Fest mit Seegang

Die Straße hier vor meiner Hütte,
wo meist der Hund verfroren ist,
war heut, als ob es Menschen schütte,
gerammelt voll nach kurzer Frist.

Der Tag stand grade auf der Kippe,
das Sonnenlicht verlor an Schwung,
und aus der ewig schmalen Lippe
des Horizonts troff Dämmerung.

Gemurmel und gespanntes Harren.
Und dann der Anpfiff, Punkt neun Uhr:
Auf ihrem räderlosen Karren
die Jungfrau aus der Kirche fuhr.

Von Helfern huckepack getragen
in wiegendem, gemessnem Schritt,
hielt sie Balance auf ihrem Schragen
und wiegte sich bedächtig mit.

Und weiße Blumenbüsche wanden
sich rings um ihren Mantelsaum,
drin Halt die heil’gen Füße fanden
wie Venus einst im Meeresschaum.

Durch unsre Menge ging ein Raunen.
Da klang auch schon der erste Ton
von Trommeln, Pauken und Posaunen
im Rhythmus dieser Prozession.

Ein Tamtata nach schlichter Regel,
dumpf, feierlich, bedeutungsvoll,
das langsam deutlich übern Pegel
erträglicher Geräusche schwoll.

Dazu in größren Intervallen,
dass man miteins zusammenzuckt,
so was wie scharfes Büchsenknallen,
wenn’s Jägern in den Fingern juckt.

Doch tamtata bewegt die Truppe,
Schulter an Schulter, Schuh an Schuh,
sich unter der Madonnenpuppe
in Richtung auf den Hafen zu.

Die Karmel-Jungfrau, deren Bleibe
‘ner Kirche dumpfe Dämmerung,
rückt einmal jährlich ja zu Leibe
der Welt auf einen Katzensprung.

Dann kann sie ihre Lungen lüften,
die Augen fülln mit Sonnenlicht
und sich erfreun an Blumendüften,
aus denen Kränze man nicht flicht.

Doch nicht einmal an solchen Tagen
gönnt man ihr etwas Müßiggang;
die überhäuft mit Bitten, Klagen,
soll heute segnen – Meer und Fang.

Das ist die ewig alte Leier:
Wen einmal man für fähig hält,
der wird für jede weitre Feier
als Schirmherr wieder einbestellt.

Inzwischen sind die Kraft-Epheben
am Ufer auch schon angelangt
und auf ein Schiff die Jungfrau heben,
das lustig auf den Wellen schwankt.

Zur kurzen Kreuzfahrt abgestochen,
in Luv begleitet und in Lee
von Booten, die mit aufgebrochen
zu diesem bunten Defilee!

Und fehlt’s an Glocken auf den Kähnen,
die Jungfrau zünftig zu verehrn,
können die dröhnenden Sirenen
doch auch das Jubilate lehrn.

Dann intonieren Fischerkehlen
das eigens ihr geweihte Lied,
dass mit Sardinen und Makrelen
ihr Netz sie möglichst reich versieht.

Ein Brauch, geheiligt von den Zeiten
und fest verankert im Gemüt,
dem auch die Kraft nicht zu bestreiten,
solang die Meeresfauna blüht.

Ich glaub, die festgesetzten Quoten
hat auch die Jungfrau abgenickt –
doch schützt womöglich vorm Despoten
Poseidon, der die Stürme schickt!