Schlagwort-Archive: Sphinx

Meine kleine Nachtmusik

Meine kleine NachtmusikOb Singspiel, Oper, Oratorium,
ob Operette und so fort,
mit stimmgewaltigem Brimborium
spielt die Kapelle hier an Bord.

Das dröhnt, tamtam, durch alle Wände
und geht dem Ohr durch Mark und Bein,
dass man entnervt erkennt am Ende,
nur Kunst kann so gewaltig sein.

Zumal ja auch die Zeiten passen
wie bei der Sphinx und Ödipus –
um acht den Vorhang steigen lassen,
um zehn Uhr dreißig aus und Schluss.

‘ne weitre Ähnlichkeit zur Bühne:
An keinem Tage wird pausiert,
auf dass nicht Mutter Mnemosyne
miteins den Faden noch verliert.

Vielleicht würd es mir gar gefallen,
was sich da über mir vollzieht,
würd ’s auch im Auge widerhallen
als ein Spektakel, das man sieht.

Doch hock ich wie in der Antike
vor so ‘nem „Mauerschau“-Filou:
„Da spielt sie“, schreit er, „die Musike!“ –
den Rest denkt bitte euch dazu.

Es scheint, dass hier die Künste liegen
in nachbarlichem Widerstreit –
der oben lässt die Töne fliegen,
der unten still die Zeilen reiht.

Nun, jeder soll sein Pferdchen reiten
mit straffem Zügel oder lax:
Für Musen sind es goldne Zeiten –
vor allem auch dank Ohropax.

Schön anonym

Schön anonymSeid mir gegrüßt, ihr Nachbarsleute
mit dem verborgenen Gesicht!
Ich sah euch gestern, seh euch heute
und seh euch morgen wieder – nicht.

Nicht einen kenn ich eurer Namen,
wie Wellen seid ihr mir, wie Sand;
kenn nur das Holz der Fensterrahmen,
verankert in der Häuserwand.

Und hier und da ein Lebenszeichen
als kümmerliches Lichtsignal:
Photonen, die in Schlappen schleichen,
ermüdet nach dem Abendmahl.

Von Zeit zu Zeit auch einen Schatten,
der seine Pantomime spielt
hinter dem breiten Kreuz der Latten,
wo niemandem die Schau er stiehlt.

Mit Sicherheit ich auch schon habe
gesehn, wie eine Biene flog
aus diesem Korb; doch ihre Wabe
sich meiner Kenntnis stets entzog.

Seid mir gegrüßt, ihr Unbekannten,
die ihr mir ewig so vertraut
wie Möwen, die sich in den Wanten
der Nacht ihr schwankend Nest gebaut!

Ihr wisst ja nicht, dass die Fassade
wie eine Sphinx herübersieht
und ich in tausend Rätseln bade,
die Flügel leihen meinem Lied!

 

Nachbarin Sphinx

Nachbarin SphinxHat sie mich heute angesehen?
Nahm meinen Schatten hier sie wahr,
so wie ich sah spazieren gehen
ihr unsichtbares Augenpaar?

Ich kann den Blick nicht von ihr wenden,
wenn sie sich aus dem Rahmen beugt
und ohne Unterleib und Lenden
wie eine Sphinx ins Dunkel äugt.

Wobei, von dieser nicht verschieden,
sie nie wohl Sehenswertes fand,
starrt ja auch die der Pyramiden
nur Löcher in den Wüstensand.

Doch scheint auch sie mir zu umgeben
‘ne Aura der besondren Art,
von der den Schleier aufzuheben,
ich wünscht mir ihre Gegenwart.

Würd, auf die Probe mich zu stellen,
ein Rätsel sie mir präsentiern,
und ließ mich, könnt ich’s nicht erhellen,
die kaum errungne Gunst verliern?

Das sollte mich nicht sehr verdrießen,
droht heut ja nicht mehr das Schafott,
höchstens ‘ne Hand, aufs Haupt zu gießen
die Reste aus dem Pinkelpott.

(Was leiblich leidlich zu ertragen,
wenn’s auch die Seele sicher stört,
die ja zu ihrem Wohlbehagen
weit mehr auf Rosenwasser schwört.)

Jetzt hat sie sich zurückgezogen!
Als wär ein Tintenfleck versiegt
auf einem dicken, gelben Bogen,
der bündig auf der Scheibe liegt!

Ließ nur dem Auge ‘ne Gardine,
(von hier gesehn) nach rechts gerafft.
Theaterpause. Leidensmiene
des Herrn, der auf die Szene gafft.

Ach, dass hier drüben sie mich sichte,
die Hoffnung ist doch gar zu dumm!
Guckt einer, der im Rampenlichte,
denn je bewusst ins Publikum?

In diesen Dämmer einer Masse,
die stumm ihm folgt, bewegt-gebannt,
Abonnement und Abendkasse –
dem Mimen aber vierte Wand?

Und wie ein Phönix auferstanden,
am Fenster wieder die Gestalt!
Wie soll ich bei ‘ner Lady landen,
die so mobil durchs Zimmer wallt?

Da wird sich kein Kontakt ergeben;
die Straße trennt, asphaltner Styx.
Es ist so, wie es ist im Leben:
Das meiste geht wohl in die Büx.

Doch lass den Blick ich weiter schweifen
zu der Schimäre vis-à-vis.
Man soll am Missgeschick ja reifen.
Womöglich auch die Poesie?