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Weiß in Weiß

weiss-in-weissAuf einmal ist sie bleich geworden,
als hätt sie furchtbar sich erschreckt.
Ein Wind, ein kalter her von Norden,
hat plötzlich sie mit Schnee bedeckt.

Die grad noch mit lebend‘ger Krume
ersehnt des Frühlings Gegenwart,
liegt bläulich nun im Witwentume
unter ein Leichentuch gebahrt.

Die Erde, deren erste Blüten
das Mandelbäumchen schon geborn!
Doch wie die Frühchen nun behüten,
da sie ja selber steif gefrorn!

So reglos ruht sie unterm Laken,
das ihre Züge uns verhüllt,
wie alle, die zu Tod erschraken,
von namenloser Angst erfüllt.

Ich aber stapfte durch die Stille,
die ich so wunderbar empfand,
als hätt des Winters Wunsch und Wille
sie eigens nur für mich gesandt.

Der Boden knirschte untern Sohlen.
Ein Rascheln hier und da im Laub,
wenn eine Amsel floh, verstohlen,
‘nen Tüpfel Schnee versprüh’nd wie Staub.

Gehäufelt auf den dunklen Zweigen
lag er als schmaler Zuckerguss –
wie Tänzer, die auf Seile steigen,
wo man Balance halten muss.

Der Himmel war in Schlaf gesunken,
Gewölk der Sterne Lid verschloss,
vom Wege blitzten feine Funken,
wie mit dem Huf sie schlägt das Ross.

Da wurde milder schon mein Kummer,
dass unter Frost die Erde stöhn –
Schneewittchen gleich lag sie im Schlummer
und wie Schneewittchen auch so schön.

Des Winters neuerliches Walten:
Nur flüchtig greisenhaft Gelüst.
Prinz Frühling ist nicht aufzuhalten,
der bald sie aus der Kiste küsst!

Alles Märchen

Alles MärchenWie sie sich gleichen bis aufs Härchen –
Programme je nach Jahreszeit:
Zu Weihnachten die schönsten Märchen
den lieben langen Bildschirm breit!

Schneewittchen permanent im Bilde,
Rapunzel mit dem dicken Zopf,
der Rübezahl genannte Wilde
und Fallada, der Pferdekopf.

Auch Aschenputtel darf nicht fehlen,
der Veteran vom „Blauen Licht“,
das Schneiderlein, dem `s Fliegenzählen
ein heldenhaftes Los verspricht.

Es wimmelt nur so von Gestalten,
die man geprügelt und gehetzt
und die doch durch des Schicksals Walten
ihr Schnäppchen machen noch zuletzt.

Da geht es mit natürl’chen Dingen
bekanntermaßen wenig zu –
mit Fröschen, die auf Küsse dringen,
mit Blut im falschen Frauenschuh.

Mit Bärn, die sich als Prinz entpuppen,
und Raben, die verwunschen sind,
mit Zwergen, einzeln und in Gruppen,
und Läufern, schneller als der Wind.

Die Wunder geben sich die Klinke
da sozusagen in die Hand,
dass man als Kind schon – winke, winke –
sie ungemein sympathisch fand.

Da kann das größte selbst von diesen,
das Weihnachtswunder nicht verwirrn –
ein Klacks dagegen das von Riesen
und Täubchen, die um Linsen girrn.

Ein Knäblein, das im Stall geboren,
weil Gott ihm kein Hotel gebucht,
und, Ochs und Esel um die Ohren,
von Majestäten doch besucht!

Und dieser Gott, der schon beim Werden
dem Sprössling nur die Scheune ließ,
nahm rüde ihn dann auch von Erden
mit Geißel, Kreuzigung und Spieß!

Ein Kindesmord von höchster Stelle,
dem alle Welt Hosianna singt,
weil er nach offizieller Quelle
den Billigern Erlösung bringt.

Nicht wahr und auch nicht gut erfunden,
doch tief ins Herz uns eingesät
mit frühen Katechismus-Stunden
und kuscheligem Nachtgebet.

Als Märchen halte ich`s in Ehren,
der Sprache wegen schon allein –
um wie viel mehr, könnt es mich lehren,
wie Wasser wandelt man in Wein!

Fruchtwechsel

FruchtwechselMit welcher Frucht ließ sich verführen
Schneewittchen, lebte heute sie,
um solche Esslust zu verspüren
wie einstmals auf den Apfel die?

Ich könnt mir ‘ne Banane denken,
kanarisch klein und wohlgewürzt,
auf die, in Honig sie zu schwenken,
sie mit Begeisterung sich stürzt.

‘ne Mango auch mit Rosenwangen
auf einem Teint von feinem Grün,
die selbst schon vor Verzehrverlangen
dem feuchten Kuss entgegenglühn.

Auch eine Kiwi käm in Frage
mit ‘nem Aroma, das apart
und das man wohl nicht alle Tage
so fruchtig frisch im Mund bewahrt.

Ja, auch ein Pfirsich mit der rauen
und rundherum beflaumten Haut,
wie ist er’s wert, ihm zuzutrauen,
dass er sich butterweich zerkaut!

Und schließlich auch noch die Melone,
die auf den Zähnen süß zerfällt,
dass gierig aus der Schalenzone
die letzten Fasern man noch pellt.

‘n Apfel? Ach, du meine Güte –
ein Märchen nur aus alter Zeit!
Der heute in der Einkaufstüte
ist längst ja vom Geschmack befreit.

Und zwar egal von welcher Sorte –
ein Früchtchen ohne Saft und Kraft,
das nur noch in der Apfeltorte
dem Gaumen etwas Kitzel schafft.

Der bleibt auch so im Halse stecken,
auch ohne dass es wer erzwingt.
Den müsst zum Leben man erwecken –
bevor er in die Kiste springt!

Kleines Manko

Kleines MankoWas Rundes ist zunächst ihm eigen,
das auf den ersten Blick man sieht;
doch hier und da auch Beulen zeigen,
dass er zur Kugel nicht geriet.

Vollkommen nicht in seiner Schale,
doch ganz passabel von Figur,
hat er auch keine Muttermale
und auch von Runzeln keine Spur.

Die Haut ist glatt und ohne Falten
und glänzt wie’n neuer Henkelmann;
man mag ihn gern in Händen halten,
so fest und kühl fühlt er sich an.

Wie hübsch auch seine Rosenwangen,
von zartem Lindgrün untermischt –
wie eine Jungfer, die mit Bangen
nach ersten Komplimenten fischt!

Man muss sich schier zusammenreißen,
so appetitlich sieht er aus,
um nicht sofort hineinzubeißen
in dieses knack’ge Knusperhaus.

Wie sollt Schneewittchen widerstehen
‘nem Anblick, der so reizend war?
Sie konnt noch nach dem Äußren gehen,
die Gifte waren ja noch rar.

Was ich als Einziges nicht preise,
das ist des Apfels A und O:
Geschmack, der auf der langen Reise
verflüchtigte sich irgendwo!