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Ein besserer Herr

Der Ingenieur ist unbestritten
ein Mensch von höherer Kultur.
Er kennt sich aus mit Kegelschnitten
und mancher anderen Figur.

Wen sollte es da wundernehmen,
dass er auch Ausdruck will verleihn
den Kenntnissen, die zu verbrämen
er liebt mit klassischem Latein?

„Mens sana…“ und so alte Hüte,
die kramt bevorzugt er hervor
aus seiner kleinen Sprüche-Tüte
fürs anspruchslose Hörer-Ohr.

Nicht minder mag er Eindruck schinden
mit seinem edlen Steckenpferd,
dem Schach, von dem die meisten finden,
es sei der Spiele Krone wert.

Wie dürftig wär sein Geist indessen,
ja, dass es gar am Image kratz,
hätt im Konzert er nicht besessen
‘nen festen Abonnentenplatz!

Doch sind dies alles schon Beweise,
dass wer hier auf Elite macht?
Dann sei auch noch die Urlaubsreise,
die winterliche, vorgebracht.

Mit Skiern unter steifen Knochen
glitscht glatte Pisten er zu Tal.
Der Glücksfall dann: Ein Bein gebrochen –
viel Gips und Ehre auf einmal!

Hat auch es etwas zu bedeuten,
dass einen Boxer er sich hält,
mit dem zu andern Hundeleuten
er sich zum Plausch im Park gesellt?

Bezeichnender in jedem Falle
erscheint mir, was sein Gaumen liebt:
Bei Bratwurst kommt ihm hoch die Galle,
dass lieber er noch Kohldampf schiebt.

Dagegen bei Delikatessen,
pochiert, gedünstet und gegrillt,
könnt endlos er wohl weiteressen,
bevor sein Luxus-Schmacht gestillt.

Woher, fragt ihr, will ich das wissen?
Ich hab es selber oft erlebt,
dass er nur ausgesuchte Bissen
an die sensiblen Lippen hebt.

Und auch, wie seine Hemdmanschette
dann am Gelenk den Halt verlor,
dass an der freigelegten Stätte
‘ne Prachtuhr plötzlich kam hervor.

Sollt meine Neugier ich verhehlen?
Rasch fragte ich, was ihn da schmück,
ihn so ermunternd zu erzählen,
was er berappt fürs gute Stück.

Das war ein Batzen, kaum zu glauben,
für so’n alltägliches Gerät,
das bloß mit Rädchen und mit Schrauben
zwei Zeiger um die Achse dreht!

Dafür kann glatt man hundert kriegen,
die billig, aber akkurat –
doch eben auch nicht so gediegen
wie dieses Beinah-Unikat.

Das breite Spektrum der Int’ressen,
wie einen Mann von Welt es ziert,
es lässt auch daran sich ermessen,
dass er mit Aktien spekuliert.

Ja, jeden Morgen eine Stunde
macht er sich an den Dax heran,
damit er faule und gesunde
stets aktuell vertauschen kann.

Mit einem Wort, er führt ein Leben,
das seinen Status unterstreicht,
um sich von jedem abzuheben,
der einem Dipl.-Ing. nicht gleicht.

Kein Vorkämpfer humaner Werte,
was sich ja wohl von selbst versteht –
so blieb die Börse, die er leerte,
für andre immer zugenäht.

Dabei um Gründe nie verlegen,
dass ihn dafür kein Tadel trifft.
Da bettelt wer für Brot? Von wegen –
versoffen wird das und verkifft!

Der Mensch in seinem Heil’genscheine,
mit dem er sich so gerne krönt,
er liebt speziell die Art, die feine,
die ihm die eigne Welt verschönt.

Maß voll

Maß vollDer Ingenieur von Gottes Gnaden:
Nichts wen’ger als ein Geistesgnom!
Er hat studiert, er kennt den Laden.
Geprüft, besiegelt per Diplom.

Das lässt er gern auch alle wissen,
Bescheidenheit ist nicht sein Ding.
Auf keinem Schriftstück möcht er missen
das stolze Kürzel Dipl.-Ing.

Nun ja, so kleine Eitelkeiten,
die liegen allen uns im Blut.
Doch hat er auch noch schlimmre Seiten –
zum Beispiel die Erklärungswut.

Um sich als Kenner auszuweisen,
verhackstückt er von A bis Z
zu Teilchen, die um Teilchen kreisen,
Probleme, die man sonst nicht hätt.

Und da er sich gefällt im Schwatzen,
hält er auch sonst nur selten still.
Vom Dache pfeifen es die Spatzen,
dass keiner ihn mehr hören will.

Die Crux indes, beim Archimedes!,
er glaubt sich wissend rundherum,
mischt sich in jedes Thema, jedes!
O litterae, o saeculum!

Da kann es häufiger passieren,
dass man an „sus Minervam“ denkt –
so, wenn er, um zu imponieren,
Historiker auf „Issos“ lenkt.

Oder wenn er als kunstbegeistert
dem Vis-à-vis sich präsentiert
und Verse, die dahingekleistert
von Meister Knittel, deklamiert.

Sein Ansehn weiter noch zu heben,
streut gern er mal ein Fremdwort ein:
tough, roundabout – na, Englisch eben
wie auch sein Techniker-Latein.

Aus seines Geistes dürft’ger Quelle
saugt er die kleinsten Tröpfchen auf
und stellt bei schönster Sonnenhelle
sie als Juwelen zum Verkauf.

Ihm ist, als ob er alles wüsste.
Die ganze Welt sein Fachgebiet.
So kreuzt er kühn vor jeder Küste,
weil er die Klippen gar nicht sieht.

Mit diesem Dünkel mag befahren
er hoch zu Ross die Lebensfrist.
Indes wird der ihm nicht ersparen
die Grube, die man gleich bemisst.

Dann aber wird sein Herz gewogen.
Und dumpfe Ahnung ihn beschleicht.
Die Waage ward noch nie betrogen:
Die ist hier höllisch gut geeicht!