem Wunsch er widerspricht:
Den Homo als ‘nen Separaten,
ganz anderen erweist er nicht.

Denn von der Wurzel bis zur Krone
ist er in einem Stück verzweigt
gleich dieser ries’gen Märchenbohne,
die windend sich zum Himmel steigt.

Und was, ihm aus dem Stamm entsprossen,
sich immer mehr verästelt hat,
sind Leidens- oder Glücksgenossen,
Gefährten bis zum letzten Blatt.

Der Anfang: Aus der Knospe fliehen
ins Wunder einer lichten Welt.
Das Ende: In die Erde ziehen
in Nächte ohne Sternenzelt.

Der Stammbaum, imposante Größe,
wie altem Adel sie gebührt,
gibt in dem Punkt sich keine Blöße –
das Lebensbuch wird streng geführt.

Da schreit der Mensch: Von Gottes Gnaden
hab doch Verstand ich abgekriegt,
ein Unding, dass gleich dem von Maden
und Mücken nur mein Leben wiegt!

Hat sich der Herrgott erst die Mühe
mit unsrem, seinem Geist gemacht,
will er gewiss nicht, dass wie Kühe
am Haken wir ums Fell gebracht!

Doch unerforschlich seine Wege,
wie listig schon die Kirche lehrt,
die noch die schlimmsten Schicksalsschläge
mit seiner Liebe uns erklärt.

So hat er uns den Geist gegeben
im Daseinskampf als Schirm und Schild
und nicht, um so hervorzuheben,
dass die Natur für uns nicht gilt.

Wo hast du, Schlachter Tod, sie liegen,
die Würste, unverweslich frisch,
dass die auf Aas begier’gen Fliegen
nicht schwirrn um diesen Hacketisch?

Und wann hast du mit scharfem Beile
den Hals des Opfers je verfehlt,
dass es für eine winz’ge Weile
noch auf Errettung hätt gezählt?

Fest hängen wir an diesem Baume,
der uns millionenfach gezeugt –
vom Hopfen bis zur Haferpflaume,
vom Käfer bis zum Tier, das säugt.

Und unterm Dach, in seiner Krone,
da haust der Mensch, noch ziemlich neu,
im Schulterhalfter ‘ne Kanone
und macht die andern Mieter scheu.

Doch mag er sie das Fürchten lehren
mit seiner rücksichtslosen Art –
sein Leben wird nicht länger währen
noch seine Seele aufbewahrt.

Das Bäumchen hält wie alle Blätter
ihn nur so lange auf der Welt,
bis einst im Herbst bei Wind und Wetter
entkräftet er zu Boden fällt.

Dann kommen Pfaffen, zu verscharren
mit frommen Sprüchen sein Gebein,
sie selber Blätter auch – und Narren,
sich brüstend mit der Weisheit Schein.