Zeitgefühl

ZeitgefühlDie Kerze, die mir, wenn ich schreibe,
so still und freundlich zugewandt,
ist, sei sie stattlich auch vom Leibe,
halbwegs zu Boden schon gebrannt.

Ihr Flämmchen, das am spitzen Ende
des Dochtes durch die Lüfte ritt,
in seines Wachses weiche Wände
sich einen tiefen Krater schnitt.

Und statt dass es im Strahl, im reinen,
gebündelt könnt ins Weite ziehn,
hat es nun Mühe durchzuscheinen
durch dies verklumpte Stearin.

Du ahnst schon, Leserin, getreue,
was ich dir damit sagen will:
Die Stunde, der ich mich erfreue,
nicht ein Sekündchen steht sie still.

Und dass mir diese Urlaubstage
vergehn wie im berühmten Flug –
was ich auch, sie zu halten, wage:
Kein Unternehmen scheint genug.

Ob ich am lichten Strand spaziere,
im Bergdorf meine Tapas kau,
im Chor mich eines Doms verliere
zur Kreuz- und Tabernakelschau

Ob ich in maurischem Gemäuer
verspüre der Geschichte Hauch,
den von Gefahr und Abenteuer
in einer Brigg marodem Bauch

Ob ich mit Siebenmeilenreifen
und „autogenem“ Fensterplatz,
chauffiert, Gebirge zu durchstreifen,
erschauernd um die Kurven kratz

Wie leicht gelingt’s mir zu vergessen,
dass mir derweil die Zeit verrinnt.
Natürlich lässt sich so was messen.
Doch meine Uhr, ich glaub, die spinnt.

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