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Kleinmeister

KleinmeisterGlaubt ihr denn, dass man zwanzig Zeilen,
nein, dreißig, vierzig liefern müsst,
die Lust auf Lyrik aufzugeilen
bei dem, den keine Muse küsst?

Das Ganze kann man kürzer haben:
Ich denk da grad an das Gedicht
von unsres Goethes Heideknaben,
den einer Rose Hafer sticht.

Was macht man darum fürn Gewese,
wo es doch derart klein geriet,
dass ruckzuck ich’s herunterlese,
sofern mein Aug ‘s nicht übersieht.

Genauso das von diesen Wipfeln
(das auch der Dichterfürst gebraut),
die sich zur Grabesruhe gipfeln,
weil alle Lüfte abgeflaut

Und an dein totenstilles Ende
symbolisch dich gemahnen solln –
was braucht es Bücher da und Bände?
Zu Herzen spricht man ungeschwolln.

Das schöne Beispiel dieser Lehre,
in Nippon wird’s von je genutzt,
wo fleißig mit der Silbenschere
man die Gedichte runterstutzt.

Mit siebzehn Silben in drei Reihen
begnügt sich’s kürzeste der Art:
Lasst uns das Ohr ihm einmal leihen,
zu hören, dass es höchst apart.

Furuike ya
kawazu hairi-komu
mizu no oto

„Der alte Teich“, so würd es klingen
in Versen, wie sie uns vertraut,
„in den man einen Frosch sieht springen,
und man vernimmt des Wassers Laut.“

Was braucht es da noch weitre Worte:
Ein wunderbares Stimmungsbild!
Und dicht bei der Nirwana-Pforte,
wo’s Kleinste für das Ganze gilt.

Man müsst es auf die Spitze treiben:
Gefühl und Atmosphäre satt,
ohne ein Wörtchen nur zu schreiben –
die höchste Kunst: das leere Blatt.

Doch das wär mehr was für die Breiten,
wo man die Mini-Meister ehrt.
Wenn wir das Flügelross erst reiten,
kriegt kaum man runter uns vom Pferd.

Ihr seht ja selbst, wie rasch sich ballen
die Verse zum Format XL.
Drum lass ich jetzt die Zügel fallen
und geh dem Musengaul vom Fell.