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Kein Pharao

Die sie hier Pyramiden nennen
nach denen fern im Wüstensand,
sind Häuserblocks, wie wir sie kennen,
die jenen vage formverwandt.

Sie sind an den Fassadenseiten
nach oben zu leicht abgeschrägt,
so dass die beiden Giebelbreiten
zu einem Dreieck ausgeprägt.

Fünf oder sechs von diesen Klötzen
sind hinternander aufgereiht,
um sich am Meerblick zu ergötzen,
der ihnen Lob und Preis verleiht.

Auch tragen sie berühmte Namen
des Nil-Volks alter Götterwelt,
die schön geschrieben und mit Rahmen
dem Hauptportal vorangestellt.

Natürlich sind sie nicht errichtet
als eines Einzgen Ruhestatt:
Man hat die Ziegel hier geschichtet,
dass mancher Raum und Bleibe hat.

Apartments, alle gleich geschnitten
in Größe, Technik und Komfort,
doch reizvoll alle, unbestritten,
der Aussicht wegen – Mirador.

Ringsum auf dem gepflegten Rasen
Hibiskus, Margeriten auch,
die friedlich mehr am Rande grasen
vereint mit dem Tagetes-Strauch.

Ein Freund von mir hat viele Jahre
in solchem Heim sich wohlgefühlt,
bevor ihn wie verdorbne Ware
der Fluss der Zeit hinweggespült.

Wann immer mich die Schritte lenken
vorbei am „Apis“-Eingangstor,
kommt, ewig seiner zu gedenken,
der Bau mir wie ein Grabstein vor.

Anhaltende Baulust

Anhaltende BaulustNun war ich weg ‘ne ganze Weile
und guck, da schließlich heimgekehrt,
hier rauf und runter meine Meile,
ob sie mich etwas Neues lehrt.

Die Baumanie ist ungebrochen,
wie mir der erste Blick schon zeigt.
Denn um nach Kräften abzukochen,
man stark zur Immobilie neigt.

Da drüben in dem Straßenbogen,
der Brachland lange Zeit umschloss,
sind jetzt Fassaden hochgezogen
durchgängig bis zum Dachgeschoss.

Und auch dahinter recken Kräne
den Schwanenhals aus diesem Meer,
dass es sich immer weiter dehne
in Welln, zement- und ziegelschwer.

Ja, selbst hier unten an der Ecke
die Apotheke, die ich nutz,
gab, sicher zu gesundem Zwecke,
sich einen frischen Sonntagsputz.

Wann wird der Mensch mal Ruhe geben?
Er wirkt und werkelt ohne Rast,
als ob sein Acht-Jahrzehnte-Leben
die ganze Ewigkeit umfasst!

Im Notfall baut er Pyramiden,
dass er in Stein unsterblich sei –
und west als Toter fort hienieden
mit einer Mumie Konterfei.

Hinter den Fassaden

Hinter den FassadenDa ragen sie, die Hausfassaden,
der stärkste Sturm weht sie nicht um,
mit Ziegeln bis zum First beladen
in Reihen um die Luken rum.

Sind sie nicht wahre Pyramiden,
den Wettern trotzend und der Zeit,
von jenen Bauten nicht verschieden
im Balsamstein der Ewigkeit?

Ihr Stolz: sich nie gerührt zu haben
vom Fleck, an den man sie gepflanzt,
wie Burgen ohne Wall und Graben,
die hinter Schweigen sich verschanzt.

Seit Jahren hab ich sie beim Wickel,
belagernd sie mit meinem Blick,
doch keine Bresche schlägt mein Pickel
in dies Gemäuer, dumpf und dick.

Was mag dahinter sich verbergen?
Ein Hofstaat, üppig und galant,
der Fürst mit Narren und mit Zwergen,
ein Windspiel an erlauchter Hand?

Ein Ritter, der mit steter Fehde
den knappen Haushalt unterhält
und trotz der Weiber Widerrede
auch Kunkelmagen überfällt?

Womöglich gar ein Hexenmeister,
mit Mächten, schauerlich, im Bund,
ein Nekromant und Herr der Geister,
dem tausend Zaubersprüche kund?

Doch Fantasie einmal beiseite,
soweit sie bunte Märchen spinnt –
selbst wenn ich ihn im Heute reite,
mein Pegasus auf Hafer sinnt.

Wohnt da ein Manager am Ende,
der seinen Aufenthalt verhehlt,
damit im Schutze dieser Wände
er sorglos seine Kohle zählt?

Ein Krimineller alter Schule,
der gern in Hinterzimmer flieht,
dass aus gefülltem Zockerpoole
er fette Euro-Fische zieht?

Vielleicht ein Mime, eingeschlossen,
der sonst das Publikum nicht scheut,
der Paparazzi doch verdrossen
sich hier privater Stille freut?

Oder vielmehr ‘ne alte Dame,
der’s eher klösterlich behagt
und die der Welt und ihrem Krame
in heil’ger Jungfernschaft entsagt?

Die einz’ge Art, es rauszufinden:
Mal hinter die Kulissen sehn.
Ich müsste mich nur überwinden
und, um zu klingeln, rübergehn.

Was mich erwartet? Kann’s vermuten:
Kein Stück in hoffmannscher Manier –
die braven Bürger nur, die guten:
der Koch, der türkische Barbier.

Nachbarin Sphinx

Nachbarin SphinxHat sie mich heute angesehen?
Nahm meinen Schatten hier sie wahr,
so wie ich sah spazieren gehen
ihr unsichtbares Augenpaar?

Ich kann den Blick nicht von ihr wenden,
wenn sie sich aus dem Rahmen beugt
und ohne Unterleib und Lenden
wie eine Sphinx ins Dunkel äugt.

Wobei, von dieser nicht verschieden,
sie nie wohl Sehenswertes fand,
starrt ja auch die der Pyramiden
nur Löcher in den Wüstensand.

Doch scheint auch sie mir zu umgeben
‘ne Aura der besondren Art,
von der den Schleier aufzuheben,
ich wünscht mir ihre Gegenwart.

Würd, auf die Probe mich zu stellen,
ein Rätsel sie mir präsentiern,
und ließ mich, könnt ich’s nicht erhellen,
die kaum errungne Gunst verliern?

Das sollte mich nicht sehr verdrießen,
droht heut ja nicht mehr das Schafott,
höchstens ‘ne Hand, aufs Haupt zu gießen
die Reste aus dem Pinkelpott.

(Was leiblich leidlich zu ertragen,
wenn’s auch die Seele sicher stört,
die ja zu ihrem Wohlbehagen
weit mehr auf Rosenwasser schwört.)

Jetzt hat sie sich zurückgezogen!
Als wär ein Tintenfleck versiegt
auf einem dicken, gelben Bogen,
der bündig auf der Scheibe liegt!

Ließ nur dem Auge ‘ne Gardine,
(von hier gesehn) nach rechts gerafft.
Theaterpause. Leidensmiene
des Herrn, der auf die Szene gafft.

Ach, dass hier drüben sie mich sichte,
die Hoffnung ist doch gar zu dumm!
Guckt einer, der im Rampenlichte,
denn je bewusst ins Publikum?

In diesen Dämmer einer Masse,
die stumm ihm folgt, bewegt-gebannt,
Abonnement und Abendkasse –
dem Mimen aber vierte Wand?

Und wie ein Phönix auferstanden,
am Fenster wieder die Gestalt!
Wie soll ich bei ‘ner Lady landen,
die so mobil durchs Zimmer wallt?

Da wird sich kein Kontakt ergeben;
die Straße trennt, asphaltner Styx.
Es ist so, wie es ist im Leben:
Das meiste geht wohl in die Büx.

Doch lass den Blick ich weiter schweifen
zu der Schimäre vis-à-vis.
Man soll am Missgeschick ja reifen.
Womöglich auch die Poesie?