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Von Ranken und Reben

Des Hauses harte Ziegelwangen
auf einmal nackt wie neugeborn;
mit Messern, Scheren, Sägen, Zangen
hat rüde man sie glattgeschorn.

Und statt der filzigen Geflechte,
die weithin wuchernd sie bedeckt,
zeigt sich die Haut erneut, die echte,
in fadem Gelb, das grau gefleckt.

Man hat das Weinlaub kappen müssen,
weil es nicht ganz geheuer ist
und sich mit Frost und Regengüssen
gefährlich ins Gemäuer frisst.

Was nützt die hübscheste Fassade,
die Büschel bunter Blätter ziern,
wenn mit den Jahren ohne Gnade
die Klinker ihren Halt verliern?

Noch immer ist da was im Gange,
Gerüste ragen noch empor;
doch manchmal dringt auch ziemlich lange
des Werkzeugs Schweigen mir ins Ohr.

Vor meinem Fenster auf den Planken
turnt nur ein Typ noch auf und ab,
der schabt und schmirgelt an den Flanken
sich stundenlang die Pfoten schlapp.

Das deutet auf ein bald’ges Ende
der großen Säuberungsaktion:
Befreiung strupp’ger Außenwände
von Kräutern, die mit Folgen drohn.

Woraus die Weisheit zu erschließen,
die auf des Plato Lehre speit:
Das Schöne, das wir so genießen,
liegt mit dem Guten oft im Streit.

Und schon ein Eigentor geschossen!
Ja, sitz ich denn im Glashaus nicht?
Gehn Reben, die in Wein zerflossen,
nicht mit der Leber ins Gericht?

Gewiss. Doch nur, wenn einem schmeckte
weit mehr als hier und da ein Glas,
denn die verderblichen Effekte,
die zeitigt erst das Übermaß.

Kein Grund, mir aus dem Hals zu reißen
dieses Gewächs mit Stumpf und Stiel –
ja, mit dem Roten und dem Weißen
auch mancher Vers ins Wasser fiel.