Ferne Nähe

Ferne NäheDie ich da gestern schon gesehen
und viele Jahre schon zuvor –
die Häuser drüben stehen, stehen,
nie schwätzend, aber immer Ohr!

Kein schöner Blickfang: Mauern, Mauern,
Beton und Ziegel, Grau in Grau.
Vier Stockwerke, die reglos kauern
und ohne Ausdruck: Billigbau.

Mit wie viel Liebe ich euch hasse,
mit wie viel Hass ich euch verehr:
Tagtäglich diese finstre Masse,
allnächtlich dieses Lichtermeer!

Mal stürzen Schauer sich wie Brecher
auf diese Klippen, die bewohnt,
mal geistert über ihre Dächer
zyklopenäugig hin der Mond.

Mal breitet sein gebläutes Laken
der Himmel ihnen übers Haupt,
mal sieht man da die Sonne staken,
mit einem Kranz von Gold belaubt.

Kein Wandel sonst, nur tote Hose;
Paroli jedem Sturm der Zeit.
Im Schlaf das Ganze, in Hypnose.
Nur Wände, schweigend lang und breit.

Bisweilen öffnet sich ‘ne Luke
und zeigt ‘ne menschliche Kontur;
doch kaum gefragt, wer denn da spuke,
klappt zu sie wie ‘ne Kuckucksuhr.

Distanz? So an die fünfzig Meter –
was ja fast null Entfernung ist,
die nur ein schlapper Teppichtreter
als rühmenswerten Weg bemisst.

Des ungeachtet Welten trennen
uns von dem Nachbarn im Quartier,
von dem wir die Fassade kennen,
doch weiter nichts im Jetzt und Hier.

Und ist doch Zeit- und Weggenosse
auf dieser Nonstop-Erdenfahrt
und spielt die gleiche Lebensposse
im kurzen Stück der Gegenwart.

Vielleicht in irgendwelchen Fernen,
in denen sich der Urlaub lohnt,
vielleicht, dass wir da kennenlernen
Frau X, die gegenüber wohnt!

So ist das mit den Städtern eben:
Fast auf den Hacken man sich steht
und möcht um Gottes Willn doch leben
in völl’ger Anonymität.

Geht mir ja auch so, unbestritten.
Drum bleibe weiter stumm und still
der Bau, wo unhörbar inmitten
der Mauern man Kontakt nur will.

Dass er sich an den Hut doch stecke
Mischpoke, die mich eh nicht juckt!
Nun ja, den Hals ich schon mal recke,
wenn sie da aus dem Fenster guckt.

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