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Fantasie in Fahrt

Es stimmt, man kann kein Ende finden,
ist man so richtig mal in Fahrt,
und möchte gar nicht mehr verschwinden
aus dieser flotten Gegenwart.

Man ist dabei, den Tag zu pflücken
gemäß horazischem Mandat
und hat, sich mit Latein zu schmücken,
auch „Carpe diem!“ noch parat.

Ja, viele andre Geistesblitze
entladen sich aus heitrem Hirn
und bieten als spontane Witze
der krausen Welt die Denkerstirn.

Ob das den lieben Tischgenossen
nicht schließlich auf den Zeiger geht
und von den pausenlosen Possen
der Zunge man Dispens erfleht?

Das kann man selber nicht mehr wissen,
weil’s schon im Müll der Seele liegt:
Auf einmal ist der Film gerissen,
den man nicht mehr zusammenkriegt.

Wenn morgens man mit Schädelbrummen
aus dem Narkoseschlaf erwacht,
will die Befürchtung nicht verstummen,
dass man sich zum Hanswurst gemacht.

Verkatert schleppt man und betreten
sich leidend durch den ganzen Tag,
bevor am Abend dann, am späten,
man plötzlich wieder feiern mag.

Doch lässt man sich als Lehre dienen
den ungezügelten Exzess
und bleibt nun auf stabilen Schienen
mit seinem Fantasieexpress.

Der aber will so recht nicht laufen,
ihm steckt’s noch in den Knochen drin,
drum lass ich heut ihn mal verschnaufen
bei Strophe neun. Na, immerhin.

Meisterklasse

meisterklasseIhr werdet euren Teil euch denken,
indem ihr diese Zeilen schaut:
„Ein Zwischenruf aus Hinterbänken
der Musenkunst: Nicht schön, doch laut.“

Nun ja, die prominenten Plätze
vorn im parnassischen Parkett,
nach ungeschriebenem Gesetze
gehörn sie folgendem Quartett.

Homer vorab gewalt’gen Sanges,
der uns der Feste Fall erzählt
im Epos allerersten Ranges,
dem zur Vollkommenheit nichts fehlt.

Danach Horaz, von heitrem Wesen
und friedevoll bescheidner Art,
der uns in Bildern, auserlesen,
das rustikale Rom bewahrt.

Folgt Dante, aus Florenz vertrieben,
der Beatrice nur begehrt
und aus der Hölle sich geschrieben
ins Licht, in dem er sie verklärt.

Den Vierten im illustren Bunde,
den auch als Avons Schwan man kennt,
führt heute jedermann im Munde,
der schwatzend auf Zitate brennt.

Die reimt man aus den ersten Reihen
beim besten Willen nicht mehr raus.
Der Spätren Verse: Stammeleien
aus des Parnasses Hinterhaus.

Doch kann mich das nicht so verdrießen,
dass fad mir würd der Musenkuss –
lass weiterhin die Zügel schießen
dem ungestümen Pegasus.

Und hab ich nicht ein Recht zu krakeln,
da sonst das Los mir nichts verlieh
und nur beim geist’gen Fingerhakeln
ich mal ein Verschen rüberzieh?

Drum fragt nicht, lest ihr diese Zeilen,
wie fern sie der Quadriga wohl –
seht zu den Musen wen nur eilen,
dass er ein Lorbeerblatt sich hol!

In vino veritas

In vino veritasSind sie denn nicht die größten Denker,
die Säufer, leidend an der Welt?
Nenn’s Römer, nenn es Cognacschwenker –
’s ist Wahrheit, was das Ding enthält.

Gefällt dir nicht, dies „Hoch die Tassen“?
Dann wirst du nie ein Philosoph.
Ein Gläschen um die Hüfte fassen –
so macht der Weisheit man den Hof.

Schon mit den ersten kurzen Schlucken
entkrampft sich der gestresste Geist.
Der Globus kann dich nicht mehr jucken,
da zu den Sternen du nun reist.

Und wenn nach Dutzenden von Zügen
in Seligkeit die Seele schwimmt,
wird sie empfindlich für die Lügen,
auf die das Leben uns getrimmt.

Benebelt kannst du klarer blicken,
beschwipst wird nüchterner dein Sinn.
Du hörst des Kosmos Uhren ticken
und gibst dem Ewigen dich hin.

Schon wieder da auf deiner Runde,
du alter Stromer, du, Trabant?
Ich grüße dich zur Abendstunde
ganz herzlich übern Becherrand.

Nie möchte den Moment ich missen,
da du erscheinst am Firmament,
dass eine Weile mir beflissen
dein Lämpchen vor der Feder brennt.

Grad will auf Poe ein Glas ich leeren,
dann nehme ich Horaz mir vor,
um bald auch Goethe so zu ehren,
der selbst auf gute Tropfen schwor!

Will auch den Bellman nicht vergessen
und nicht Villon, den Galgenstrick,
Verlaine und Steinbeck. Währenddessen
wachs ich an Weisheit weiter. Hick!

Und sollte ein Lamento singen,
das dieses Jammertal beklagt –
doch desto wen’ger will‘s gelingen,
je mehr ich „Prosit!“ schon gesagt!

So wie die Pfaffen uns benebeln
mit Engelszungenfertigkeit,
kommt mählich, den Verstand zu knebeln,
die glaubensfreie Trunkenheit.

Dann geht die ganze Weisheit schlafen
und schwitzt sich das Bouquet vom Fell,
beginnend mit dem Zähln von Schafen
und endend mit dem Weckappell.

Wird mit ‘nem Kater sie erwachen?
Da sei Dionysos davor!
Entronnen kaum des Hades Rachen,
leiht schon den Musen sie ihr Ohr.

Schon morgens würd ich gerne dichten,
sobald mir Licht ins Auge fällt.
Ein erstes Schlückchen dann? Mitnichten.
So früh es nur die Kunst entstellt.

Erst abends, dämmernd oder dunkel,
wenn schon das Kerzenflämmchen glüht,
begeistert durch des Weins Gefunkel
zum Sang sich endlich mein Gemüt.

Hat durchaus seine prakt’sche Seite,
die es zu andrer Zeit nicht hätt –
wenn glücklich mich die Muse freite,
kann ich danach sofort ins Bett.

Hohe Messlatte

Hohe MesslatteNa schön. Ihr wollt von mir nichts wissen.
Was ich verzapfe, ist euch piepegal.
Ihr nährt euch nur von Leckerbissen,
nicht von den Lesefrüchten zweiter Wahl.

Gut, lasst mich euch darum empfehlen,
was eurem Gusto eher wohl entspricht –
Gesang aus größter Dichter Kehlen,
des Genres absoluter Oberschicht.

Der Älteste gilt als der Beste.
Von Helden sang er, Ruhm und Ehr’,
vom Tod vor Trojas hoher Feste,
von Leid und Liebe: Sängerfürst Homer.

Und diesem folgte auf dem Fuße
der Künder friedlich-fleiß‘ger Feldarbeit,
des Landmanns täglich Müh und Muße –
Hesiod, die Stimme der Gerechtigkeit.

Nicht wen’ger lobend zu vermerken:
Horaz, für seine Oden hochgeschätzt,
der selbstbewusst sich in den Werken
ein Denkmal „ewiger als Erz“ gesetzt.

Vergil auch bürgt für Lesewonnen,
des Epos sich um den Äneas rankt,
der, knapp nur Ilions Brand entronnen,
nach Rom ins rettende Asyl gelangt.

Dann lasst nach China euch entführen
zur Zeit der Tang genannten Dynastie,
um großen Versen nachzuspüren
des mut’gen Literaten Bo Juyi.

Und wer verzaubert mit Terzinen,
beschwört Visionen von gewalt‘ger Kraft?
Ein Dante, ewig der zu dienen,
die in der Blüte ihm dahingerafft.

Dem Schöpfer meisterhafter Dramen,
dem „Schwan von Avon“ Dank auch fürs Gedicht!
Welch Vielfalt in dem schlichten Rahmen,
den das Sonett um seine Zeilen flicht!

Wen heute ihnen beigesellen?
Den Hölderlin gewiss, den Baudelaire:
Die Verse, die zu Hymnen schwellen,
und die von Laster und Erlösung schwer!

Mit Poe will ich die Reihe schließen:
Er hauchte Finsternis dem Worte ein,
dass wohlig-kalte Schauer fließen
dem Gruselsuchenden durch Mark und Bein.

Wenn diesen ihr das Ohr geliehen
und Seligkeit hat euch erfasst –
dann sei als Kennern euch verziehen,
dann habt bei mir ihr nichts verpasst!

Kunstgriffe

Die Kunst der StundeDie Kunst, wie soll man sie beschreiben?
Ich mein: Was macht ihr Wesen aus?
Wenn ich jetzt reime „Fensterscheiben“,
bin ich als Dichter schon fein raus?

Das kann nicht sein. Ich wälze Schriften.
Gedrucktes tut ja Wahrheit kund.
Kein Zweifel soll mir je vergiften
dies Manna aus Expertenmund.

Doch halt, hier stock ich schon
(um den „Olympier“ zu zitieren) –
die Schriften sind Legion:
Wo mag die Wahrheit mitmarschieren?

Horaz, der Elegien großer Meister,
bewies auch diesbezüglich seinen Rang.
Die Musen, riet er dem Talent, begeister
mit Tricks und Regeln auch für deinen Sang!

Beschrieb in der „Poetik“ detailliert
die Klippen, die es zu umschiffen gilt,
damit nicht spurlos sich verliert
das Wort, das unserm Kiel entquillt.

Soll ihm der Wahrheit Palmenzweig gebühren?
Wenn einem, sicher, dann Horaz –
wird zum Parnass er auch nicht führen
den Gipfelstürmer zweiten Grads!

Die Normen, die er klug ersonnen,
verwandt er selbst nur virtuos –
ach, Schafe tränk an goldnen Bronnen,
ihr Blöken werden sie nicht los!

Zuerst Talent, das höchste Muss.
Dann: Lieder, reifend im Gehirn.
Dazu ein Schreiber, gut in Schuss,
Gedankenknäuel zu entwirrn.

Fühl zum Poeten dich berufen,
scharr, Pegasus, mit deinen Hufen!
Denn Chuzpe ist die halbe Kunst
beim Aufstieg in der Massengunst.

Ein schlimmes Schicksal überdies
kann dich zum Könner küren:
Der Ruf des leidenden Genies
erschließt sich Herzenstüren.

Exzentrik kommt dir auch zugut.
Nur immer alles hübsch verquer!
Das Einhorn liebt man, die Chimär’,
nicht Mäuse, grau, mit Doktorhut.

Indem ich mich so dreh und winde,
mal hier, mal da den Reim postier –
ob dadurch ich dann glücklich finde
des Dichterruhmes Elixier?

Die Form, sie führ kein Eigenleben,
schmieg innig sich dem Inhalt an:
Was würd ich für Terzinen geben,
wie Dante göttlich sie ersann!

Dass einer in den andern schlinge
sich kettenmäßig Glied für Glied,
so reiht die Reime er zum Ringe,
den er um alle Sphären zieht.

Und weg von ausgelatschten Pfaden:
Mit kühnem Salto querfeldein
und Frischluft in die Lunge laden –
der halbe Dichter-Führerschein!

Doch so dantesk wird’s nicht gelingen
das Neue, wenn es wild gewollt.
Lass wie im Rausch den Stümper singen:
Du hörst nur einen Trunkenbold.

Sind Reim und Rhythmus dir gelungen,
sind Klang gefällig und Gehalt?
Schon Gründe für Belobigungen –
doch Lorbeer nicht im Blätterwald.

Die Speisen, die wir täglich kauen,
sind sie Gemenge nur, Gemisch?
Gekröse auf des Gaumens Auen,
Kaldaunen nur von Kutterfisch?

Gewürz muss rein und Hitze,
und alles wohldosiert,
worauf das Ganze schwitze,
akribisch terminiert.

Und schließlich noch ’ne Prise
von irgendeinem Kraut,
geheim trotz Expertise,
dem Koch nie abgeschaut.

(Ui, hat der Vers mich Zeit gekostet!
Ihr Musen, sagt, wo seid ihr hin?
Glaubt nicht, dass ich am Ende bin:
Denn nur wer reimet, der nicht rostet.)

Bei diesem wieder gab’s kein Zaudern:
Momente nur hat es gebraucht.
Verzeiht dies Aus-der-Schule-Plaudern –
doch seht auch, wie das Dichten schlaucht!

Lernt man Gedichte nach Rezepten?
Poetiken sind Schall und Rauch.
‘ne Handvoll Tricks für die Adepten –
der Rest kommt aus dem hohlen Bauch.

Versuch mal, so was zu erklären,
was unbewusst mit uns passiert!
Willst deinen Bauch du Mores lehren,
damit sein Knurren ihn geniert?

Bilderstreit

BilderstreitWenn meine Augen sich so weiden
am stillen Glanz der Klause hier,
kann ich den Maler nur beneiden,
der Leinwand braucht anstatt Papier.

Den Eindruck, den sein Blick gewonnen,
hält er in Form und Farbe fest,
bis zum Gemälde er geronnen,
das ihn noch gut erkennen lässt.

Die Dichter muss ‘nen Umweg nehmen,
indem mit Worten er beschreibt
und statt Konturn Gedankenschemen
dem Hirn des Lesers einverleibt.

Doch wie’s so geht mit Leidenschaften:
Dem Griffel drum ich nicht entsag
und von dem Zeug, dem schattenhaften,
auch weiter fröhlich schwätzen mag.

Ja, Schuster bleib bei deinem Leisten,
Apelles‘ Kunst ist dir verwehrt,
doch an der Musen Tafel speisten
stets auch Poeten, heißbegehrt.

Einst ging Horaz ja diesen Dingen
in der „Poetik“ auf den Grund
und sah um Bilder beide ringen –
die Malerhand, den Dichtermund.

Doch falls der Leinwand Lücken blieben,
dann gälte sie als fertig nicht.
Ein Blatt indes, nur halb beschrieben,
trägt ein vollendetes Gedicht!

Wahrscheinlich ortsfest

Wahrscheinlich ortsfestGanz anders als in frühren Zeiten,
da ich ein kurzer Urlaubsgast,
lass ich mich jetzt vom Motto leiten:
Ich bleib so lange, wie‘s mir passt.

Grad heut saß ich mit wem beim Schnacken,
der selbst schon wieder auf dem Sprung:
„Gleich morgen muss ich Koffer packen.
Und Schluss mit der Belustigung.“

So zwei, drei Wochen Strand und Sonne
sind beinah nicht der Mühe wert.
Kaum angelangt am Ziel der Wonne,
man ihm auch schon den Rücken kehrt.

Da hab ich endlich bessre Karten
als Rentner ohne Klotz am Bein;
kann bis zum nächsten Frühjahr warten –
und notfalls bis St. Nimmerlein.

Hängt ab nur von dem Wohlbehagen,
das ich verspür an diesem Fleck;
würd gleich mich in die Büsche schlagen,
wär’s eines Tages plötzlich weg.

Doch wenig scheint darauf zu deuten,
dass ich so schnell die Kurve kratz
und grade mich die Dinge reuten,
für die ich liebe diesen Platz.

Vorm Bauch die Berge und im Rücken
das graue, grenzenlose Meer:
Hier kann nach Lust den Tag ich pflücken,
als ob Horaz ich selber wär.

Relativ rasch

Relativ raschEheu fugaces,
Postume, Postume,
Labuntur anni!

Horaz (65 – 8 v. Chr,), Oden II, 14

Man kann den raschen Lauf beklagen,
die überstürzte Flucht der Zeit –
doch würd man andres drüber sagen
als der, der in die Wüste schreit?

‘ne Wahrheit, die das Röhricht raunen
man seit Jahrtausenden schon hört,
wen brächte sie denn noch zum Staunen,
dem Geist und Sinne nicht gestört?

Ach, nicht zum Staunen: Zum Verzagen
erwähn ich dieses Faktum bloß –
pro domo, weil in diesen Tagen
ich näher an die 70 stoß.

Springst du als Kind noch durch die Fluren
als Frischling dieses Erdenballs,
gehn nach Minuten deine Uhren,
von heut auf morgen bestenfalls.

Und steht nach freudigem Geschehen
dir mal erwartungsvoll der Sinn,
dann scheint der Zeiger stillzustehen,
so schneckenhaft kriecht er dahin.

In winz’gen, unauffäll’gen Dosen
verabreicht Chronos uns sein Gift –
du glaubst dich noch in Strampelhosen,
wenn unverhofft der Schlag dich trifft.

Jetzt schlug er auf die nächste Seite:
Ein 68er bin ich nun.
Weiß Gott! Doch einmal Scherz beiseite:
Das Alter kam auf Flügelschuhn.

(Der Zeitpfeil, wie Gelehrte sagen,
hat leider eine Richtung nur.
Ich könnte Einstein drum erschlagen,
dass er nicht hier schuf Remedur!)

Wie oft sah ich den Mond nicht tauchen
wie jetzt aus schwarzem Wolkendunst,
ihn als Staffage zu gebrauchen
zur höh’ren Weihe meiner Kunst?

Genug, um drüber zu vergreisen –
und doch zu selten allemal.
Schon bald wird ohne mich er kreisen
in andren Versen ohne Zahl.

Was kann es da denn noch bedeuten,
wenn ich die Bürgerstube flieh,
um bei den Musen anzuläuten
zum Türverkauf der Poesie?

Natürlich nichts. Doch dies Hausieren
ist ja mein einziges Talent.
Drum will ich keine Zeit verlieren –
grad wenn sie, wo sie, weil sie rennt!

 

Moralapostel

MoralapostelWenn unsre Welt ich, die illustre,
mir etwas näher mal beschau
und kritisch die Instanzen mustre,
die stützen den Gesellschaftsbau

Dann stoß ich immer noch auf eine,
die felsenfest als Säule steht,
obwohl so abgenutzt wie keine
und seit Millennien obsolet!

Ecrasez l’infâme! (Voltaire, 1694-1778)

Und sich in alle Lebenslagen
noch immer mit dem Anspruch mischt,
die Fackel der Moral zu tragen,
die ohne ihren Arm erlischt.

Nur von Gott her kommt die wirkliche Revolution,
die grundlegende Änderung der Welt.
(Papst Benedikt XVI., geb. 1927)

Und dabei ist ihr nicht nach Spaßen!
Ich frage mich, was größer ist:
Die Frechheit, dies sich anzumaßen?
Die Dummheit dessen, der es frisst?

Umgekehrt provoziert automat. Einwände gegen sein Handeln,
wer gegen die Prinzipien verstößt, die er selbst als
moral. Behauptet und (womögl. bewußt fälschl.)
für sein Tun beansprucht. Wir sprechen dann von Doppelmoral.
(Wörterbuch des Christentums, München 1995)

Ein flücht’ger Blick in ihre Akten,
in denen sich ihr Wesen zeigt,
verrät genug schon von den Fakten,
die sie bis heute gern verschweigt.

An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. (Matth. 7, 16)

Wohlweislich! Da ihr Tun und Treiben
zu keiner Zeit ein Ruhmesblatt!
Ihr Hauptzweck: alles zu entleiben,
was eine eigne Meinung hat.

Denn ein Feuer ist angegangen von meinem Zorn
und wird brennen bis in die unterste Hölle. (5. Mos. 32,22)

Nur was sie selbst für wahr befunden,
hat sie als Gottes Wort gelehrt
und hat es jedem aufgebunden,
und sei’s mit Feuer, Strick und Schwert.

Extra ecclesiam nulla salus.
(Cyprianus, um 200/210-258, und Augustinus, 354-430))

Sie schuf ‘nen Wust von Glaubenssätzen,
der, wenn verworrn auch und absurd,
für ihre steten Ketzerhetzen
zur mörderischen Richtschnur wurd.

Credo, quia absurdum. (Tertullian, um 145-220)

Und das in eines Meisters Namen,
der ohne Bosheit, Falsch und List
anstatt in Dogmen rumzukramen,
beherzt getan, was menschlich ist!

Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein…
(Joh. 8,7)

(Wohl niemals sonst in der Geschichte
wurd so verfälscht, was wer gelehrt,
ein edler Geist so sehr zunichte
und grad ins Gegenteil verkehrt!)

Was hat Christus die Welt gelehrt?: Schießt einander tot;
hütet den Reichen die Geldsäcke; unterdrückt die Armen,
nehmt ihnen das Leben in meinem Namen, wenn sie zu mächtig werden…
(Emil Belzner, 1901-1979)

Und diese ausgebuffte Bande,
die sich durch Christi Lehre log,
sie kommt auch heut noch gut zurande,
verbiegend, was sie stets verbog!

Wenn der Römische Papst in höchster Lehrgewalt (ex cathedra) spricht, das heißt: wenn er seines Amtes als Hirt und Lehrer aller Christen waltend in höchster apostolischer Amtsgewalt endgültig entscheidet, eine Lehre über Glauben oder Sitten sei von der ganzen Kirche festzuhalten, so besitzt er aufgrund des göttlichen Beistandes, der ihm im heiligen Petrus verheißen ist, jene Unfehlbarkeit, mit der der göttliche Erlöser seine Kirche bei endgültigen Entscheidungen in Glaubens- und Sittenlehren ausgerüstet haben wollte. Diese endgültigen Entscheidungen des Römischen Papstes sind daher aus sich und nicht aufgrund der Zustimmung der Kirche unabänderlich. Wenn sich jemand — was Gott verhüte — herausnehmen sollte, dieser unserer endgültigen Entscheidung zu widersprechen, so sei er ausgeschlossen.“ (1. Vatikanisches Konzil, 1870)

Ein Augenaufschlag: und gesungen
mit Inbrunst, die wie Demut klingt.
Und tausend Herzen sind bezwungen
von Schäfchen mit ‘nem Schafsinstinkt.

Wo Musik ist, da kann nichts Böses sein. (Cervantes, Don Quijote, 1605/1615)

(Der Todgeweihten Schrei’n und Stöhnen,
das die Jahrhunderte durchzieht,
es ließ sich auch wohl übertönen
mit so ‘nem Halleluja-Lied.)

Ein würdevolles Kesselschwenken,
dass Weihrauch rings die Luft erfüllt,
um in die Seelen sich zu senken,
die wohlig er in Nebel hüllt.

Beschwörung, feierlich gesprochen,
und Hokuspokus drumherum,
und schon ist auf den Leim gekrochen
das hochverehrte Publikum.

Die Brüder sind nicht totzukriegen,
so wenig wie der Gläub’gen Wahn:
Schamanen, die auch heut noch fliegen
zur Audienz bei Ma’at und Pan!

Ich harrte des Herrn, und er neigte sich zu mir
und hörte mein Schreien. (Psalm 40,2)

Sie holn sich aus den Himmelssphären
(wofür man weidlich sie belohnt)
den Gotteswilln, d. h. den Bären,
den aufzubinden sie gewohnt.

Und unsre Zeiten, die doch schüren
des Geistes Feuer ungestüm,
lassen am Nasenring sich führen
von Clowns im Kardinalskostüm.

Als Schabernack ließ ich’s noch gelten,
als harmlos-kind’schen Mummenschanz –
doch nicht als Einbruch höh’rer Welten
zur Stärkung der Moralinstanz!

Was Kant schon glaubte zu zermalmen
mit unbestechlichem Verstand,
es wedelt immer noch mit Palmen
und Bußregistern, gottgesandt.

Man fühlt sich wie im Mittelalter,
sieht man die Herrn im Kirchenkleid,
Gebete leiernd aus dem Psalter –
Phantome der Vergangenheit.

Doch weiter gilt’s zurückzugehen
als nur ‘ne Handvoll Säkula,
wolln diesen Mumpitz wir verstehen
von Brot und Wein etcetera.

Im Altertum sind wir gefangen,
solang nicht nach der Götterwelt
auch die, die draus hervorgegangen,
der Pfaffen Schöpfung endlich fällt!

Sapere aude! (Horaz, 65-27 v. Chr.)

Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!
(Kant, Was ist Aufklärung? 1784)

Des Sängers Lohn

Des Sängers Lohn„Ich hân mîn lêhen, al die werlt!“,
so jauchzte einst ein Dichtermund;
wenn Schampus auch noch nicht geperlt,
floss Wein doch bis zur Morgenstund.

Denn Walther von der Vogelweide
gab sicherlich ein Freudenfest,
als nach feudalem Treueeide
ein Gütchen er ans Herz gepresst.

Mein Gott, was warn das noch für Zeiten,
als man für Verse so belohnt,
für seine Zungenfertigkeiten
auf einem Herrensitz gethront!

Im alten Rom schon, wo Klienten
von ‘nem Patron versorgt wir sehn,
da förderte man mit Talenten
Talente. So ja auch Mäzen.

‘nen Gutshof er Horaz verehrte,
idyllisch im Albanerland,
der gern Gesänge damit nährte,
weil er die Gegend fruchtbar fand.

Ja, Versepfründe zu genießen,
gelang auch noch in neu’rer Zeit,
weil Herrscher sich nicht lumpen ließen,
wenn Hymnen ihnen wer geweiht.

Für so was kriegt man heutzutage
‘n Ei kaum und ‘n Butterbrot.
Die geistige Großwetterlage,
so ist vom Wandel sie bedroht!

Würd heute wer ein Loblied schmettern
auf eines Kanzlers Regiment,
im besten Fall dankt’ ihm in Lettern
mit schönen Gruß sein Referent.

Statt sich an Lyrik zu erfreuen,
an Wort gewordener Musik,
schätzt unsre Zeit den lesescheuen,
den technogeilen Disco-Freak.

Der gern entpult für seine platten,
doch ohrwurmträcht’gen Grölerein
des Portemonnaies gegerbtem Schatten
manch wanderlust’ges Eurolein.

Für Dichtung fehlt ihm die Antenne,
obwohl er sich poetisch fühlt,
wenn’s assonantische Geflenne
der Songs ihm in der Seele wühlt.

Empfindung für die fein’ren Töne –
ein Luxus, dem er gern entsagt.
Er will das Grobe, das Gedröhne,
er will der Reize irre Jagd.

Wer rückt Parnass noch auf die Pelle,
wer schaut ins Maul noch Pegasus?
Vereinsamt die Poetenquelle,
voll Bitterkeit der Musenkuss.

Was soll’s. Ich will mich nicht beschwern,
schreib gern auch ohne Dichterruhm.
Vielleicht wird man mich niemals ehrn.
Was soll’s. Vielleicht auch erst posthum.