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Kürze des Lebens

Kürze des Lebens„Ich werd’s im Leben nicht vergessen“ –
ein Spruch, den man sehr häufig hört
und der, an dessen Frist gemessen,
was Kurzes eher doch bschwört.

In allem Treiben, allem Reden
klingt unbewusst Gewissheit mit,
dass abgesehn von Unfallschäden
für die Unsterblichkeit man fit.

Das lügt der Mensch sich in die Tasche,
weil’s schmeichelt seinem eitlen Geist
und nach der Kirche alter Masche
nicht Wahrheit, aber Trost verheißt.

Wie sollte man es besser sagen?
„…hat mich erschüttert und erschreckt
und werd so lange Trauer tragen,
bis selbst mich einst die Erde deckt“?

Das wäre ehrlicher gesprochen,
weil’s an der Tatsache nicht dreht,
dass nur aus Fleisch und Haut und Knochen,
nicht zu recyceln, man besteht.

Wie Würmer wir im Staube wohnen,
die Partner uns im Totentanz –
und schmücken uns mit goldnen Kronen
zum lächerlichsten Mummenschanz.

Am poppigsten gehn die Prälaten,
voran der Papst als Friedensfürst,
Moral gebietend allen Staaten –
im Samt gestopfte arme Würst.

Danach die Herrn Hochwohlgeboren
und Damenschaft von blauem Blut,
die sich in unsre Zeit verloren
samt Hochzeitspomp und Rittergut.

Und schließlich noch die Reichsgebieter
aus Politik und Kapital,
die in Karossen fahrn, 3.Liter,
und Fummel tragen erster Wahl.

Und mit welch Wichtigtuer-Mienen
stolziern die andern durch die Welt –
als ob sie völlig sicher schienen,
dass sie mit ihnen steht und fällt!

Das kleinste Licht im Unternehmen,
die größte Null im ganzen Land,
statt ihres Status sich zu schämen,
gerieren sich als Geistgigant.

So paradiert in Wichs und Würde
der Mensch durch seine Lebensspur,
dem Schafe gleich in seiner Hürde,
nichts ahnend von der großen Schur.

Wenn mehr wir auf das Ende sähen,
sähn wir nicht auch, wie hirnverbrannt
nach Reichtum, Macht und Ruhm wir spähen,
die uns zerrinnen doch wie Sand?

Gewiss: Dem Augenblicke leben –
doch voller Demut vor der Frist.
Wie viel kann uns ein Blümchen geben
an Schönheit, die unsterblich ist!