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Vor dem Richterstuhl

Vor dem Richterstuhl, Honore DaumierHeut will ich eurer, Sänger, hier gedenken,
die ihr Apollos liebste Schüler seid,
ganz vorn auf des Parnassos stein‘gen Bänken,
das Rohr, die Lyra immer griffbereit.

Ich muss nicht lang euch erst beim Namen nennen,
die Tür an Tür ihr im Gedächtnis wohnt
der Menschen, die zum Worte sich bekennen,
das hoch über geschwätz‘gen Zungen thront.

Erlaubt mir, diese Zeilen euch zu weihen –
nicht als Votant, der euch um Segen fleht,
doch dass ihr meinen ständ‘gen Kritzeleien
mal musenkritisch auf die Pfoten seht.

Die hier ansonsten über Künste richten,
mir schleierhaft, wie ihren Spruch sie fälln!
Ob Goldschnitt, Ledereinband sie gewichten,
ob sie im Stillen Horoskope stelln?

Ob sie ergründen der Gedanken Tiefe,
den Klang empfinden, der sie stützt und trägt?
Ihr Lächeln schenken sie, doch dieses schiefe,
das seine Absicht selber widerlegt.

Unsterbliche, ich fleh euch um ein Zeichen,
mir zu gebieten „Weiter!“ oder „Halt!“ –
ein winziges, es würde mir schon reichen,
sofern es unverkennbar mir nur galt.

(Hier denkt euch eine Pause eingeschoben,
die vierzig, fünfzig Versfuß so umfasst,
dass die Juroren im Gewölk da oben
ihr Urteil bilden können ohne Hast.)

Ihr schweigt noch? Soll ich etwa selbst mich preisen
als einen Sangesbruder von Talent,
als Vater einer muntren Schar von Weisen,
die es wohl wert, dass sie Bewundrer fänd?

Ihr schweigt? Wollt ihr mich auf die Folter spannen
der Ungewissheit, die das Herz zernagt?
Oder passierten euch vielleicht gar Pannen,
dass ihr die Sache vorderhand vertagt?

Ihr schweigt? Ach, endlich habe ich’s begriffen!
Genau das eben ist als Wink gemeint!
Heißt’s nicht Wer schweigt seit alters schon geschliffen,
der offensichtlich zuzustimmen scheint?

Keine Geduld

Keine GeduldWenn ich erst lange warten müsste
auf irgendeine Schnapsidee,
bevor ich mich zum Reimen rüste:
Behaglich auf dem Kanapee

Gebreitet die morbiden Knochen,
den Geist nur mäßig angespannt,
und erst nach Tagen oder Wochen
das Schreibgelüst mich übermannt

Würd mir gewiss der Faden reißen,
der die Geduld am Zügel hält,
und ich den ganzen Krempel schmeißen
ins letzte Eckchen dieser Welt.

Will sie mir aus dem Quell nicht regnen,
dem Pierien Dichterkraft verlieh,
kann sie im Mondschein mir begegnen,
die bloß sporad’sche Fantasie.

Doch seht, ich mache fröhlich weiter,
mein Kuli kurvt noch übers Blatt.
Beweis: Der Musenklepper-Reiter
stets frisches Heu im Schober hat.

Sobald ich nur zur Lyra greife,
erklingen auch die Töne schon,
und völlig ohne Warteschleife
wie manchmal die beim Telefon.

Nur Störgeräusche können stoppen
den steten Melodienfluss –
am liebsten würd ich ihn verkloppen,
den Nachbarn, der jetzt bohren muss!

Farbwechsel

FarbwechselBaron von Crailsheim, hab die Ehre!
Visitenkarte: Kabinett.
Ob ich den Zutritt ihm verwehre?
Geschmack macht Eitelkeiten wett!

Ein Müller-Thurgau, dröge Sorte,
in einem Beutel aufgebockt,
kam heut mir an die Musenpforte
der Küche, wo ich grad gehockt.

Ich hab ihn reserviert empfangen
und von der Seite erst beschielt,
weil meines Weines Farbverlangen
zurzeit ins Rötliche mehr spielt.

Doch soll man nicht zu kleinlich denken –
der Gaumen fäll das Urteil hier:
ob ihm das Gastrecht sei zu schenken,
ob man hinaus ihn expedier.

Und auch das Hirn soll bei der Sache
noch sprechen ein gewicht’ges Wort:
ob denn die Fantasie erwache
in seinem Oberstübchen dort.

Nach ein’gen Gläsern, die ich wegen
just dieser Frage nur probiert,
muss ich erkennen, dass der Brägen
wie auch die Kehle ihn goutiert.

Doch muss die Lyra drunter leiden?
Nun, was des Safts Ertrag betrifft,
magst du, Geneigte, selbst entscheiden –
lies einfach diese Niederschrift!

Vom Sang der Leier

Vom Sang der LeierVerträgt sich mit dem Weltgeschehen,
das fürchterlich die Zähne bleckt,
die Lyra, die auf leisen Zehen
die Hörner in den Sand nur steckt?

Verträgt sich mit den Obrigkeiten,
die gerne auf die Pauke haun,
das sanfte Tremolo der Saiten,
die auf den Klang der Stille baun?

Verträgt sich mit des Nächsten Keifen,
den an der Wand die Fliege stört,
Akkord nur um Akkord zu greifen,
der falsche Harmonien beschwört?

Da sei der große Spötter Heine,
das Lästermaul Villon davor,
die ließen Laute von der Leine,
da sträubte sich das Bürgerohr!

Denn ihrer Töne muntre Wellen,
mal heiter und mal sturmbewegt,
musst ja das grobe Wort entstellen,
das Gift und Galle in sich trägt!

(So unser Spießer in dem Wahne,
der Dichter lebe auf dem Mond
und sei dem Gott nur Untertane,
der in olymp’schen Wolken wohnt.)

Drum ohne Zag und ohne Zittern
wirf, Lyra, kühn dich in die Schlacht!
Magst unterm Hieb du auch zersplittern –
den Kampf hast du vorangebracht!

Doch bleib auch für die Töne offen,
die dem verträumten Herzen nah –
dann ist die Welt, auf die wir hoffen,
für einen Augenblick schon da!

Im Zwielicht der Klause

Im Zwielicht der KlauseNoch kann man alles gut erkennen;
doch lautlos steigt die Schattenflut,
mit Finsternis zu überrennen
den letzten Hauch der Mittagsglut.

Des Tages sommerliche Schwüre,
mit heißem Atem ausgehaucht:
auch dieser Nacht noch Ouvertüre,
lauwarm indessen und verbraucht.

Dass dieses schwüle Unbehagen
nicht lähmend auf die Lyra fällt,
hab ich den rebenfreud’gen Magen
auf Gerste heute umgestellt.

Im Übrigen die Requisiten,
die euch als Kennern ja vertraut:
Herd, Kerze – nicht zu überbieten,
wenn nächtlich man ein Liedchen braut

In seiner Alchimistenküche,
wo man nach Kräften sublimiert,
dass aus dem Sud zerkauter Sprüche
der Weisheit Gold kristallisiert.

Und wie die Alten halb besessen,
zufrieden doch verfolgt ihr Ziel,
so hock ich heute selbstvergessen,
‘ne Handbreit Glück stets unterm Kiel.

O wie das Schicksal mich begnadet
und Segen übers Haupt mir gießt,
so dass es wirklich nicht mal schadet,
wenn keiner meinen Schmonzes liest!

Im Frieden seine Leier zupfen
und fröhlich seinen Teller leern
und außer jährlich einem Schnupfen
mit sonst nichts weiter sich beschwern

Scheint mir der Gipfel der Vergnügen,
die uns das Leben bieten kann,
und, um dies noch hinzuzufügen,
ein kleines Schlückchen dann und wann.

Das mag nicht sehr bedeutsam klingen,
setzt man auf Ehre, Ruhm und Geld –
doch grad an so banalen Dingen
fehlt’s allenthalben auf der Welt.

Zwar kann ich hören nichts und sehen,
die Finsternis ist gar zu groß.
Doch fühl ich Augen daraus flehen,
die mich beneiden um mein Los.

Mein Bambushain

Mein BambushainBehaglich hock ich in der Kammer,
wo Wärme mich und Wein verwöhnt,
und diesen ganzen Erdenjammer
das Spiel der Lyra übertönt.

Ein Wachslicht leuchtet mir zur Seite,
und hoch am Himmel gleißt der Mond,
der noch nicht voll um Haaresbreite,
schon stolz in seinem Hofe thront.

Mal kreuzt Gewölk mit finstren Flügeln
die Bahn verdunkelnd, die er geht,
doch ohne seinen Lauf zu zügeln
von schwanenhafter Majestät.

Hier unten rauchen Friedenspfeifen
vom Feuer ihrer Harmonie.
Kein Fuß mehr auf dem Zebrastreifen,
kein Auto mehr beim Wasserski.

Der Altbau, kurz vor der Ruine,
mir wieder Turm aus Elfenbein,
wo heiter ich den Musen diene,
den Weisen gleich im Bambushain.

Bei diesen, die im Reich der Mitte
als Dichterfreunde einst gelebt,
war in der Einsamkeit es Sitte,
dass Pinsel man und Becher hebt.

Des Gaumens und des Weines Freuden
in der Idylle froh vereint.
Genießend keine Zeit vergeuden –
ein guter Grundsatz, wie mir scheint.

Er hat als fruchtbar sich erwiesen,
was ihre Poesie betrifft.
So folg ich dichtend also diesen,
das Gläschen schwenkend wie den Stift.

Dabei vergehn so rasch die Stunden!
Man sieht’s am Firmament sogar:
Der Mond ist wieder längst verschwunden,
der grade in Vers 2 noch war!

Das Wachs ein gutes Stück geschmolzen,
dass stummeltief die Flamme steht.
Mit meiner Kerze, dieser stolzen,
es sichtlich nun zu Ende geht.

Was soll ich von der Flasche sagen?
Bis auf den Bodensatz geleert.
Ich spür ein Gluckern schon im Magen –
den Saft, der seine Säfte mehrt.

Auf Mitternacht marschiern die Uhren,
noch fünf Minuten bis zum Schlag;
und dann verlieren sich die Spuren
von diesem dritten Monatstag.

Gewiss hock ich auch morgen wieder
in meinem stillen Kämmerlein –
doch die ich dann mir sing, die Lieder,
es werden nicht die gleichen sein.