Einfach klasse

Einfach klasseMuss ich ihn wirklich noch beschreiben?
Ist er nicht jedem noch bekannt?
Versetzung oder Sitzenbleiben –
es lag allein in seiner Hand.

Wir waren damals noch die Kleinen
und saßen schüchtern in der Bank.
Er zog uns an den Hammelbeinen,
weil unser Stumpfsinn ihm wohl stank.

Wer konnte ihm das Wasser reichen?
Er wusste so unendlich viel.
Ein Quell der Weisheit ohnegleichen,
ein Fuchs in jedem Ratespiel.

Er paradierte vor der Klasse
gebiet’risch wie ein Feldmarschall,
dem man der Jugend graue Masse
geschickt zur Prüfung für Walhall.

Und erst am Pult, wo dieser Schlimme
bisweiln so tat, als ob er schlief,
doch plötzlich dich mit Donnerstimme
aus Träumen an die Tafel rief!

Er lehrte Nützliches fürs Leben.
Und manches, was nur Schall und Rauch.
Er lehrte, Strebern nachzustreben.
Und Fürchten lehrte er uns auch.

Mit Daten war er vollgeladen
vom Scheitel runter bis zum Steiß.
Sein Albtraum war der Imageschaden,
wenn er mal irgendwas nicht weiß.

Er wollt auf Nummer sicher gehen,
vor Lücken hat es ihm gegraust,
soldatisch seinen Schulmann stehen,
allwissend wie der Doktor Faust.

Und die da nicht aus freiem Triebe
von Tag zu Tag die Bank gedrückt,
er hat mit seiner Wissensliebe
nur äußerst mäßig sie beglückt.

Was waren uns die Vertebraten?
Was der Atome Pollenflug?
Die Parther oder die Sarmaten,
die hier und da der Römer schlug?

Was waren uns die Stalaktiten,
der Wind, der in der Wüste blies?
Was dieser Beowulf der Briten
und Roland, der ins Hifthorn stieß?

Was warn uns Stempel, Staubgefäße?
Was Cato, Cortez, Wallenstein?
Was eines Plautus derbe Späße
in klassischem Vulgärlatein?

Wie wenig haben wir begriffen
von dieser steten Faktenflut,
auf der gezwungen wir zu schiffen
mit angsterfülltem Heldenmut!

In solchen übermächt’gen Spuren
ging folgsam unser Geist einher,
gehemmt von Püffen und Zensuren –
und dennoch wachsend immer mehr.

Tempi passati! Längst vergangen
und zur Erinnerung verblasst.
Des Paukers rosig blühnde Wangen
in Eiche lange schon gefasst.

Er, der mit Imponiergehabe
und Dünkel durch die Flure schritt,
was brachte er als Morgengabe
seiner Persephone wohl mit?

Gewiss entspricht’s des Lehrers Wesen,
dass er an Bücher nur gedacht.
Doch wie im finstren Hades lesen?
Schon Charon kippte ihm die Fracht.

Ein Schatten ward er unter Schatten,
von keinem Geisteslicht erhellt.
Nie mehr: „Herr Studienrat, gestatten…“
Ganz formlos geht’s in seiner Welt!

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