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Die müde Muse

Formal ist es wohl ein Zylinder
da auf dem Tisch mir vis-à-vis,
doch auch ein Plastikleib nicht minder
mit Stearin bis unters Knie.

Das Flämmchen flimmert in der Pampe,
die es sich selber angerührt,
auf dieser ruhelosen Rampe,
die stetig es nach unten führt.

Doch eh zum Boden es gesunken,
weil es sein Wachs geschmolzen hat,
wirft’s mir noch bis zum letzten Funken
‘nen leichten Schimmer übers Blatt.

Den spiegelt auch die gleich daneben,
die Flasche, hoch und elegant,
mit ihrem schweren Saft der Reben
und sinnig nach Bordeaux benannt.

Auch ihren Pegel seh ich wanken
mit großen Schritten Schluck für Schluck,
wenn ich, um Fantasie zu tanken,
mal tiefer in mein Gläschen guck.

Noch steht er ihr bis an den Kragen,
da wo der Hals sich sanft beleibt
und gleich darunter angeschlagen
der Steckbrief, der den Wein beschreibt.

Der lässt sich klar und deutlich lesen,
weil er genügend Licht erhält,
das rechts von mir, vom Küchentresen,
ihm auf den platten Busen fällt.

Sonst Dämmer ringsherum und Schweigen.
Kein Laut die Stille unterbricht.
Mein Ohr kann ungestört ich neigen
der Seele, die in Versen spricht.

Von Zeit zu Zeit nur fährt die Feder
kaum hörbar über das Papier,
dass ähnlich wie in Stein und Leder
sich deren Botschaft nicht verlier.

Doch muss die Quelle mal versiegen,
die glücklichen Gesang verheißt,
und wieder ins Gehäuse fliegen
der umgetriebne Flaschengeist.

Wenn sie das Hirn nicht mehr erhellen,
der Rote und der Kerzenschein,
dann knips ich aus die grauen Zellen
und tauche in den Schlummer ein.