Ein guter Freund

Humorvoll, heiter, aufgeschlossen,
verständig, wenn er spricht und lauscht,
mit so ‘nem netten Zeitgenossen
hätt gern Gedanken ich getauscht.

Doch was man möchte, ist das Eine –
der Zufall herrscht auf Schritt und Tritt
und führt an seiner langen Leine
nur selten unsre Wünsche mit.

Da hab ich wen mir aufgeladen,
der ist für alles andre blind,
dass er an jedem roten Faden
nur seinen eignen weiterspinnt.

Wie käm da ein Gespräch zustande,
wenn einer nur die Lippen rührt
und, sei’s zu Wasser und zu Lande,
nur seine Welt im Munde führt?

Und um sie machtvoll zu vertreten,
schont er auch seine Stimme nicht,
die wie einst Jerichos Trompeten
bedrohlich in die Stille bricht.

Red hin und wieder ich mal grade,
macht ständig die Geduld ihm schlapp;
er fährt mir forsch in die Parade
und schneidet mir die Worte ab.

Dass ich vielleicht mit weitren Sätzen
Bedeutendes hätt vorgebracht,
weiß er wohl deshalb nicht zu schätzen,
weil selbst er stets banal gedacht.

Warum auch? Mit ‘ner schlichten Seele
bringt oft im Leben wer es weit,
der meint, dass nur Fortuna zähle
im goldenen Dukatenkleid.

Er wird nicht müde, anzudeuten,
dass Geld ihm über alles geht
und ständig neues zu erbeuten
sein Morgen- und sein Nachtgebet.

„Hab ich bei irgend’nem Geschäfte
ein hübsches Sümmchen abgezwackt,
dann steigen plötzlich meine Säfte
so heftig wie beim Liebesakt.“

Doch wer was hat, will auch beweisen,
dass Bildung sich dazugesellt
und er selbst in Doktoren-Kreisen
sein Licht nicht untern Scheffel stellt.

Sein Lieblingsthema ist der Glaube,
mit dem tut er sich meistens dick,
doch kriegt’s nicht unter eine Haube,
dafür fehlt ihm der Überblick.

Die einzeln unverdauten Brocken
sind seiner Weisheit A und O –
meint, jeder sei schier von den Socken
bei seinem Bibelversniveau.

Da bleibt am Ende nur die Frage
(ihr habt sie sicher längst gestellt),
warum den Typen ich ertrage,
der so mir auf die Nerven fällt?

Ach, glühnde Kohlen sollt ich sammeln
auf mein verräterisches Haupt,
statt hier ein Schmähgedicht zu stammeln,
vom bösen Pegasus geschnaubt!

Kann man nicht anders ihn auch zeigen –
als einen, der mich gern beehrt,
und lässt mich in den Wagen steigen
und raus mit mir ins Blaue fährt?

Hat eben alles doch zwei Seiten.
Mir treu bei allem Ungestüm!
Will Schweigen über ihn nun breiten.
Er bleibt wohl besser anonym.