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Makrobiotisch

MakrobiotischHätt ich mir vorher denken können,
dass ich mal diese Zahl erreich
und nette Götter mir vergönnen,
dass ich nicht früher schon verbleich.

Und doch, und doch – wie soll ich’s sagen,
wo ich jetzt 68 bin,
spür ich doch so ein Unbehagen
bei diesem prallen Zeitgewinn.

Klar, da mir so ‘ne Frist gegeben,
ging mir ja eigentlich nichts ab;
ich hab mich umgesehn im Leben
wie ‘n Mehlwurm im Getreideschapp.

Warn da denn nicht der Liebe Flammen,
in denen selig ich entbrannt?
Du gehst – und gehst miteins zusammen,
ein Wesen, lieblich, an der Hand!

Und Freunde, die mit mir befuhren
den wechselhaften Strom der Zeit?
Bisweiln verlorn sich ihre Spuren,
doch mancher gibt mir noch ‘s Geleit.

Und hab ich oftmals nicht die Grenzen
in freud’ger Neugier überrannt,
dass sich in fremden Herbsten, Lenzen
mein urlaubsreifer Geist entspannt?

Hab ich nicht fleißig und beflissen
erledigt, was der Job verlangt,
bis schließlich in das Ruhekissen
der Rente (Ausstand!) ich gewankt?

Genug, um alles abzuschließen –
und runter mit den Jalousien!
Das heißt ich könnte mich erschießen
oder ins Kloster mich verziehn.

Doch beides hab ich nie erwogen
als Krönung für mein Altenteil;
ich will ihn spannen, meinen Bogen,
bis ab er schnellt, der letzte Pfeil.

Drum muss ich auf Methoden sinnen
fürn bröckeligen Geist und Leib,
dass auf des Alters morschen Zinnen
ich fit und unverwüstlich bleib.

Ein Segen nur, dass ich nicht rauche,
von daher mir Gefahr nicht droht,
indessen steh ich auf dem Schlauche
bei Reben nie, die weiß und rot.

Doch die, wenn maßvoll sie genossen,
nicht schaden, wie der Doktor weiß,
so dass ich weiter unverdrossen
mich mäßig nur am Riemen reiß.

Nun, dass das Hirn mir nicht erweiche,
hab stets ein Buch ich auf dem Schoß,
in dem ich wen’ger auf ‘ne Leiche
als auf ‘ne Mordsgeschichte stoß.

Beug, streck – auch diese Turnfiguren
leg aufs Parkett ich schon mit Schmiss,
die, wenn sie mir ins Kreuz nicht fuhren,
gesundheitsfördernd doch gewiss.

Daneben kleine Wanderungen,
die bis zum Supermarkt mich führn,
von Cityluft erfüllt die Lungen
beim sachten Schlag der Autotürn.

Da kommen in den Einkaufswagen
nur Waren erster Güte rein –
die müssen fürn verwöhnten Magen
in Blech schon fix und fertig sein.

Bewegung, Lesen, gute Speisen –
ist das die halbe Miete nicht,
mit diesem Globus noch zu kreisen
unendlich, bis das Auge bricht?

Auch Lachen soll dem Wohlbefinden
durchaus von großem Nutzen sein –
drum mögen nie die Muskeln schwinden,
die sichtbar Ausdruck ihm verleihn!

So weit die schönen Weisheitslehren,
mit denen man die Jahre streckt.
Bleibt nur die Frage noch zu klären,
ob denn ein Sinn dahintersteckt.

Muss man nicht ohnehin beizeiten
herunter von der Lebensbahn,
um sutje übern Styx zu gleiten
in Charons Seelenfängerkahn?

Wohl wahr. Doch sei’s nur für Sekunden:
Ich nehme jeden Aufschub an –
solang ich auf des Menschen Wunden
noch meinen Finger legen kann.

Nachbarin Sphinx

Nachbarin SphinxHat sie mich heute angesehen?
Nahm meinen Schatten hier sie wahr,
so wie ich sah spazieren gehen
ihr unsichtbares Augenpaar?

Ich kann den Blick nicht von ihr wenden,
wenn sie sich aus dem Rahmen beugt
und ohne Unterleib und Lenden
wie eine Sphinx ins Dunkel äugt.

Wobei, von dieser nicht verschieden,
sie nie wohl Sehenswertes fand,
starrt ja auch die der Pyramiden
nur Löcher in den Wüstensand.

Doch scheint auch sie mir zu umgeben
‘ne Aura der besondren Art,
von der den Schleier aufzuheben,
ich wünscht mir ihre Gegenwart.

Würd, auf die Probe mich zu stellen,
ein Rätsel sie mir präsentiern,
und ließ mich, könnt ich’s nicht erhellen,
die kaum errungne Gunst verliern?

Das sollte mich nicht sehr verdrießen,
droht heut ja nicht mehr das Schafott,
höchstens ‘ne Hand, aufs Haupt zu gießen
die Reste aus dem Pinkelpott.

(Was leiblich leidlich zu ertragen,
wenn’s auch die Seele sicher stört,
die ja zu ihrem Wohlbehagen
weit mehr auf Rosenwasser schwört.)

Jetzt hat sie sich zurückgezogen!
Als wär ein Tintenfleck versiegt
auf einem dicken, gelben Bogen,
der bündig auf der Scheibe liegt!

Ließ nur dem Auge ‘ne Gardine,
(von hier gesehn) nach rechts gerafft.
Theaterpause. Leidensmiene
des Herrn, der auf die Szene gafft.

Ach, dass hier drüben sie mich sichte,
die Hoffnung ist doch gar zu dumm!
Guckt einer, der im Rampenlichte,
denn je bewusst ins Publikum?

In diesen Dämmer einer Masse,
die stumm ihm folgt, bewegt-gebannt,
Abonnement und Abendkasse –
dem Mimen aber vierte Wand?

Und wie ein Phönix auferstanden,
am Fenster wieder die Gestalt!
Wie soll ich bei ‘ner Lady landen,
die so mobil durchs Zimmer wallt?

Da wird sich kein Kontakt ergeben;
die Straße trennt, asphaltner Styx.
Es ist so, wie es ist im Leben:
Das meiste geht wohl in die Büx.

Doch lass den Blick ich weiter schweifen
zu der Schimäre vis-à-vis.
Man soll am Missgeschick ja reifen.
Womöglich auch die Poesie?