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Die Gnade der Geburt

Wie viele Arten gibt’s auf Erden?
Da reicht ‘ne Million nicht aus.
Des Lebens ewig langes Werden
bescherte ihr ein volles Haus.

Und erst die Köpfe jeder Klasse,
unmöglich, alle sie zu zähln –
nur noch ein Haufen Biomasse,
für den präzise Waagen fehln.

Grad mal die wichtigsten Vertreter
der ganzen Skala sind bekannt –
die Quallen, Krebse und dann später
der Igel und der Elefant.

Der Bär auch, der in alten Mären
verwunschen durch die Wälder irrt,
um von dem Honig sich zu nähren
der Hoffnung, dass er Prinz mal wird.

(Worauf indes mag er sie gründen?
Kein Wesen wechselt die Gestalt,
in einen neuen Leib zu münden,
solang es noch nicht tot und kalt.)

Dann noch die Biene und die Mücke
aus der Insekten Wimmelreich –
die stechen, doch zu unserm Glücke
nicht alle wie ein Mann zugleich.

Ja, sogar unsre Artgenossen,
milliardenfach ringsum präsent,
sind uns zeitlebens so verschlossen,
dass kaum man ein paar Namen kennt.

Doch jetzt mal Schluss herumzuschleichen
wie’n Kater um den heißen Brei:
In dieser Fülle ohnegleichen,
was macht, dass jeder selbst er sei?

Zu dieser Zeit, an dieser Stelle
geborn von diesem Elternpaar –
wo doch ein Hund mit strupp’gem Felle
genauso seinen Wurf gebar?

Ist dieser Frage nachgegangen
schon wer zu höh’rem Forscherruhm?
Dazu war man zu sehr gefangen
in seinem stolzen Menschentum!

Doch muss es ‘ne Erklärung geben,
dern Dünkel nicht zum Himmel schreit.
Aus einer Quelle fließt das Leben,
kein Wesen ist davon befreit.

Wer aber hat uns zugemessen
die dicke Birne mit Verstand?
Hat Gott ‘nen Narrn an uns gefressen
und uns in diesen Leib gebannt?

Oder vielleicht des Kosmos Walten,
das ewig von Moral bestimmt,
dass aus dem Leben man, dem alten,
sein Karma mit ins neue nimmt?

Das sind noch in den Kindertagen
des Geists gebrütete Ideen,
die lange wir schon hinterfragen
wie Zauberer und Märchenfeen.

Und die nur deshalb sich noch halten,
weil man sie in die Herzen sät
der Kleinsten, die die Händchen falten
zum brav gelernten Nachtgebet.

Noch will mir des Verstandes Klinge
den Gord’schen Knoten nicht zerhaun,
doch klar, dass weiter ich drum ringe
und pfeif auf all die Oberschlau‘n.

Von einem aber war im Stillen
ich fast schon immer überzeugt –
wir schulden’s keinem höhren Willen,
an wessen Busen wir gesäugt.

Wie alles wird auch dies geregelt
von den Gesetzen der Natur –
und wo kein Wind bläst, nun, da segelt
Baron von Münchhausen wohl nur.

Der Einbaum

Der EinbaumDer Stammbaum, eine dieser Gaben,
die uns der Forschergeist geschenkt,
die Menschheit hat ihn ausgegraben
und im Museum wo versenkt.

Da kümmert er im Magazine
mehr als Kuriosum vor sich hin,
anstatt, was doch gerechter schiene,
als Superschaustück mittendrin.

Der Grund ist unschwer zu erraten,
da diesem Wunsch er widerspricht:
Den Homo als ‘nen Separaten,
ganz anderen erweist er nicht.

Denn von der Wurzel bis zur Krone
ist er in einem Stück verzweigt
gleich dieser ries’gen Märchenbohne,
die windend sich zum Himmel steigt.

Und was, ihm aus dem Stamm entsprossen,
sich immer mehr verästelt hat,
sind Leidens- oder Glücksgenossen,
Gefährten bis zum letzten Blatt.

Der Anfang: Aus der Knospe fliehen
ins Wunder einer lichten Welt.
Das Ende: In die Erde ziehen
in Nächte ohne Sternenzelt.

Der Stammbaum, imposante Größe,
wie altem Adel sie gebührt,
gibt in dem Punkt sich keine Blöße –
das Lebensbuch wird streng geführt.

Da schreit der Mensch: Von Gottes Gnaden
hab doch Verstand ich abgekriegt,
ein Unding, dass gleich dem von Maden
und Mücken nur mein Leben wiegt!

Hat sich der Herrgott erst die Mühe
mit unsrem, seinem Geist gemacht,
will er gewiss nicht, dass wie Kühe
am Haken wir ums Fell gebracht!

Doch unerforschlich seine Wege,
wie listig schon die Kirche lehrt,
die noch die schlimmsten Schicksalsschläge
mit seiner Liebe uns erklärt.

So hat er uns den Geist gegeben
im Daseinskampf als Schirm und Schild
und nicht, um so hervorzuheben,
dass die Natur für uns nicht gilt.

Wo hast du, Schlachter Tod, sie liegen,
die Würste, unverweslich frisch,
dass die auf Aas begier’gen Fliegen
nicht schwirrn um diesen Hacketisch?

Und wann hast du mit scharfem Beile
den Hals des Opfers je verfehlt,
dass es für eine winz’ge Weile
noch auf Errettung hätt gezählt?

Fest hängen wir an diesem Baume,
der uns millionenfach gezeugt –
vom Hopfen bis zur Haferpflaume,
vom Käfer bis zum Tier, das säugt.

Und unterm Dach, in seiner Krone,
da haust der Mensch, noch ziemlich neu,
im Schulterhalfter ‘ne Kanone
und macht die andern Mieter scheu.

Doch mag er sie das Fürchten lehren
mit seiner rücksichtslosen Art –
sein Leben wird nicht länger währen
noch seine Seele aufbewahrt.

Das Bäumchen hält wie alle Blätter
ihn nur so lange auf der Welt,
bis einst im Herbst bei Wind und Wetter
entkräftet er zu Boden fällt.

Dann kommen Pfaffen, zu verscharren
mit frommen Sprüchen sein Gebein,
sie selber Blätter auch – und Narren,
sich brüstend mit der Weisheit Schein.