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Wintereinbruch

Dass sie doch einmal weiß noch werde,
bevor der Lenz sie überblüht,
schickte der Himmel Schnee zur Erde,
in feinen Flocken hingesprüht.

Die flauschig graue Wolkendecke
schlug er heut Morgen gar nicht auf
und ließ dafür an jeder Ecke
den flücht’gen Federn ihren Lauf.

Wie ihre Freiheit sie genossen!
Warn völlig außer Rand und Band.
In Wirbeln kamen sie geschossen
und stürzten sich aufs dürre Land.

Das ging den ganzen Tag so weiter,
sie gaben einfach keine Ruh,
machten sich langsam immer breiter
und nahmen auch an Höhe zu.

Am Abend lagen sie in Wehen
auf jedem Pflaster, Baum und Strauch,
dass man versinken musst beim Gehen
in ihrem aufgeblähten Bauch.

Nicht nur romantisch anzuschauen
war dieses schimmernd weiche Weiß,
man konnt auch einen Schneemann bauen
mit Brocken seines feuchten Breis.

Wie aber sollt die Freude teilen
das Bäumchen da am Wegesrand,
das, seiner Zeit vorauszueilen,
schon fleißig Blüten ausgesandt?

Von eisigem Gespinst umwoben,
die Blätter schon geknickt und schlapp,
mit feinem Rosa sie sich hoben
kaum merklich noch vom Grunde ab.

Wetterlage

WetterlageWenn er doch nur mal dichter fiele,
anstatt so federleicht und fein!
So trägt man sich ja in die Diele
nicht mal ‘nen müden Abdruck rein!

Am Nachmittag hat’s angefangen;
auf einmal stob ein weißer Flaum
von Flocken auf die tauben Wangen,
sie sprenkelnd wie mit Seifenschaum.

Doch wie er flüchtig dir am Leibe
so wie gefallen, so zerfloss,
war auch das Pflaster keine Bleibe,
die lange er als Gast genoss.

Nur hier und da auf größren Flächen,
in die kein Rad, kein Fuß sich prägt,
gefiel’s ihm, nicht gleich aufzubrechen,
nachdem er sich dort hingelegt.

Ganz anders auf dem breiten Streifen,
der Straße starrem Lavafluss:
Da schmolz er untern heißen Reifen
von Pkw und Omnibus.

Kaum blieb er an den Bäumen hängen;
die Zweige, weithin ausgespreizt,
dass sie ein wenig Puder fängen,
sie blieben schwarz und braun gebeizt.

Das heißt am falschen Ende sparen:
‘ne Schütte Schnee fürs ganze Land!
Nicht einmal Schlitten kann man fahren.
Der Winter, ach, verläuft im Sand!

 

Eingeschränkte Haltbarkeit

Eingeschränkte HaltbarkeitDas wird nicht lange liegenbleiben,
zu fadenscheinig ist die Schicht.
Die Wärme wird sie rasch vertreiben,
bis Abend, glaub ich, hält das nicht.

Hübsch macht es sich ja, zugegeben,
dies himmlisch-makellose Weiß –
‘s ist schade um sein kurzes Leben,
wie oft es, ach, der Schönheit Preis!

Allmählich auf den größren Flächen,
wo’s Plätze oder Wiesen deckt,
wird Zephir jene Blume brechen,
die ihm kristalln im Herzen steckt.

Und wo es gleichfalls unverhohlen
direkt auf einem Gehweg weilt,
zertreten es die blinden Sohlen
des Bürgers, der vorübereilt.

Indes auch in der Ziegel Senken
der höchsten Dächer eingeschmiegt,
wird keine Macht ihm Dauer schenken,
selbst wenn es langsam nur versiegt.

Noch wen’ger wird’s Besitz ergreifen
vom vielbefahrenen Asphalt –
da schmelzen es die heißen Reifen
und machen, mit Verlaub, es kalt.

Eins muss man allerdings ihm lassen,
ist’s dünn auch wie ein Negligé:
Zum ersten Mal liegt auf den Gassen,
liegt heuer hier ein Hauch von Schnee!

Mangelware Schnee

Mangelware SchneeWo bleibt denn bloß der Schnee, ihr Lieben?
Wir haben schließlich Januar –
da müsste man in Massen schieben
das weiße Zeug vom Trottoir!

Nicht eine Flocke ließ sich blicken,
seitdem der Winter eingekehrt,
das Pflaster mit Kristalln zu spicken,
darauf die Sohle Schlitten fährt.

Meist tief und dicht von Dunst verhangen,
schien oft der Himmel gleich zu schnein.
Dann hat’s zu regnen angefangen
aus Wolken, die nur Wasser spein.

Und wieder fiel nicht der ersehnte,
die Welt verklärnde Niederschlag,
nein, weiter jene nackt sich dehnte
mit ihrem schmutzigen Belag.

Und dass die Winde stürmisch blasen,
passt auch in dies gestörte Bild
von der Natur verschobnen Phasen,
bei denen keine Regel gilt.

Sie jagen keine Kälteschauer
uns übers zitternde Gebein,
ach, linder wehen sie und lauer
als in des Frühlings Sonnenschein.

Den wir als harten Burschen schätzen,
der sich bei Frost am wohlsten fühlt,
und selbst wenn eis’ge Stürme fetzen
gelassen bleibt und unterkühlt

Ist er verweichlicht gar am Ende,
gebrochen seine frühre Kraft,
der stolze Fürst der Sonnenwende
zu einem Winterchen erschlafft?

Ach was! Er meidet nur die Breiten,
die als gemäßigt ihm bekannt,
entfaltet seine Fähigkeiten
im Norden und im Bergesland.

Doch kommt der Berg nicht zum Propheten,
muss dieser halt zum Berge gehn:
Am liebsten wär im schneeumwehten,
ein Urlaub mir im Pleistozän!

Schneegeschnupper

SchneegeschnupperMit Flocken, wässerig und träge,
der erste Schnee in diesem Jahr.
So rasch indes er fiel und rege:
Kaum Spuren auf dem Trottoir.

Er flog in aufgeregten Schauern,
vom Wind wie Federvieh gescheucht,
nichts aber haftet an den Mauern
in Wattebäuschen frostig-feucht.

Und um die Dächer, die Fassaden,
was für ein wüster Schleiertanz –
doch von den wirbelnden Kaskaden,
kaum blieb davon ein nasser Glanz.

Als wär’s ein weißer Ascheregen,
von einem Krater ausgespien,
so schlug er auf auf allen Wegen,
nur um wie Rauch sich zu verziehn.

Was war’s, was ihn so rasch besiegte?
Kam da ein Heißsporn reingeschneit,
der plötzlich kalte Füße kriegte
vor seiner eignen Dreistigkeit?

Ich glaub, die Lage zu erkunden,
hat kurz der Winter reingeschaut
und hat’s wohl noch zu warm empfunden,
dass gleich er wieder weggetaut.

Er wird sich wieder blicken lassen,
der Bursche ist bekanntlich zäh.
Dann weh uns: wiederum in Massen,
doch wellend, weißend, würgend: Schnee!

 

Kleiderordnung

KleiderordnungKapuzen, Hüte, Lammfellmützen –
man trägt den Scheitel heut bedeckt,
und selbst die Ohren will man schützen,
dass sie der Frost nicht brandig fleckt.

Die Jacken sind von großer Dicke
und auch die Mäntel gut im Speck.
Ein wenig kürzer tritt das Schicke
vorm unverhüllten Wärmezweck.

Man setzt behutsam seine Schritte –
der schweren Stoffe wegen träg?
Nein, nach der altbewährten Sitte:
Trau keinem schneebedeckten Weg!

Seit Mittag stiebt in dichten Flocken
und pausenlos der kühle Flaum,
den Glitzerteppich aufzustocken
zu einem weißen Wintertraum.

Doch diesen Zauber, den geballten,
scheint der Vermummte nicht zu fühln.
Er ringt darum, Balance zu halten
und sich den Mors nicht zu verkühln.

Woraus man sieht, dass auch des Schönen
Kehrseite allerwärts bewusst,
weil mancher schon mit Ach und Stöhnen
im Sturze sich ihr nähern musst.

(Den olln hannöverschen Gelehrten
hätt so ein Fall wohl kaum geniert:
„Seulement als Exception zu werten,
da tout le monde prästabiliert.“)

Selbst diese prallen Einkaufstüten,
mit denen manche(r) sich bepackt,
sie sollen Unheil wohl verhüten
den Stangen gleich beim Drahtseilakt.

Und doch beseelt auf diese Weise
so was wie Festlichkeit die Welt,
da jeder, dass er nicht entgleise,
mit Hektik hinterm Berge hält.

Der Mensch wird friedlich wider Willen,
im Frost gefriert sein wildes Blut,
und Schnee kann seinen Eifer stillen,
der bis zur Schmelze erst mal ruht.

Das desto mehr, je höhre Haufen
dem eil’gen Fuße unbequem
und selbst die Forschsten eierlaufen
nach dieser Art Schneeballsystem.

Nun ist es Nacht und schneit noch immer.
Der Winter schenkt mit vollem Maß.
Was soll’s, man hockt im warmen Zimmer,
Pantoffeln, Grog – so macht er Spaß!

Erster Schnee

Erster SchneeVerzeiht, wenn ich mich wiederhole
gewiss schrieb Ähnliches ich schon –
doch denkt an Sys- und Diastole:
Das Gleichmaß hat auch seinen Lohn!

Das gilt auch für die Jahreszeiten:
Der ewig gleiche Staffellauf,
den uns die ew’gen vier bereiten –
doch kommt da Langeweile auf?

Heut ist der erste Schnee gefallen.
Was weiter nicht verwundern mag –
so wie die Brust der Wasserrallen,
so grau war es den ganzen Tag.

Dass er dabei, was auszubrüten,
sah man dem Himmel förmlich an,
und wirklich: Winz’ge weiße Blüten,
die regnete es irgendwann.

Sie fielen nicht in dichten Schauern,
nein, spärlich und auch zögernd nur,
man sah sie kurz am Boden kauern,
und schon verlor sich ihre Spur.

Doch auf ‘ne rätselhafte Weise
gelang der Äste hartem Holz,
dass dieser Schwarm von flücht’gem Eise
an seiner Rinde nicht zerschmolz.

Gehäufelt liegen da die Flocken,
zu dünnen Streifen ausgericht’t,
wie Hühner auf der Stange hocken
auf engstem Raume dicht an dicht.

Und dieses Bild, muss es nicht rühren,
so friedlich, wie es ist, und leis?
Es lässt ja unsre Kindheit spüren,
versunkne Welten in Schwarzweiß!

Es ist, als wollt die Brut von Spinnern,
die’s wirklich bunt auf Erden treibt,
so die Natur daran erinnern,
dass sie die wahre Herrin bleibt.

Schneeschwemme

SchneeschwemmeVon Lava (weiß) gelähmt, erstickt
die Erde. Auf den toten Gassen
ruht fußhoch, milchig eingedickt,
der Schnee in kristallinen Massen.

Und wie zur Nacht der Alb sich hockt,
dass Brust und Träume er beklemme,
so liegt, dass uns der Atem stockt,
der Frost auf dieser Flockenschwemme.

Der Himmel, der zum Greifen dicht,
hat die Gardinen zugezogen.
Kein Stern als schwaches Oberlicht,
kein Mond glimmt aus den Wolkenwogen.

In sturmgepeitschten Schauern hetzt
es nicht um Köpfe mehr und Kronen.
Sporadisch leise Flocken jetzt
des Winters Gegenwart betonen.

Die ganze Stadt, geknebelt, schweigt.
Noch trüber ihre Lichter schimmern.
Und immer noch die Kälte steigt.
Ich gehe mir ‘ne Arche zimmern.

 

Tauwetter angesagt

NTauwetter angesagta, so um null das Thermometer.
Mal leicht im Minus, mal im Plus.
Nicht Haxe und nicht Hackepeter.
Wie seine Flüssigkeit: im Fluss.

Das kann nicht ohne Folgen bleiben
für unsern Gang, der aufrecht heißt:
Wenn Gletscher auf dem Gehweg treiben,
geht jeder krumm, wo es vereist.

Doch gibt’s auch Stellen da, die tauen
und wo in Mulden Wasser steht –
auch denen sich nicht anvertrauen,
dass man nicht, schwupps!, koppheister geht!

Musst wo durch Matsch indes du tappen,
entfällt die leid’ge Rutschgefahr.
Du fühlst es um die Füße schwappen
und schreitest steif wie Adebar.

Heißt: Jedes In-das-Eismeer-Stechen
birgt ein gewisses Risiko.
So könnte man den Hals sich brechen,
sich blaue Flecken holn am Po.

Den Knöchel könnt es einem knicken.
Man könnte auf die Nase falln.
Es könnten, wo die Schläfen ticken,
sich Stürze gar zu Beulen balln.

Begreift ihr endlich, was ich wage,
wenn dennoch ich nach draußen lauf
und tapfer trotz der Wetterlage
das Nötigste – den Wein – mir kauf?

Und zwar ‘nen „Eiswein“ sozusagen,
auch in Beziehung auf den Preis:
des Abenteurers Unbehagen,
der nicht der Sache Ausgang weiß.

Seitdem ist schon ein Tag verflossen.
Drum: „Allen, die mir nahestehn:
Expedition gut abgeschlossen.
Den vierten Zweiten zwanzigzehn.“

 

Schneegestöber

SchneegestöberNach diesen unterkühlten Tagen,
erstarrt in Frost und Trockenheit,
da hat es, wundersam zu sagen,
aus heitrem Himmel heut geschneit.

Und was das gleich für Schauer waren,
und wie sie stoben wüst und wild!
Die Autos sah man zwanzig fahren –
mit Häubchen auf dem Nummernschild.

Das war vielleicht ‘ne Karawane,
die über Schnee sich schob und Eis –
es fehlte nur die Deutschlandfahne
für einen Staatsakt ganz in Weiß.

Noch spät gewahrte Trauergäste
gemessen ich im Zuge gehen,
und auch die Flocken fieln noch feste,
dass schaurig schön es anzusehn.

(Glaubt nicht, dass ich euch jetzt besinge
die Welt mit Puderzucker überstäubt –
nein, meine zarte Dichterschwinge
vor diesem grausen Bild sich sträubt.)

Wie soll ich mein Gefühl euch schildern?
Was mich ergriff, was war es nur?
Ja, plötzlich wie auf alten Bildern
die Stadt, nun wieder ganz Natur!

Ach, wie nach Klarheit wir verlangen,
nach einer unverstellten Sicht –
doch grade die, zementverhangen,
gewährt uns diese Bauwut nicht.

Wir sehen nur die Wucherungen
aus Glas und Plastik, Stahl und Stein
und halten sie für höchst gelungen
als Dreh- und Angelpunkt fürs Sein.

Und wiegen uns im falschen Glauben,
dies mache unsre Welt schon aus.
Mag ihn der Schnee von heute rauben:
Der Kosmos unser Treppenhaus!