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Finstere Zeiten

Die einem Gott ihr Leben weihen
und alles tun nur ihm zur Ehr,
die Güte als das Gut beschreien,
das als das höchste er sie lehr.

Denn wie ein Vater, der die Seinen
mit Liebe und Verständnis führt,
wolln jede Handlung sie verneinen,
die nur Gewalt und Hader schürt.

Und schreiben auch sich auf die Fahnen,
dass ohne Gier ihr Herz und Geist
und auf asketisch reinen Bahnen
ausschließlich um die Gottheit kreist.

Bei so viel löblichen Gefühlen,
ganz frei von jedem üblen Ruch,
scheint’s doch geboten, mal zu wühlen
in der Geschichte klugem Buch.

Die Kenntnis, die wir da gewinnen,
hat mit dem Anspruch nichts gemein
und zeigt die Kunst nur, fein zu spinnen
sein Seemannsgarn und Jagdlatein.

Meist sieht man Scheiterhaufen brennen
und Köpfe grausig abgehackt,
indes wie Krokodile flennen,
die Pfaffen im Tedeums-Takt.

Und wie sie sich von Tücke trunken
noch weiden an dem fremdem Leid,
zu Bestien herabgesunken
in ihrem seidnen Priesterkleid.

Und das für einen Gott der Liebe?
Sie sahn den Widerspruch nicht mal –
so glühten ihre finstren Triebe
im Feuereifer eines Baal!

Und diese wackren Pfründenjäger,
die Menschen quälten bis aufs Blut,
sie raubten, hohe Würdenträger!,
auch schäbig ihnen Hab und Gut.

Denn saß als Ketzer wer in Händen
der Geistlichkeit erst einmal fest,
dann konnte man sein Gut auch pfänden
fürn Gott, der nichts verkommen lässt.

In ihren selbstgefäll’gen Herzen
war nicht ein Fünkchen Mitgefühl –
glatt warn sie wie Fronleichnamskerzen
und knochenhart wie Chorgestühl.

Warum sie so empfindlich waren,
wenn’s um die reine Lehre ging?
Weil, hergezogen an den Haaren,
das meiste an ‘nem Faden hing.

Wo’s wimmelt nur von Wunderdingen
und ausgeschaltet der Verstand,
muss man das Volk zum Glauben zwingen,
bevor den Schwindel es erkannt.

Man stell sich vor, die Forscher heute,
die doch schon manches rausgekriegt,
sie knechteten die Menschenmeute,
weil Planck und Einstein ihr nicht liegt!

Und deshalb heißt‘s für diese flitzen,
dass ihr Gewissen sich entlädt,
dreimal pro Woche nachzusitzen
im Beichtstuhl einer Fakultät.

Für eher lässliche Vergehen
(„Null Ahnung von ‘nem Weißen Zwerg“),
wird man verdonnert, nachzusehen
in einem Astro-Standardwerk.

Doch wehe, wenn an Basiswissen
es einem Laien mangelt gar,
dann wird der Kopf ihm abgerissen,
und zwar auf eigene Gefahr.

So wie die Trinität zu lästern
der Gipfel einst der Schurkerei,
so, ewig junger Schnee von gestern,
heut E = mc2.

Man muss auch Heilige verehren,
die Leuchten ihrer Wissenschaft,
die, um Erkenntnis zu vermehren,
verausgabt ihre Lebenskraft.

Am höchsten dabei unbestritten,
die man verspottet und bedroht
und so wie Bruno gar erlitten
den christgestützten Martertod.

Zu deren Gräbern kann man wallen
und knien in innigem Gebet,
und Antwort wird schon bald erschallen
mit postmortalem Funkgerät.

Auch ihr, die ew’gen Ruhm erworben,
‘ne eigene Zeremonie –
die für die Forschung ist gestorben,
der mutigen Marie Curie!

Die Hölle mit den irren Qualen
zurück in dumpfe Hirne kroch;
den heut’gen Frevler und Wandalen
schreckt zeitgemäß ein Schwarzes Loch.

Und wie man einst mit heißem Herzen
den „Ketzern“ an die Gurgel fuhr,
bemüht man jetzt sich, auszumerzen
die Penner mit der Perlenschnur.

So wär, vom Glaubensgeist beflügelt,
vielleicht geworden unsre Zeit,
hätt nicht die Wahrheit ihn gezügelt
mit der ihr eignen Menschlichkeit.

So weit, so gut. Die Ignoranten
beachtet man nun weiter nicht;
doch die so aus dem Blick Verbannten,
sie hüten noch ihr altes Licht.

Sie wolln den Irrtum nicht gestehen
und nicht des Hirngespinsts Bankrott
und weiterhin das Heil erflehen
vom schweigenden Placebo-Gott.

Das Fußvolk. Doch die smarten Pfaffen,
die wissen, wie der Hase läuft,
und lassen doch das Kreuz begaffen,
mit dem Pilatus man ersäuft.

Und glotzen mit verdrehten Augen
verzückt empor zum Himmelszelt,
als würden sie den Segen saugen,
den sie bei Petrus vorbestellt.

Seid ihr noch da? Ich schließe lieber.
Hab mich verplaudert wieder mal –
so mittendrin im Versefieber
fand ich nicht gleich das Bremspedal.

Das Fazit schnell in eure Hände,
bevor ich in die Koje saus:
Des Mittelalters wahres Ende,
es liegt Äonen noch voraus.

Bürgerliches Vergnügen

Bürgerliches VergnügenDer Bürger, runter von der Piste,
befreit von seines Tages Fron,
begibt sich vor die Flimmerkiste,
dem Leichenschauhaus der Nation.

Und bierbequem in seinem Sessel
er zielbewusst ‘nen Krimi krallt,
dass er Gemütlichkeit entfessel
durch Bilder von Brachialgewalt.

Den Kick kann ihm kein Blümchen geben,
das lieblich an der Hecke blüht,
Herr Soundso braucht Menschenleben,
auf dass ihm walle das Gemüt.

‘s ist seiner Psyche anzukreiden:
Bei Salzgebäck und weit vom Schuss
sieht liebend gerne er erleiden,
was er nicht selber leiden muss.

Der schönste aller Nervenkitzel,
so denkt der brave Bürgersmann,
ist wenn mit Wonne und Gewitzel
man sich gefahrlos gruseln kann.

So hätt auch der Neandertaler
mit ähnlich technischem Produkt
als Stein-TV-Gebührenzahler
den „Faustkeil-Killer“ nur geguckt.

Ja, über tausende von Jahren
pflanzt so ‘ne Tradition sich fort,
vom blut’gen Alltag des Barbaren
bis zum modernen Tele-Mord.

Und unsre heutigen Schamanen,
beim Fernsehn sagt man „Intendant“,
sie leihen wie schon unsre Ahnen
dem Schlachten segnend ihre Hand.

Gibt’s was dagegen einzuwenden?
„Natürlich! – Alles halb so wild.
Denn alle Sachen, die wir senden,
sind der Gesellschaft Spiegelbild.“

Pilatusse! In Unschuld waschen
die Pfoten, die von Blut befleckt,
weil sie nach Sendequoten haschen
mit allem, was nach Keule schmeckt.

„Was soll denn bloß dies Kulturelle?
Kein Krimi heut?“ Der Bürger stöhnt.
Er zappt ‘nen Mord sich auf die Schnelle.
So hat die Kiste ihn verwöhnt!