Schlagwort-Archive: Chronos

Die Flaschenuhr

Die FlaschenuhrWas ha’m die Alten nicht erfunden!
Das kommt mir wie ein Wunder vor.
Die Uhr selbst: Alle halbe Stunden
das Unterglas erneut empor!

Genialisch einfach, muss man sagen:
Die Zeit als Wasser, das verrinnt;
Zwei Trichter, die sich überschlagen –
und der Prozess von vorn beginnt.

Genauso kann man Sand benutzen,
der rieselt ja dem Wasser gleich
durch diesen dünnen Einfüllstutzen –
feinkörnig anstatt tropfenweich.

Der Alten Leistung unbenommen,
hab ich was andres ausprobiert –
und so bin ich auf Wein gekommen,
mit dem das gleichfalls funktioniert.

Ja, ihm kann nichts das Wasser reichen,
weil diesen Vorteil er verspricht:
Obwohl die Stunden auch verstreichen,
bedauert man es nicht.

Man ist gelöst und guter Dinge,
statt sich in Wehmut zu ergehn,
dass Chronos mit der Würgeschlinge
am Tunnelende schon zu sehn.

Ach, fast vergaß ich zu erklären,
wie man dies Teil bedienen muss:
Ganz einfach eine Flasche leeren
in kleiner Züge stetem Fluss!

Relativ rasch

Relativ raschEheu fugaces,
Postume, Postume,
Labuntur anni!

Horaz (65 – 8 v. Chr,), Oden II, 14

Man kann den raschen Lauf beklagen,
die überstürzte Flucht der Zeit –
doch würd man andres drüber sagen
als der, der in die Wüste schreit?

‘ne Wahrheit, die das Röhricht raunen
man seit Jahrtausenden schon hört,
wen brächte sie denn noch zum Staunen,
dem Geist und Sinne nicht gestört?

Ach, nicht zum Staunen: Zum Verzagen
erwähn ich dieses Faktum bloß –
pro domo, weil in diesen Tagen
ich näher an die 70 stoß.

Springst du als Kind noch durch die Fluren
als Frischling dieses Erdenballs,
gehn nach Minuten deine Uhren,
von heut auf morgen bestenfalls.

Und steht nach freudigem Geschehen
dir mal erwartungsvoll der Sinn,
dann scheint der Zeiger stillzustehen,
so schneckenhaft kriecht er dahin.

In winz’gen, unauffäll’gen Dosen
verabreicht Chronos uns sein Gift –
du glaubst dich noch in Strampelhosen,
wenn unverhofft der Schlag dich trifft.

Jetzt schlug er auf die nächste Seite:
Ein 68er bin ich nun.
Weiß Gott! Doch einmal Scherz beiseite:
Das Alter kam auf Flügelschuhn.

(Der Zeitpfeil, wie Gelehrte sagen,
hat leider eine Richtung nur.
Ich könnte Einstein drum erschlagen,
dass er nicht hier schuf Remedur!)

Wie oft sah ich den Mond nicht tauchen
wie jetzt aus schwarzem Wolkendunst,
ihn als Staffage zu gebrauchen
zur höh’ren Weihe meiner Kunst?

Genug, um drüber zu vergreisen –
und doch zu selten allemal.
Schon bald wird ohne mich er kreisen
in andren Versen ohne Zahl.

Was kann es da denn noch bedeuten,
wenn ich die Bürgerstube flieh,
um bei den Musen anzuläuten
zum Türverkauf der Poesie?

Natürlich nichts. Doch dies Hausieren
ist ja mein einziges Talent.
Drum will ich keine Zeit verlieren –
grad wenn sie, wo sie, weil sie rennt!

 

Weiter auf Wache

Weiter auf WacheUm Himmels willn nicht müde werden,
nicht jetzt schon, kaum ist zwölf vorbei!
Soll ich die lump’ge Zeit auf Erden
auch noch verschlafen? Narretei!

Seht die Minuten, wie sie rasen,
und wie der Tag die Kurve kratzt!
Wie’n Luftballon, der aufgeblasen
im nächsten Augenblick zerplatzt.

Da soll man sich den Luxus leisten,
auch noch verschwendrisch umzugehn
mit Stunden, die sich doch erdreisten
zu türmen hastenichgesehn?

Die Augen möglichst offenhalten
und alle Sinne in Alarm!
Aktivitäten stets entfalten
wie’n blütengeiler Bienenschwarm!

Was gibt’s nicht alles auch zu gucken –
schafft sich die Welt nicht täglich neu?
Ein Rindvieh, wer mit Achselzucken
meint, dass sie alles wiederkäu!

Und wie in wunderbaren Tönen
voll Leidenschaft sie zu uns spricht –
mit Winden, die in Schluchten stöhnen,
mit Brandung, die am Fels sich bricht!

Begleitet von Millionen Düften,
die schmeichlerisch sie stets umwehn,
die Räume lieblich zu durchlüften,
dass freudig wir die Nüstern blähn.

Und wenn wir hungrig unsre Kehlen
mit Speisen aller Art traktiern,
lässt vierfach Würze sie uns wählen,
dass den Geschmack wir nicht verliern.

Ja, gab sie uns denn nicht auch Hände,
den andern Sinnen beizustehn,
wenn mit der Finger spitzem Ende
sie tastend auf Erkundung gehn?

Und was ist mit dem Sang der Musen –
macht nicht auch er die Welt uns wert,
dass der Poet an Chronos’ Busen
vom Tag wie von der Nacht sich nährt?

Wär nicht der Schlaf, verruchte Ruhe!,
mit seinem unstillbaren Drang,
wär alles, was ich träum und tue,
mein ganzes Leben doppelt lang!

Märzabschied

MärzabschiedEin Stückchen ist noch ungegessen
von diesem schönen Kuchenkranz,
der über dreißig mal besessen,
als er gebacken grad und ganz.

Doch auch das letzte wird noch landen
im ewig mahl’nden Maul der Zeit,
die nicht ‘nen Krümel lässt vorhanden
vom Tag in der Vergangenheit.

Dann ist auch dieser März zu Ende,
verblichen auf der Jahresuhr,
und bleibt als Nachhall im Gelände
nur noch der Blumen bunte Spur.

(Dass seiner Lebenslust entgegen
sein Name auch für Unheil steht,
ist ja nicht ihm zur Last zu legen,
nein, auf des Menschen Kappe geht

Der, den Instinkten treu geblieben,
die unverdunkelt vom Verstand,
von Macht- und Geldgier angetrieben
den Krieg sowie den GAU erfand.)

Wie’n frühlingslüftetrunkner Zecher
des Krokus Kelch nach Füllung schreit,
ein hochgereckter „Märzenbecher“ –
gäb’s dafür noch kein Copyright.

Mehr Blumen will ich nicht bemühen.
Was bräucht es auch ‘ne Inventur?
Seht sie mit eignen Augen blühen
selbst in der Stadt bescheidner Flur!

Dies Erbteil macht dem Monat Ehre,
gerecht für alle ausgestreut,
dass jeder ‘s mit dem Blick verzehre
und frohen Herzens wiederkäut.

Und wenn er selber längst entschwunden,
kein Hahnenfuß mehr nach ihm kräht,
dann wuchert noch mit seinen Pfunden
der Sommer, der sich drauf versteht.

Erst wenn im Herbst, im rauen Winde
an Ast und Halm verdorrt das Laub,
droht auch dem Blumenenkelkinde
des Frühlings dieser Erde Staub.

Geht’s so nicht auch den Menschenwesen,
die, kaum im schönen Dasein drin,
schon weggefegt von Chronos’ Besen –
und auch, was bleibt, fährt bald dahin?

Doch ob mit ihrem Schicksal hadern
die Blätter, die’s vom Stängel reißt?
Wer weiß, ob in den welken Adern
nicht längst schon neues Leben kreist.