Schlagwort-Archive: Murillo

Die Weisheit Epikurs

Ein Denkgebäude erster Güte,
nach Meister Epikur benannt,
erlebt noch heute seine Blüte,
wenn in der Regel auch verkannt.

Was hat uns dieser sagen wollen?
Zumindest nicht, was mancher meint:
Man schöpfe möglichst aus dem Vollen
von dem, was uns als Lust erscheint.

Das heißt, den Bauch sich vollzuschlagen,
bis schließlich er zu platzen droht,
an Wochen- wie an Feiertagen,
beginnend mit dem Morgenrot.

Und auch dem Trunke zuzusprechen
mit jeder Mahlzeit parallel,
um so von früh bis spät zu zechen,
dass es an Fröhlichkeit nicht fehl.

Dazu die weiteren Vergnügen,
nach denen unser Leib begehrt,
ihm jederzeit hinzuzufügen,
dass sich das Lustgefühl vermehrt.

Den Sinnen stets ein Fest zu geben,
so hat man jenem unterstellt,
das sei das höchste Ziel im Leben –
Genuss, der aus dem Rahmen fällt.

Und wenn man sich ein Bild mal machte,
um ihn von Angesicht zu sehn,
‘nen Schlemmer aufs Tapet man brachte
oder ‘nen trunkenen Silen.

Wie manchem ist es ihm ergangen,
dem man im Munde umgekehrt
die Weisheit, die er unbefangen
genau im Gegensinn gelehrt.

Gewiss hat er von Lust gesprochen,
doch nirgendwo von hemmungslos
auf kleiner Flamme sollt sie kochen,
als stille Lebensfreude bloß.

Das ist ja grad der Pfiff der Lehre –
die stetige Gelassenheit,
dass nichts mit Sorgen dich beschwere
und deiner Seele Angst bereit.

Von keinem Kummer lass dich drücken,
in keinen Jubel dich verliern –
steh auf, um einen Tag zu pflücken,
den Disteln gleichwie Rosen ziern.

Und da soll diesen man verprassen,
‘nen Dreck auf seinen Körper hörn
und mit stupidem „Hoch die Tassen!“
die Leber und den Geist zerstörn?

Da soll man ständig Orgien feiern,
die Lust zu kosten im Extrem,
dass sie, entblößt von allen Schleiern,
von selbst das Kotzen überkäm?

Sich still im Winkel wo zu halten
und sich des Augenblicks zu freun –
ein Stückchen Feuerholz zu spalten,
den Tauben Körner hinzustreun –

Wär das nicht höher einzuschätzen
als jener flüchtige Genuss,
nach dem die Spießer ständig hetzen
wie ein frustrierter Tantalus?

Doch selbst wenn irgendwo verborgen
wir hausen, wo die Hähne krähn,
bleibt doch die Frage nach dem Morgen,
das heißt dem letzten, den wir sehn.

Entführt er uns in Himmelsweiten,
wo Harfenklang uns süß umweht,
wo wir auf rosa Wolken schreiten
in ew’gem Preis- und Dankgebet?

Oder in finstre Höllenfluren,
die widerhalln von Todespein,
weil unter grässlichen Torturen
die Sünder durcheinanderschrein?

Die Sorge hat der alte Weise
mit seinem Credo weggewischt,
dass man nicht wo ins Blaue reise,
wenn‘s Lämpchen einem einst erlischt.

Es gäbe keine Höllenstrafen
so wenig wie ‘n Elysium,
die Götter, meint er, eher schlafen
und machen keinen Finger krumm.

Und wenn wir leben, nun, dann eben
macht ja der Tod noch keinen Schnitt –
und wenn sie uns das Bahrtuch weben,
kriegen wir auch von ihm nichts mit.

Ob so den Abschied er von Erden
tatsächlich jemand leichter macht,
mag immerhin bezweifelt werden –
‘ne Furcht, die einfach „weggedacht“?

Doch schön, dass er die letzten Dinge
allein mit dem Verstand bedenkt
und sich nicht in der falschen Schlinge
von Wunder & Absurd verfängt.

Ihm alle meine Sympathien,
dem Anwalt für den Seelenschmaus!
Drum hab ich ihn mir ausgeliehen
und schlachte ihn genüsslich aus.

Salz und Souvenir

Las SalinasDas Bröckchen kommt mir ständig zu Gesichte,
es liegt ja zünftig auf dem Küchentisch.
Wollt ihr sie hören, Freunde, die Geschichte?
In Ordnung, weiter mit dem Wisch!

Erinnert euch, dass ich mit Engelszungen
vom Urlaub mal im Herbst euch vorgeschwärmt:
“Reibt rau der Atem sich schon in den Lungen,
dann in die Sonne, wo sie wärmt!“

Das war im letzten Jahr erst, im Oktober,
ein kühler Sommer regenreich zerrann.
Im Laub der alte Wettstreit Gelb – Zinnober,
der gar bei Feuchte Glanz gewann.

Da griff ich mir, wie‘s heute heißt, ’nen Flieger
und ließ zu diesen Inseln mich kutschiern,
wo die Teutonen heute noch als Krieger
beim Trinken Kampfkraft demonstriern.

Mallorca, diese Walstatt ist Legende!
Und dann, kurz vor der Landung, da, Es Pla!
So weit, so eben liegt es, dies Gelände,
das Mühlentuch zum Greifen nah!

Ich will mich in Details nicht groß verlieren.
Nur so viel: dass ich mehr als Sonne fand.
Auch einen Christus übers Leid sinnieren,
gesehen von Murillos Hand.

Glyzinien, die in wogenden Kaskaden
den lila Gischt der frischen Blütenzier
von Giebeln stürzen ließen und Fassaden
als duftig-fließendes Spalier.

In luft’ger Höhe über flachen Fluren
die Blicke ohne Halt und Horizont
herab von Hügeln, die auf steilen Spuren
nur zickzack man erklimmen konnt.

Und tief in Täler eingestreute Städte,
Gelegen gleich in ihrem warmen Nest,
wenn auch die Sonne dort, zumal die späte,
als Schatten sich nur blicken lässt.

Und nicht zuletzt auch, Eingangstor zum Meere,
die seichte brackig-grüne Wüstenei –
Salinen, dass die Woge sich entleere
und sich von Bitternis befrei.

Zu Haufen aufgetürmtes Salz in Massen
wie anderswo die Kohle, wie der Sand,
kompakter nur und rauer anzufassen,
glitt man darüber mit der Hand.

Und weiß wie Schnee, der, eben erst gefallen,
vom Schmutz der Welt noch völlig unberührt,
millionenfach mit glitzernden Kristallen
die Glut vereister Kräfte schürt.

Da hab ein Stückchen ich herausgebrochen,
so winzig, dass es kaum ins Auge fiel,
und dran geleckt, getastet und gerochen,
entdeckerfreudig infantil.

Gab es als Salz sich klar auch zu erkennen,
noch unzerkörnt zur bess’ren Löslichkeit,
mocht’s auf der Zunge doch nicht brennen
so typisch, dass man’s von sich speit.

Mit milder Würze hat es sich empfohlen,
mit einer Prise auch von Wind und Tang,
wie eine Meeresfrucht, die einzuholen
man in der Wogen Seele drang.

Nun wisst ihr, wie die Dinge sich ergeben.
Da liegt es nun, das krude Souvenir.
Ach, könnt ich öfter solche Schätze heben,
als sie zu schildern auf Papier!

Es Pla. Es Trenc. Glyzinienwogen,
ein Christus, klaglos, leidgebeugt.
Und Dörfer, übern Hang gezogen,
der frühe Schatten säugt.

Auf jähen Kuppen Klostermauern.
Ein Adler, schwebend, überm Kliff.
Verstaubte Städtchen, die versauern,
des Gottverlassnen Inbegriff.

Cala Estany: Wellen pressen
sich durch das enge Felsentor.
Und dann der Sturm da, unvergessen,
wie Gischt zum Himmel schoss empor!

In diesem Klümpchen Salz gefangen,
wie ein Insekt im Bernstein ruht:
Opak, von vagem Weiß verhangen,
die Insel als Geschenk der Flut!

Mit offnen Augen

Mit offnen AugenMan sieht nicht viel, doch viel indessen,
was wunderlich ins Auge sticht.
Am Ufer abends, weltvergessen,
Spaziergang im Laternenlicht.

Am Himmel glänzt der goldne Bogen
des Mondes aus der Dunkelheit,
den straff ihm um den Bauch gezogen
die Sonne nur zwei Finger breit.

Die Sichel so in Rückenlage,
wie’s mancher alte Meister zeigt,
dass wie ein Schiff sie gleichsam trage
die Jungfrau, die zum Himmel steigt.

Gigantisch drunter das Gebilde
der Wolke, die ‘nem Ufo gleicht
und faustkeilförmig ins Gefilde
der offnen See hinüberreicht.

Die ungezählten Wellen wiegen
wie Jachten sich an finstren Kais.
Nur wo die Muschelpontons liegen,
noch Lichter blinken wechselweis.

Der Wind hat aufgehört zu heulen.
Die Palmen stehen steif und stumm.
Kein Laut, die Stille zu verbeulen,
die tiefer als Silentium.

Natur. Und jederzeit zu sichten
für alle Seelen mit Gespür.
Was gibt’s denn da noch groß zu dichten?
Die Wunder liegen vor der Tür.