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Pflicht und Neigung

Kennt ihr auch so ‘nen Hilfsbereiten,
der jederzeit steht seinen Mann,
um bei Problemen einzuschreiten,
die man im Alltag haben kann?

Zum Beispiel dieser Kinderwagen,
wie kriegt man den in größre Höhn?
Er hilft der jungen Mutter tragen –
elf Stufen für ein Dankeschön.

‘ne alte Dame möchte queren
die Fahrbahn seit geraumer Zeit –
er bietet ihr in allen Ehren
den Arm für sicheres Geleit.

Hält auch den Lift für alle Fälle,
dass auf er oder ab nicht flieht,
mit Knie und Schulter an der Stelle,
weil fern er wen noch kommen sieht.

Ja, die wir arglos sind, Poeten,
in gutem Glauben immerdar,
wir würden zu ‘nem Heil‘gen beten,
wär in der Suppe nicht ein Haar.

Du willst dich mit ihm unterhalten
gemächlich über dies und das –
er wird sein Wissen gleich entfalten
und wedeln mit dem Weihrauchfass.

Was er indes im Stil von Thesen
wie’n delphisches Orakel spricht,
hat wahllos er wo aufgelesen
und stimmt meist vorn und hinten nicht.

Doch wehe, wenn ihm widersprochen
und seine Weisheit hinterfragt,
dann fängt er richtig an zu kochen,
weil einer mehr zu wissen wagt.

Stets muss das letzte Wort er haben
und damit recht in einem Zug,
und notfalls gibt’s ‘nen Prügelknaben,
der ihm „die Fakten unterschlug“.

Dem ist in wichtigen Bereichen
das Hirn ganz offenbar vereist
und lässt sich nicht dazu erweichen,
dass er sich mal am Riemen reißt.

So auch sein übriges Verhalten:
Von Rücksichtnahme keine Spur.
Brutal lässt er sein Ego walten,
ist er mit Freunden mal auf Tour.

„Auf dies und jenes musst du achten“ –
sein Finger gibt die Richtung an,
dass man in Ruhe nichts betrachten
und nichts sich einverleiben kann.

Er glaubt zur Führung sich geboren
mit seinen geist’gen Energien
und packt die andern bei den Ohren,
um hinter sich sie herzuziehn.

Mit seinem immer eil‘gen Schritte,
stets einem Ziele zugewandt,
geht breit er in des Weges Mitte,
die Miene steif und arrogant.

Wie aber reimt sich das zusammen
mit Hilfe, die er oft gewährt?
Kann die aus ‘nem Charakter stammen,
der sich um andre sonst nicht schert?

Dass er ‘ne volle Einkaufstüte
‘ner Oma mal nach Hause trägt,
entspringt wohl wen’ger seiner Güte
als weil er so sein Image pflegt.

Seht her, denkt unser Pharisäer,
ich handle nach Gebot und Pflicht!
Kommt seinem Heil er wirklich näher,
wenn nicht sein Herz auch dabei spricht?