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Alles trügerisch

Alles trügerischDie Dinge werden nicht so bleiben.
Mit Dauer narrn sie unsern Sinn,
da sie doch unaufhörlich treiben
im Mahlstrom der Äonen hin.

Zur Stippvisite nur geboren,
erkennen wir den Wandel nicht,
der, Jahrmillionen ausgegoren,
der Nachwelt erst ins Auge sticht.

Nicht mal der Boden untern Quanten
steht unverrückbar felsenfest;
mit seinen Ecken, seinen Kanten
er jeden Halt vermissen lässt.

Verwerfen, falten, sich verschieben –
die Erde kommt nur zäh voran;
ihr Logbuch doch, in Stein geschrieben,
zeigt ihren langen Atem an.

Im Kosmos ganze Galaxien,
die, was sie auch in Fahrt gebracht,
wie Heere sich entgegenziehen
zur Giga-, Gaga-Sternenschlacht.

Das hat der Mensch herausgefunden,
und das macht seine Größe aus.
Doch ist er damit auch entbunden
vom flücht’gen Dasein einer Laus?

Muss deshalb er den Göttern gleichen,
weil er ein bisschen Grips im Hirn?
Mir soll er fürn paar Verse reichen –
ich glaube an der Parzen Zwirn.

Noblesse

NoblesseWir wollen Grandseigneur ihn nennen,
denn was dem Nachbarland gefällt,
es passt auch diesseits der Ardennen
für einen, der auf Würde hält.

Wenn also wir zunächst beschauen,
was jener auf dem Leibe trägt,
dann können wir den Augen trauen,
wenn alles mehr ins Graue schlägt.

Von feinstem Tuch sind die Gewänder,
die seinem Körper er verehrt,
erzeugt durch jene kargen Länder,
wo man die beste Wolle schert.

Doch nicht in diesen schrei’nden Tönen,
mit denen sich der Pöbel ziert
und wie sie den Geschmack verhöhnen,
der in der Würze sich verliert!

Für einen solchen Distinguierten
geziemt sich nicht die bunte Schau;
er ist wie alle grau Melierten
das Gegenteil von einem Pfau.

Nun ja, so kleine Eitelkeiten
sind unserm Helden auch nicht fremd:
Monokel, um den Blick zu weiten,
ein Kettchen vorm gestärkten Hemd

Krawatte mit beperlter Nadel,
Manschettenknöpfe mit Brillant –
von Kopf bis Fuß gediegner Adel,
womöglich gar der Queen verwandt.

Und so wie die gewebten Waren
die eines bleichen Pierrot,
so sind auch Sprache und Gebaren
gemessen stets und comme il faut.

Er hält sich jederzeit im Zaume,
ein Muster der Besonnenheit;
geht stolz und steif in jedem Raume,
den man ihm als Kulisse leiht.

Wenn er mit jemand Worte wechselt,
dann mit gekonnter Bonhomie –
niveauvoll, aber nicht gedrechselt,
gehoben, doch nicht mit Chichi.

Kurzum, er fühlt sich überlegen
und freut sich seiner Dominanz,
tritt huldvoll aller Welt entgegen
und hält sie tunlichst auf Distanz.

Hat er vielleicht verborgnes Wissen,
gemurmelt aus Orakelmund,
sein feiner Zwirn würd nie zerrissen –
so täten es die Parzen kund?

Dass so er von erhöhter Warte
die eitle Welt belächeln kann,
weil selber er die Eintrittskarte
zum ew’gen Leben schon gewann?

Oder ist schlicht er nur ein Blender,
ein billiger Noblesse-Verschnitt,
‘ne bessre Art Klamottenständer,
der Menschliches nur stellvertritt?

Falls Delphi, hat zu seinem Schaden
missdeutet er die Raunerei:
Zerrissen wird er nicht, der Faden –
man schneidet einfach ihn entzwei!

Und dennoch ist er zu beneiden:
Gelassen steckt er alles weg.
Den Tod selbst würd er still wohl leiden –
doch, Jesses, keinen Soßenfleck!

 

Fast wie neugeboren

Fast wie neugeborenEin neues Leben soll beginnen,
nachdem das Übel endlich weg,
nachdem der Brand im Bauch da drinnen
erstickt mit klinischem Besteck.

Vertauscht mit meinem schlichten Kissen
das Krankenbett, dies Wunderding,
das ganze Strippenzeug zerrissen,
mit dem ich da am Galgen hing.

In der Umgebung, der vertrauten,
vollende sich der Heilprozess,
bis stolz die Bulletins verlauten:
„Genesen und gesund.“ Indes

Soweit des frommen Wunsches Denken.
Und nun die bittre Wirklichkeit:
Die Knochen mich mit Schwäche kränken,
sind lange noch nicht dienstbereit.

Wie Watte fühlen sich die Beine,
wie Pudding noch die Arme an,
dass mit dem Rumpfe im Vereine
ich kaum drei Schritte gehen kann.

Dann bin ich auch schon aus der Puste,
dass ich ein Weilchen stehen bleib,
wobei ich japse und mir huste
die Seele rasselnd aus dem Leib.

Und dann die Treppe, meine Fresse,
wie sie den dritten Stock erklimmt!
Verflucht die luftige Adresse,
die mir den letzten Atem nimmt!

Und angelangt am heim’schen Herde,
leg ich erschöpft mich erst mal flach,
damit des Sofas Muttererde
mir mählich wieder Beine mach.

So theoretisch wohl genesen
mit Arztes Segen und Attest,
bin ich doch ein gebrechlich Wesen,
das noch zu wünschen übrig lässt.

Doch will ich in Geduld mich üben
und hoffnungsvoll der Dinge harrn.
Kommt Bess’rung nicht in kleinen Schüben?
Spinnt dicker, Parzen, euer Garn!