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Schreibsport

In nacktem Weiß mir untern Händen
erneut ein unbeschriebnes Blatt,
das mit des Kulis Blau zu schänden,
die Muse keine Skrupel hat.

Ich führe also meinen Schreiber
mit permanentem Zeilenzwang
nicht anders als ein Eseltreiber
den Grauen seinen Pfad entlang.

Der trägt indes auf seinem Rücken
die Last für ‘ne geraume Zeit
und spürt sie auf sein Kreuz noch drücken,
bis ihn der Stall davon befreit.

Mir aber liegt nichts auf dem Nacken,
was um ein Gramm mich nur beschwert;
hab ja nur Lyrik einzusacken,
die längst schon ihr Gewicht entbehrt.

Drum immer munter fortgeschritten
auf meinem „vorgeschriebnen“ Weg;
was brauch ich raue Treibersitten,
dass mächtig ich ins Zeug mich leg?

Das kann natürlich daran hängen,
dass mich ein Gen hat programmiert
und neben allen andern Zwängen
mich auch mit Dichtung infiziert.

Doch mag es ein Geheimnis bleiben,
es ändert nichts am Sachverhalt –
mich reimend an der Welt zu reiben,
treibt mich mein Daimon mit Gewalt.

Ich setze schon seit vielen Jahren
auf die bewährte Therapie,
die Lebenslust mir zu bewahren,
wie andere auf Wasserski.

Mich ziehn die Musen an der Leine,
dass ich durchpflüg das stille Weiß.
Und Stürze gibt es dabei keine.
Solang ich mich am Riemen reiß.

 

Kein Wortgeklingel

Willkommen, liebe Leserinnen,
die meine Zeilen ihr nicht scheut,
‘nen kleinen Einblick zu gewinnen
in eine Kunst, die selten heut.

Ich könnt euch nicht in Zahlen sagen,
wer überhaupt sie noch genießt,
doch für mich selber nur beklagen,
dass sie als Mauerblümchen sprießt.

Dabei kann ich mir lebhaft denken,
warum sie so im Schatten lebt –
wer mag sein Ohr schon gerne schenken
dem Wort, an dem der Sinn noch klebt!

Will flüchtig wer zum Schwingen bringen
sein Herz im Harmonie-Akkord,
wird einen Hit er lieber singen,
denn Töne reißen richtig fort.

Und wer sich träumerisch im sachten,
im schnellren Schwung der Hüften wiegt,
der wird ‘nen Deubel darauf achten,
was für ein Text dem unterliegt.

Die ganze Skala von Gefühlen
erschöpft sich in der Melodie,
sie reißt die Leute von den Stühlen,
von lyrics hört man so was nie.

Die Chansonniers, die guten alten,
die hatten noch den Bogen raus,
wie beide sich die Waage halten,
Musik und Wort. Applaus, Applaus!

Doch heute will kein Schwein mehr lauschen
dem, was da wer ins Mikro lallt,
sich bloß am Lärm des Beats berauschen,
der stärker noch als Fusel knallt.

Schön Dank, dass ihr den leisen Tönen
auch weiterhin die Ohren leiht,
mein unvergeigtes Wort zu krönen
mit vier, fünf Hörern globusweit!

Drum geh ich nicht in Sack und Asche
und lutsch verbittert meinen Frust –
Verehrung für die laute Masche,
des Zeitgeists höchste Lebenslust!

Soll doch ein jeder gerne treiben,
was seinem Naturell entspricht,
und dankbar sich die Hände reiben,
wenn man ihm dafür Kränze flicht.

Ich hab auf meine alten Tage
mit Saitenspiel nichts mehr am Hut –
es widme sich dem Lautenschlage
der Barde mit Flamenco-Blut!

Ich pflege ganz im alten Sinne
sie, die olympische Idee –
nicht dass den Lorbeer ich gewinne,
doch unter Musen mich ergeh.

In der Schreibstube

In der SchreibstubeGanz nüchtern will ich Folgendes notieren,
und Kunst sei keineswegs dabei im Spiel.
Sollt’s dennoch jemand einmal kommentieren:
Ich selbst verstehe es als Prosastil.

Ich möchte ohne Schnickschnack einfach schildern,
was mir beim Schreiben hier vor Augen liegt.
Im Feld der Fantasie muss ich nicht wildern,
weil Wirkliches mir vor die Büchse fliegt.

Den Tisch hab ich entfremdet seinem Zwecke
und kurzerhand zum Schreibpult ihn gemacht.
Jetzt hock ich wieder in der Küchenecke
und nach der Musen Götterspeise schmacht.

Das heißt, die Esslust ist nicht ganz verschwunden,
auch die nicht, die den Gaumen nur erfreut;
drum Lippen öffnen ab und zu und runden –
ein Stücken Käse hat noch nie gereut!

A nos moutons! Da wär die Fenstertüre,
die zum Balkon sich öffnet oder schließt;
davor, Karrees von Löchern mit Bordüre,
in Faltenwellen die Gardine fließt.

Den Vorhang kann ich hier gleich miterwähnen,
der linker Hand gerafft die Stellung hält,
drauf schwarz und weiß von Hühnern und von Hähnen
die Silhouette groß ins Auge fällt.

Und hab ich je schon diesen Stuhl beschrieben,
den vor der Heizung voll in meiner Sicht,
sein Kiefernholz, aus dem wie eingetrieben
das dunkle Muster seiner Mas’rung sticht?

Und sicher auch nicht diese Dioskuren
von Topflappen am Haken überm Herd –
die völlig frei von Brand- und Hitzespuren,
weil man hier selten nur die Flamme nährt.

So könnt ich wohl ‘ne Weile noch erzählen
von diesem und von jenem episch breit,
doch will ich, Leser, dir Zeit nicht stehlen,
die du gewiss der Lyrik ja geweiht.

Verzeih mir, dass ich mit Banalitäten
dein Ohr, nach Höhrem lauschend, abgespeist –
du wirst ihn wiederfinden, den Poeten,
wenn du’s auch künftig seinen Zeilen leihst!

Bei Mondschein wieder

Bei Mondschein wiederDer Vorhang, halb nur zugezogen,
gab mir ein Stückchen Himmel frei,
da kam doch grade angeflogen
des Mondes volles Konterfei.

Im Nu er meine Augen bannte,
dass unbewegt sie hingestarrt,
wie kurz er auf der Häuserkante,
doch nirgends sonst im Raum geharrt.

Da war auch nichts, ihn abzufedern
an Wolken in dem ganzen Lauf,
er glitt wie auf geölten Rädern
bis zum gewohnten Gipfel auf.

Nun, auch fürn lustigen Trabanten,
der nächtlich seine Späße treibt,
hockt man nicht ewig in den Wanten,
nicht unbegrenzt im Ausguck bleibt.

Ich musste mich um andres kümmern,
was wichtiger als Nacht und Mond:
mit Lyrik eine Welt zertrümmern,
in der zu leben sich nicht lohnt.

Was, edler Leser, einst zu schaffen,
gerechtem Zweifel unterliegt,
da mit den rein poet‘schen Waffen
man höchstens über Herzen siegt!

Doch schön und gut, die Illusionen,
sind sie das Salz nicht im Gedicht?
Ich werd die Missgeburt nicht schonen,
solang die Muse für mich ficht!

Andere Lesart

Andere LesartWas soll ich, Leute, euch berichten?
Mein Tag verläuft ja stinknormal.
Kein Job; nur diese Hausmannspflichten.
Ein Leben wie im Wartesaal.

Wenn ich vom Putzen euch erzähle,
die Augen ihr wohl nur verdreht;
und wie ich so Kartoffeln schäle,
euch auch vorbei am Hintern geht.

Da müsste ja schon mehr passieren,
damit ich euch zufriedenstell –
so was wie’n Faustschlag auf die Nieren
oder doch seelisch was aufs Fell.

Doch hat sich was! Solche Blessuren,
die blieben mir zum Glück erspart.
Von früheren auch keine Spuren –
und wenn, verborgen unterm Bart.

Seht mich hier echt die Hände ringen,
Verzweiflung garantiert im Blick!
Wie gern würd ich euch Spannung bringen,
dass euch nicht langweilt mein Geschick!

Wie aber soll ich euch genügen,
wenn ich nicht irgendwas erfind?
Doch Lyrik kommt ja nicht von lügen
die Dinge sind, so wie sie sind.

Egal, sie soll euch trotzdem nützen –
nur mit ‘nem kleinen Unterschied:
Setzt auf zur Nacht die Zipfelmützen,
und lauscht ihr als ‘nem Wiegenlied!

Lyrik live

Lyrik liveNoch herrscht der Dämmer vor dem Dunkel,
obwohl schon gleich halb elf erreicht.
Der Himmel, ohne Sterngefunkel,
liegt noch in leichtem Blau gebleicht.

Da auf dem Dach die beiden Fahnen
entfalten noch in voller Pracht
das Farbenspiel auf ihren Bahnen,
das ihrer Heimat Ehre macht.

Erstorben aber auf den Straßen
die sonstige Geschäftigkeit;
die Leute eben nicht vergaßen
des Sommerabends wahre Zeit!

Man hockt in seiner guten Stube
bei leicht gedämpftem Tageslicht,
das nicht mehr brütet volle Tube,
doch außer der Gebührenpflicht.

Bei diesen stets erhöhten Preisen
hätt mehr man von der Helle gern,
doch leider muss die Erde kreisen.
Zum Glück!, sagt sich der Stromkonzern.

Nun, eh ich mich hier red in Rage,
zur Technik lieber noch ein Wort:
Heut Lyrik mal als Reportage,
live, wie auf Deutsch es heißt, vor Ort.

Die Nacht ist nämlich aufgezogen,
in schwarzem Schweigen liegt die Stadt.
Vers eins ist darum nicht gelogen –
es dauert, bis man sieben hat!