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Verschämte Not

verborgenes-leidMan sieht sie nicht, die Arbeitslosen,
ha’m ja kein Schildchen am Revers
und ganz normale Hemden, Hosen
von irgendeiner Stange her.

Sind auch am Schritt nicht zu erkennen
und auch nicht sonst am Habitus,
das heißt sie gehen und sie rennen
wie jeder gehn und rennen muss.

Sie knirschen auch nicht mit den Zähnen
und rollen mit den Augen nicht
und tragen keine Löwenmähnen
und Beutelust im Angesicht.

Auch wenn sie dies und jenes sagen
und wir hörn ihnen einmal zu,
dann ist’s nicht aus der Art geschlagen,
sie reden grad wie ich und du.

Sie lungern nicht an Straßenecken,
und lauern nicht in finstren Parks,
man sieht sie nicht die Fäuste recken
und „Mussolini!“ schrein und „Marx!“.

Sie gehen stille ihrer Wege
und manchmal wohl geschäftig auch
zu Bäcker, Bank und Körperpflege
nach allgemeinem Bürgerbrauch.

Sie tragen kein besondres Zeichen,
kein Kainsmal auf gefurchter Stirn,
dass Ausgestoßenen sie gleichen,
die einsam durch die Menge irrn.

Sie schwimmen in des Tages Wellen
wie Fische im vertrauten Schwarm –
wer würde diesen Netze stellen,
nach Reich gesondert oder Arm?

Mit unsichtbaren Gitterstäben
hat dennoch man sie eingefasst –
wie lebten sie ein freies Leben
unter des Mangels steter Last?

Du fragst: Was war denn ihr Verbrechen?
Noch herrscht ja Recht in diesem Land!
Ach, längst die Bosse es ja sprechen,
der Staat gab’s heimlich aus der Hand.

Wo Geld das höchste Glück uns gaukelt,
vergrößert sich das Elend bloß.
Noch schweigt das Volk, begöscht, verschaukelt –
doch einmal bricht der Sturm dann los!

Erfolgsgeheimnis

ErfogsgeheimnisInterna will ich euch verraten:
Viel Verse sind der Musen Lohn.
Heut kann ich förmlich darin waten:
Dies Lied ist ja mein zweites schon!

Da kommt der Nektar mir zugute,
den aus der Rebe man gewinnt
und der per Laster oder Schute
rot von Bordeaux nach Hamburg rinnt.

Ich muss ja Katz und Maus nicht spielen
mit irgendeinem Sportverband,
denn schöne Strophen zu erzielen
hat Mittel man seit je verwandt.

Doch lässt die Dichter man gewähren,
auch wenn im Wettbewerb sie stehn,
denn ihre Kunst in allen Ehren –
um große Summen wird’s nie gehn.

Der Muskelmann mit strammen Waden,
der Bälle und Pedalen tritt,
macht selbst bei größrem Geistesschaden
dagegen immer seinen Schnitt.

Denn für das Keuchen und das Quälen,
entschädigt man ihn königlich
und lässt ihn teuer noch empfehlen
‘ne Salbe gegen Sonnenstich.

Doch der Poet, der zum Idole
der Massen niemals hochgehypt,
der hat im besten Falle Kohle,
die schwarz und nicht kontierbar bleibt.

‘ne Welt, in der die Geistesgaben
und die des Herzens wenig wert,
sie ähnelt der der Küchenschaben,
wo prächtig man vom Dreck sich nährt.

Um es noch deutlicher zu sagen
(ich fass die Chance hier beim Schopf,
auf Marxens Seite mich zu schlagen):
Die Welt steht psychisch auf dem Kopf!

Sie faselt ständig was von Frieden,
von Eintracht und von Duldsamkeit,
und schwelgt doch in den Unterschieden
aus Konkurrenz und Widerstreit.

Sie lässt als höchste Werte feiern
Barmherzigkeit und Menschentum,
doch gönnt die Gans mit goldnen Eiern
Karrierefreaks mit Medienruhm.

Sie schwingt mit tausend Idealen
sich auf bis an das Sternenzelt
und misst das Leben doch mit Zahlen,
mit Kosten, Nutzen nur und Geld.

Sie glaubt an einen Gott da oben,
der Händler aus dem Tempel trieb,
doch hat zum Hauptgesetz erhoben
das „ökonomische Prinzip“.

Der Gipfel aller Perversionen!
Das heißt, dass man fürn Überschuss
und wegen der Profitmillionen
im „Notfall“ Menschen opfern muss!

Das Gegenteil von dem Humanen,
das öffentlich man gern beschwört,
und würdig unsrer Steinzeitahnen,
die so ein Wort noch nie gehört.

Moralisch absolut ein Kracher!
Wie aber kommt’s, dass keiner schimpft?
Weil, wie dies der Geschäftemacher,
ja jedes Credo eingeimpft.

Denn die den Staat am Zügel halten
und ihren Willen ihm diktiern
auch über die Gehirne walten,
die sie mit falscher Münze schmiern.

Mit „unsichtbarer Hand“, sie schwafeln,
renk alles sich zum Besten ein,
so dass an reich gedeckten Tafeln
das Land sich nähre, Groß und Klein.

Doch kann der Lüge überführen
sie schnell der vielen Armen Not,
die diese Hand als Faust nur spüren,
die ständig sie zu schlagen droht.

Man könnt das kalte Kotzen kriegen,
wenn man die Heuchelei erkennt,
mit der die Fakten sie verbiegen,
damit den Jammer Glück man nennt.

Ach, voll der Verse Fass, gestrichen –
wie gut habt, Musen, ihr’s gemeint!
Doch bin vom Thema ich gewichen:
Zu viel Interna, wie mir scheint.

Geistesnahrung erwünscht

SeraphDie Nacht ist weiter vorgedrungen.
Nach zwölf zeigt an der Wand die Uhr.
Seit neun hab Verse ich gesungen –
‘ne Handvoll Zeiln als Lebensspur.

Voraus die übliche Kulisse:
Gebäude, spärlich noch erhellt.
So sieht man nicht die ersten Risse,
die manche Mauer schon entstellt.

Natürlich gibt’s auch einen Himmel,
den braucht man ja als guter Christ.
Zieht irgendwann nicht an der Bimmel
man da, wo Petrus Pförtner ist?

Indessen hätte heut man Mühe,
zu sehn das Paradiesestor,
denn eine weiße Wolkenbrühe
steht einem Seraph gleich davor.

Nichts aber kann den Blick mir trüben,
wenn meine Klause er durchschweift:
die Küche, eine Kunst zu üben,
mit der man zu den Sternen greift.

(Hier ist von Kochen nicht die Rede,
wenn’s vordergründig auch so klingt:
Ich schaff’s als guter Logopäde,
dass selbst der Wasserkessel singt.)

Den Dichteraugen offenbaren
seit ewig sich hier unverhüllt
die Schränke und die Essenswaren,
mit denen er den Bauch sich füllt.

Und die den Unterbau ihm bieten
(hier hat der Trierer nicht geirrt)
für dies Gewusel von Termiten,
das als Ideen im Kopf ihm schwirrt.

Nein, dies bekannte „Plenus venter“,
das hungrig uns studieren heißt,
gilt nicht in meinem Musencenter,
wo grad die Nahrung nährt den Geist.

Ob sie bekömmlich auch dem Zwecke,
dass schwanengleich ertönt mein Sang,
dies, Leser, für dich selbst entdecke –
lies, wie ich schreibe: nächtelang!