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Bescheidene Palette

Bescheidene Palette2Bedächtig habe ich wie immer
den Bogen vor mich hingelegt.
Halb neun. Die Zeit, da sich ein Schimmer
von Sternen schon am Himmel regt.

Auf meinem Tisch nur, was ich brauche:
Ein Lämpchen, das sein Licht mir leiht,
und auf der Kerze dickem Bauche
das Flämmchen der Gemütlichkeit.

An Wein hab ich ‘nen trocknen Weißen
mir für heut Abend ausgeguckt.
Dazu ein bisschen was zum Beißen,
falls es den Gaumen danach juckt.

Mehr nicht. Um Bragis Kunst zu üben,
reicht dies bescheidne Drumherum.
Kein Atelier wie Kraut und Rüben,
kein Studio mit Harmonium.

Doch Strich für Strich die Worte fallen,
die in der Seele angerührt
und sich zu bunten Bildern ballen,
von keinem Rahmen eingeschnürt.

Indes im Rhythmus ihrer Füße,
der ruhig und melodisch fließt,
ein Hauch sich schon der ganzen Süße
gottseliger Musik erschließt.

Ja, so spartanisch das Ambiente,
so dionysisch oft die Kunst,
winkt doch dem lyrischen Talente
nicht nur der einen Muse Gunst.

Es muss sich keinem Zwange beugen,
der „tonig“ oder „tönend“ heißt,
kann all dies und noch mehr erzeugen
in seinem grenzenlosen Geist.

(Bisweilen, in ganz seltnen Fällen,
gelingt dies auch der Staffelei.
Wer hört ihn nicht im Raume gellen,
Munchs manisch laut gemalten „Schrei“!)

Was sehen lassen oder hören
mit Pinsel die und Notenblatt,
der Barde kann es auch beschwören
genauso klang- und farbensatt.

Doch nicht so ‘n hergelaufner kleiner –
nur ein Gigant im Dichterchor.
Der Dante, ja, das war so einer:
ein Bosch fürs Auge, Bach fürs Ohr.

Der Hölle unsägliche Qualen
so schrill und schmerzlich er beschrie,
dass selbst dem übelsten Rivalen
die Sünden man noch gern verzieh.

Des Himmels höchste Lichtgefilde
er so berauschend gar besang,
dass von dem unsagbaren Bilde
wie Offenbarung es erklang.

Ach, in so blendenden Regionen
verliern nur Große nicht die Sicht!
Ich muss indes die Augen schonen,
die nur gewöhnt an Kerzenlicht.

Kein Aufschwung, keine Wiedergabe
von letzten Dingen, kühn geschaut.
Hie Laureat, hie Waisenknabe,
der einfallslos am Griffel kaut.

Wenn aber Kräfte zu entbinden,
ein Weib uns aus dem Schlummer weckt,
dann lass, o Gott, den Rock mich finden,
in dem ‘ne Beatrice steckt!

Meine Beatrice

Meine BeatriceDie Dame, die sich drüben immer
um diese Zeit im Fenster zeigt –
ich weiß nicht … dunkel alle Zimmer,
die Mauer, die Fassade schweigt.

Die drei Gevierte nur daneben,
in eine Reihe hingestreckt,
so gelb sich da wie gestern geben –
wie’n Büffel, der die Zähne bleckt.

Wo, die ich nie von Nah gesehen,
dern Angesicht mir stets verhehlt?
Verwundert muss ich eingestehen,
dass mir die Unbekannte fehlt!

Ja, diese schwarze Silhouette,
tief auf die Fensterbank gedrückt,
als ob sie schwer zu tragen hätte,
wenn sie so auf die Straße guckt

Und die doch weich in den Konturen
und voller Anmut sich bewegt,
dass man den Blick auf ihre Spuren
nur ungern wieder niederschlägt.

So mag der göttergleiche Dante
ganz selig sanft erschauert sein,
als dieses süße Bild ihn bannte
in einer Kirche Dämmerschein

Und er fortan in seinem Leben
gefolgt des Herzens eitlem Ruf,
dass wie ‘nen Dom mit Schiff und Streben
er ein gewalt’ges Lied erschuf.

Doch meine Beatrice drüben
befördert nicht der Verse Kraft.
Die Liebe muss ich wohl noch üben,
die unerwidert Großes schafft.