Wenn unsre Welt ich, die illustre,
mir etwas näher mal beschau
und kritisch die Instanzen mustre,
die stützen den Gesellschaftsbau
Dann stoß ich immer noch auf eine,
die felsenfest als Säule steht,
obwohl so abgenutzt wie keine
und seit Millennien obsolet!
Ecrasez l’infâme! (Voltaire, 1694-1778)
Und sich in alle Lebenslagen
noch immer mit dem Anspruch mischt,
die Fackel der Moral zu tragen,
die ohne ihren Arm erlischt.
Nur von Gott her kommt die wirkliche Revolution,
die grundlegende Änderung der Welt.
(Papst Benedikt XVI., geb. 1927)
Und dabei ist ihr nicht nach Spaßen!
Ich frage mich, was größer ist:
Die Frechheit, dies sich anzumaßen?
Die Dummheit dessen, der es frisst?
Umgekehrt provoziert automat. Einwände gegen sein Handeln,
wer gegen die Prinzipien verstößt, die er selbst als
moral. Behauptet und (womögl. bewußt fälschl.)
für sein Tun beansprucht. Wir sprechen dann von Doppelmoral.
(Wörterbuch des Christentums, München 1995)
Ein flücht’ger Blick in ihre Akten,
in denen sich ihr Wesen zeigt,
verrät genug schon von den Fakten,
die sie bis heute gern verschweigt.
An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. (Matth. 7, 16)
Wohlweislich! Da ihr Tun und Treiben
zu keiner Zeit ein Ruhmesblatt!
Ihr Hauptzweck: alles zu entleiben,
was eine eigne Meinung hat.
Denn ein Feuer ist angegangen von meinem Zorn
und wird brennen bis in die unterste Hölle. (5. Mos. 32,22)
Nur was sie selbst für wahr befunden,
hat sie als Gottes Wort gelehrt
und hat es jedem aufgebunden,
und sei’s mit Feuer, Strick und Schwert.
Extra ecclesiam nulla salus.
(Cyprianus, um 200/210-258, und Augustinus, 354-430))
Sie schuf ‘nen Wust von Glaubenssätzen,
der, wenn verworrn auch und absurd,
für ihre steten Ketzerhetzen
zur mörderischen Richtschnur wurd.
Credo, quia absurdum. (Tertullian, um 145-220)
Und das in eines Meisters Namen,
der ohne Bosheit, Falsch und List
anstatt in Dogmen rumzukramen,
beherzt getan, was menschlich ist!
Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein…
(Joh. 8,7)
(Wohl niemals sonst in der Geschichte
wurd so verfälscht, was wer gelehrt,
ein edler Geist so sehr zunichte
und grad ins Gegenteil verkehrt!)
Was hat Christus die Welt gelehrt?: Schießt einander tot;
hütet den Reichen die Geldsäcke; unterdrückt die Armen,
nehmt ihnen das Leben in meinem Namen, wenn sie zu mächtig werden…
(Emil Belzner, 1901-1979)
Und diese ausgebuffte Bande,
die sich durch Christi Lehre log,
sie kommt auch heut noch gut zurande,
verbiegend, was sie stets verbog!
Wenn der Römische Papst in höchster Lehrgewalt (ex cathedra) spricht, das heißt: wenn er seines Amtes als Hirt und Lehrer aller Christen waltend in höchster apostolischer Amtsgewalt endgültig entscheidet, eine Lehre über Glauben oder Sitten sei von der ganzen Kirche festzuhalten, so besitzt er aufgrund des göttlichen Beistandes, der ihm im heiligen Petrus verheißen ist, jene Unfehlbarkeit, mit der der göttliche Erlöser seine Kirche bei endgültigen Entscheidungen in Glaubens- und Sittenlehren ausgerüstet haben wollte. Diese endgültigen Entscheidungen des Römischen Papstes sind daher aus sich und nicht aufgrund der Zustimmung der Kirche unabänderlich. Wenn sich jemand — was Gott verhüte — herausnehmen sollte, dieser unserer endgültigen Entscheidung zu widersprechen, so sei er ausgeschlossen.“ (1. Vatikanisches Konzil, 1870)
Ein Augenaufschlag: und gesungen
mit Inbrunst, die wie Demut klingt.
Und tausend Herzen sind bezwungen
von Schäfchen mit ‘nem Schafsinstinkt.
Wo Musik ist, da kann nichts Böses sein. (Cervantes, Don Quijote, 1605/1615)
(Der Todgeweihten Schrei’n und Stöhnen,
das die Jahrhunderte durchzieht,
es ließ sich auch wohl übertönen
mit so ‘nem Halleluja-Lied.)
Ein würdevolles Kesselschwenken,
dass Weihrauch rings die Luft erfüllt,
um in die Seelen sich zu senken,
die wohlig er in Nebel hüllt.
Beschwörung, feierlich gesprochen,
und Hokuspokus drumherum,
und schon ist auf den Leim gekrochen
das hochverehrte Publikum.
Die Brüder sind nicht totzukriegen,
so wenig wie der Gläub’gen Wahn:
Schamanen, die auch heut noch fliegen
zur Audienz bei Ma’at und Pan!
Ich harrte des Herrn, und er neigte sich zu mir
und hörte mein Schreien. (Psalm 40,2)
Sie holn sich aus den Himmelssphären
(wofür man weidlich sie belohnt)
den Gotteswilln, d. h. den Bären,
den aufzubinden sie gewohnt.
Und unsre Zeiten, die doch schüren
des Geistes Feuer ungestüm,
lassen am Nasenring sich führen
von Clowns im Kardinalskostüm.
Als Schabernack ließ ich’s noch gelten,
als harmlos-kind’schen Mummenschanz –
doch nicht als Einbruch höh’rer Welten
zur Stärkung der Moralinstanz!
Was Kant schon glaubte zu zermalmen
mit unbestechlichem Verstand,
es wedelt immer noch mit Palmen
und Bußregistern, gottgesandt.
Man fühlt sich wie im Mittelalter,
sieht man die Herrn im Kirchenkleid,
Gebete leiernd aus dem Psalter –
Phantome der Vergangenheit.
Doch weiter gilt’s zurückzugehen
als nur ‘ne Handvoll Säkula,
wolln diesen Mumpitz wir verstehen
von Brot und Wein etcetera.
Im Altertum sind wir gefangen,
solang nicht nach der Götterwelt
auch die, die draus hervorgegangen,
der Pfaffen Schöpfung endlich fällt!
Sapere aude! (Horaz, 65-27 v. Chr.)
Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!
(Kant, Was ist Aufklärung? 1784)