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Heute musenfrei

Heute musenfreiAls wär heut weiter nichts geschehen,
dreht sich die Erde in die Nacht;
man hört noch ihren Atem gehen,
doch schon zum bloßen Hauch verflacht.

Mit ihrem Tagewerk zufrieden,
entschlummert sie zur sel’gen Ruh
und deckt was kreucht und fleucht hienieden
auch mütterlich mit Sternen zu.

Dies Vorspann nur – und nun zur Sache:
Zumindest einer hockt hier noch,
der, dass die Muse ihm erwache,
sich in die Falle nicht verkroch.

Wir ham’s ja alle wo gelesen
(wohl wissend, dass Gedrucktes wahr):
Nur ausgesprochen scheue Wesen
den Künsten der Parnass gebar.

So muss ich wirklich öfter warten,
bis meine Schwester nicht mehr schweigt
und mir den dorn’gen Weg zum Garten
der blüh’nden Liederbeete zeigt.

O wie ich dann zur Hacke greife,
dass mir dies Wunder auch gelingt
und nach ‘ner tierisch kurzen Reife
mir schon die Frucht entgegenspringt!

Dann lächelt sie wohl auch bisweilen,
wenn ich mich wieder mal verhau
und statt der hübschen Blumenzeilen
nur Quecke krieg und Bärenklau.

Doch ohne mich groß anzupflaumen,
dass ich ein echter Schussel sei,
leiht sie mir ihren grünen Daumen
zum Wohle meiner Gärtnerei.

Dann solltet ihr’s mal sprießen sehen,
o Fülle und o Fantasie!,
und alles doch geordnet stehen
zum Bild vollkommner Harmonie.

Ach, wenn nicht ihre Hilfe wäre,
was brächt mein eigenes Bemühn?
Der höchste Stolz der Dichterehre –
statt Rosen graues Immergrün!

Ja, grade heute lässt die Gute
mich launisch wieder mal im Stich,
dass ziemlich elend mir zumute,
weil hier nur einer werkelt: ich.

So also sieht es auch, ihr Lieben,
betütert mich die Muse nicht.
Sagt, ist es in den Wind geschrieben,
sagt, riecht’s entfernt noch nach Gedicht?

Der Dichterfürst

Der DichterfürstNun, wer es auf poet’schem Felde
zu ein’gem Ruf und Ruhm gebracht,
dass selbst er mit verlegtem Gelde
noch locker seinen Reibach macht

Wie zierlich wird er sich bewegen,
damit, der ihm die Schläfe ritzt,
der Lorbeer auch bei Wind und Regen
ganz sicher auf der Platte sitzt!

Mit Sprüchen wird er, mit Sentenzen
als literar’scher Oberhirt
den Nimbus schöner noch beglänzen,
der schön ihm schon zu Häupten schwirrt.

In Sachen Kunst wird er so richten,
dass für ein Salomo er gilt –
mit weisem Urteil sie gewichten,
indem er lobpreist oder schilt.

Und diesem Urteil ist zu eigen,
dass es kein „teils und teils“ enthält.
Um unbestechlich sich zu zeigen,
wird’s rasch und in Schwarzweiß gefällt.

Da mögen auch mal Köpfe rollen,
Karrieren in die Krümpe gehn,
in unsres Richters Protokollen
ist „Irrtum“ gar nicht vorgesehn.

Von des Olymps erhabnen Höhen,
von eines Papsts sakralem Stuhl
gestattet er sich, durchzuflöhen
der Mitpoeten Versepool.

Da sieht er keine großen Fische.
Der einz’ge Hecht im Karpfenteich
er selbst, der bei Apoll zu Tische
und diesem auf der Leier gleich.

Und wie’s so geht in diesen Zeiten,
da man vor großen Namen kniet:
Mag er sich zig Mal auch verreiten:
„Ein Ass auf seinem Fachgebiet!“

Das Bändchen, das in jedem Jahre
er produziert an Poesie,
gilt denn auch stets als erste Ware
und Meilenstein für sein Genie.

Wer aber käme ihr denn näher,
unsterblicher Unsterblichkeit,
als so’n versierter Wortverdreher,
der täglich um die Muse freit?

Und dem im Melos süßer Aulen,
umschmeichelnd seinen Götterrang,
des Höllenhundes dumpfes Jaulen
nie schaurig in die Träume klang?

Was aber, wenn er eingetreten,
der Fall, den er nicht vorgesehn,
und plötzlich mit Gerichtstrompeten
die Todesengel vor ihm stehn?

Wird er wie weiland Orpheus singen,
dass er das Grab zu Tränen rührt,
und so der Aufstieg ihm gelingen,
der ihn zurück ins Leben führt?

Schluss mit den lyrischen Ergüssen!
Schweig, wenn’s Gericht, das Jüngste, tagt!
Du wirst nun damit leben müssen,
dass hier dein Urteil nicht gefragt.

Bescheidene Palette

Bescheidene Palette2Bedächtig habe ich wie immer
den Bogen vor mich hingelegt.
Halb neun. Die Zeit, da sich ein Schimmer
von Sternen schon am Himmel regt.

Auf meinem Tisch nur, was ich brauche:
Ein Lämpchen, das sein Licht mir leiht,
und auf der Kerze dickem Bauche
das Flämmchen der Gemütlichkeit.

An Wein hab ich ‘nen trocknen Weißen
mir für heut Abend ausgeguckt.
Dazu ein bisschen was zum Beißen,
falls es den Gaumen danach juckt.

Mehr nicht. Um Bragis Kunst zu üben,
reicht dies bescheidne Drumherum.
Kein Atelier wie Kraut und Rüben,
kein Studio mit Harmonium.

Doch Strich für Strich die Worte fallen,
die in der Seele angerührt
und sich zu bunten Bildern ballen,
von keinem Rahmen eingeschnürt.

Indes im Rhythmus ihrer Füße,
der ruhig und melodisch fließt,
ein Hauch sich schon der ganzen Süße
gottseliger Musik erschließt.

Ja, so spartanisch das Ambiente,
so dionysisch oft die Kunst,
winkt doch dem lyrischen Talente
nicht nur der einen Muse Gunst.

Es muss sich keinem Zwange beugen,
der „tonig“ oder „tönend“ heißt,
kann all dies und noch mehr erzeugen
in seinem grenzenlosen Geist.

(Bisweilen, in ganz seltnen Fällen,
gelingt dies auch der Staffelei.
Wer hört ihn nicht im Raume gellen,
Munchs manisch laut gemalten „Schrei“!)

Was sehen lassen oder hören
mit Pinsel die und Notenblatt,
der Barde kann es auch beschwören
genauso klang- und farbensatt.

Doch nicht so ‘n hergelaufner kleiner –
nur ein Gigant im Dichterchor.
Der Dante, ja, das war so einer:
ein Bosch fürs Auge, Bach fürs Ohr.

Der Hölle unsägliche Qualen
so schrill und schmerzlich er beschrie,
dass selbst dem übelsten Rivalen
die Sünden man noch gern verzieh.

Des Himmels höchste Lichtgefilde
er so berauschend gar besang,
dass von dem unsagbaren Bilde
wie Offenbarung es erklang.

Ach, in so blendenden Regionen
verliern nur Große nicht die Sicht!
Ich muss indes die Augen schonen,
die nur gewöhnt an Kerzenlicht.

Kein Aufschwung, keine Wiedergabe
von letzten Dingen, kühn geschaut.
Hie Laureat, hie Waisenknabe,
der einfallslos am Griffel kaut.

Wenn aber Kräfte zu entbinden,
ein Weib uns aus dem Schlummer weckt,
dann lass, o Gott, den Rock mich finden,
in dem ‘ne Beatrice steckt!