Unsere kleine Welt

Unsere kleine WeltDort in der Front aus Putz und Ziegeln
glimmt hier und da ein trübes Licht.
Wie dünnes Wachs scheint’s zu versiegeln
Gemächer ohne Angesicht.

Der Fenster aufgereihte Rahmen
füllt pergamentner Schimmer nur,
perfekter Vorhang für die Dramen,
denen der Spanner auf der Spur.

Was wissen wir von Nachbarsleuten,
die einen Steinwurf nur entfernt?
Dass selbst, wenn wir die Müh nicht scheuten,
man niemals alle kennenlernt!

Und sind doch alles Zeitgenossen,
vereint zu flüchtiger Präsenz –
wie Gräser, gleichem Grund entsprossen
für einen kurzen Erdenlenz.

Muss man sie nicht schon deshalb lieben,
weil aus derselben Erde Bauch
vom Schicksal sie ins Sein getrieben
und in dieselben Stunden auch?

Die ungeboren in Äonen
mich Ungebornen nicht gekannt,
die Meiers, die da drüben wohnen,
sind heut mir übern Weg gerannt!

Der Ausruf hätte gut beschworen
die Größe der Begebenheit:
Zwei, die im Ewigen verloren,
begegnen sich in Raum und Zeit!

Stattdessen fühlt man sich betreten
und macht sich schnellstens aus dem Staub.
(„Das sind doch irgendwie Proleten;
beim nächsten Mal stell ich mich taub.“)

Das kommt nur, weil in unsrem Wesen
vom Maulwurf noch ein großer Rest.
Auch wenn wir Kant und Einstein lesen –
der Riecher klebt am Boden fest.

Die Gasse, wo uns unser Leben
die Wiege heimlich hingestellt,
sie gilt seit diesem Zeitpunkt eben
als unsre eigentliche Welt.

Mag übern Dächern sich auch dehnen
das Firmament unendlich weit,
wir Wühler („Realisten!“) wähnen,
die Bahnhofstraße sei so breit.

O Dimensionen, seid verschoben!
Zum Riesen bläst sich auf die Laus,
erklärt den Götterhimmel droben
für ihresgleichen rundheraus.

Und dieser Schwachsinn hat Methode
(Ich dank dir, Will, für dieses Wort!):
Der Winzling fühlt als Antipode
des Tierreichs sich in einem fort.

Will nur für sich in Anspruch nehmen
‘ne Seele, die nicht sterben muss,
weshalb ins Paradies nicht kämen
der Affe und der Oktopus.

(Das wäre mir ein schöner Himmel,
wo süße Kätzchen man entbehrt
und in dem reinen Menschgewimmel
es nur von Heiligen so gärt!)

Und auch wenn wir seit Sigi wissen,
das kommt von der Verdrängung her –
die Laus mag ihren Tick nicht missen
und kultiviert ihn umso mehr.

Der nie ermüdet sich zu rühmen
der nur ihm eigenen Vernunft,
der Mensch: ein Spielball von Enzymen,
so frei wie’n Keiler in der Brunft.

Und auch so „frei“, sich selbst zu hassen
in seines Nächsten Ebenbild
und keine Chance auszulassen,
die seine Lust zu raufen stillt.

Stopp! Aufhörn mit dem Schwadronieren!
Gedicht sei dies und nicht Traktat!
Ein letztes Wort nur noch verlieren:
Zur letzten Strophe denn – Spagat!

Hab gut gebrüllt – doch an der Pranke
erst zeigt sich, was ein Löwe ist.
Für alle Meiers künftig: Danke,
Gefährten meiner Lebensfrist!

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