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Tagesgericht

Wenn ich am Abend jetzt gelassen
über die Schulter schau dem Tag
und sollt ‘ne Note ihm verpassen,
ich erst einmal am Nagel nag.

Ist irgendwas herauszustreichen,
das anderen voraus er hat,
die bis aufs Haar sich alle gleichen
wie’s Schwarz auf dem Kalenderblatt?

‘ne Pirsch in einem Wildgehege?
Kunstkucken in ‘ner Galerie?
Besuch im Studio Körperpflege
mit Anti-Aging-Garantie?

Unmöglich selbst beim besten Willen.
Ist momentan doch alles zu.
Bevor wir nicht Corona killen,
bleibt Herdenbildung streng tabu.

Dann also lieber Bücher lesen
und was man sonst zu Hause macht,
bis von der Pandemie genesen,
die Welt aus ihrem Schlaf erwacht.

Genauso habe ich’s gehalten –
mal in Lektüre mich vertieft,
mal durch den Dunst, den feuchten, kalten,
mich bis zum Supermarkt geschnieft.

Danach mit rosarotem Zinken
zu Haus mich wieder eingeloggt,
um in dem Sessel zu versinken,
in dem es sich am weichsten hockt.

Jetzt hieß es lungern nur und lauschen:
Musik mit Harfen und Schalmein.
Den Platz würd ich mit niemand tauschen.
Hier nickt man straflos auch mal ein.

Um dem indessen vorzubeugen,
griff ich zur Flöte dann direkt,
um selber Töne zu erzeugen –
die hätten Lazarus erweckt!

Konnt nicht ein Tässchen Tee mich reizen?
Natürlich, nach verdienter Ruh!
Man muss nicht mal den Finger spreizen,
es schaut ja keiner einem zu.

Und endlich auch, den Kreis zu schließen,
der stete Nachtritt zum Parnass,
um frische Verse nachzugießen
ins durst’ge Danaidenfass.

Was gibt es da noch zu bedenken?
Mir ist ums Urteil nicht mehr bang:
Mehr kann ein Tag doch wohl nicht schenken
als so ‘nen fleiß‘gen Müßiggang!

Ein Höllenlärm

Ein HöllenlärmSo Charaktere zu studieren,
das macht mir immer wieder Spaß,
in andre Seelen zu spazieren,
zu andrer Geister Blick und Maß.

Da kenn ich keine Standesschranken,
fühl mich in jeden gerne ein,
beflügelt nur von dem Gedanken,
ihm innerlich ganz nah zu sein.

Doch meist bekommt dem guten Manne
die übergroße Nähe nicht,
hau ich ihn ja doch in die Pfanne
nach Strich und Faden im Gedicht.

Doch wie könnt so was unterbleiben?
Gerät man in des Nächsten Dunst,
wär ‘ne Satire nicht zu schreiben
gewiss die eigentliche Kunst.

Da seh ich also heute einen,
der Gas gibt bis zum Gehtnichtmehr,
auf ‘ner Maschine mehr zu scheinen
als sonst im menschlichen Verkehr.

Und ohne Rücksicht auf die Ohren
der Leute, die empfindlich sind,
dünkt er im Donner der Motoren
sich mächtig wie ein Wickelkind.

Für den hat Jesus auch gelitten
(heut ist Karfreitag nebenbei).
Im Himmel fährt er sicher Schlitten
mit solchen Feinden der Schalmei.

Himmel jedenfalls

Himmel jedenfallsDas Tor zum Kosmos, schwarz und schweigend:
der Himmel über meinem Haupt.
Millionen Ehrfurcht ihm bezeigen,
weil man ihn hehr und heilig glaubt.

Bewohnt sei er von höhren Wesen,
die nicht zu Leid und Tod verdammt
und täglich in der Bibel lesen,
wo nicht von der Schalmei entflammt.

Um ihre Muße zu gestalten,
dien manchem auch das Harfenspiel,
da andre sich mit Inbrunst halten
an Sangeslust im Kirchenstil.

Verständlich, dass sie dabei tragen
ein blütenweißes Chorgewand –
wie auch an allen andern Tagen,
weil es beim Flug nicht kneift und spannt.

Und fliegen heißt’s vor allen Dingen,
die Wege sind einfach zu weit –
vom Luchs zur Leier sich zu schwingen,
braucht auch mit Flügeln seine Zeit.

Noch aber sind die sel’gen Genien
allein in ihrem Sternenhaus,
denn die aus Spanien und Slowenien
und andre Christen stehn noch aus.

Das Weltgericht, schon längst beschworen,
verzögert sich wer weiß bis wann,
so wie man’s bei den Erd-Juroren
ja leider auch verzeichnen kann.

Die Leichen müssen länger liegen
in ihrem düsteren Verschlag,
bis auf die Rippen wieder kriegen
sie etwas Fleisch am Jüngsten Tag.

Das Ganze ist mir doch zu vage,
der ew’ge Aufschub zu suspekt,
dass auf die Seite ich mich schlage
von denen, die schon mehr entdeckt.

Und dieses „Mehr“ ist schon ‘ne Menge
und schließt den ganzen Kosmos ein,
das heißt der Galaxien Gedränge
im grenzenlosen Ringelreihn.

Wir haben endlich lange Listen:
„Kriterien für den Wohnkomfort“,
zu sehn, ob’s ew’ge Leben fristen
man könnt wie im Excelsior.

Nun, wer auch immer droben wohne,
die Sache wäre nicht mein Fall:
Befund zu Paradiese: Ohne.
Befund zu Grauen: Überall.