Verhör

Wasimages063IA6L6 hat der Delinquent getrieben
an diesem sechzehnten August?
Hohes Gericht, ‘nen Vers geschrieben,
zu anderm hatt ich keine Lust.

Die Antwort kann hier nicht genügen,
das kann doch wohl nicht alles sein.
Drum bitte ich hinzuzufügen
noch Einzelheiten, klitzeklein.

Nun ja, ich bin wohl aufgestanden,
wie ich es morgens immer tu,
nachdem die letzten Träume schwanden,
‘nen Wecker braucht ich nicht dazu.

Dann ging es an die Körperpflege,
Rasieren, Waschen und so fort,
danach in Neigung und in Schräge
etwas Gymnastik, Zimmersport.

Am Ende dieser Rituale
das Frühstück, schon in vollem Licht.
Ich glaub, ‘ne weiße Eierschale …
Schön, schön, so detailliert nun nicht!

Ja, dann, ich muss mal überlegen,
womit ich nützlich mich gemacht.
War’s was wie Feudeln oder Fegen?
Ich weiß, nein, Ordnung hab gebracht

In einen ich der vielen Schränke,
dem es mal wirklich nötig tat.
Papier sortiert, ab in die Senke,
was Urkund nicht und Unikat!

Das mochte wohl bis Mittag gehen,
weil das ja die gewohnte Zeit,
im Bratenduft vorm Herd zu stehen,
zu brutzeln eine Kleinigkeit.

Danach griff ich wohl zur Lektüre,
die gegenwärtig mich entspannt,
dass sie ein Weilchen mich entführe
über des Alltags Tellerrand.

Ich hab nicht auf die Uhr gesehen,
doch irgendwann, so aus dem Bauch,
kriegt ich den Einfall, diesen jähen,
dass ich noch was vom Höker brauch.

Zum Supermarkt bin ich gesprungen,
zu dem hier um die Ecke gleich,
und mit dem Schatz der Nibelungen
kehrt heim ich in mein Küchenreich.

Dann war es auch schon Abend wieder,
ich würde sagen, fast im Nu,
kaum öffnet so ein Tag die Lider,
klapp, sind sie auch schon wieder zu.

Hier ließ nun endlich sich vernehmen
der Richter, der so lange stumm:
Und damit zu dem Punkt wir kämen,
der wichtig fürs Judizium.

Von Versen sprachen Sie, von diesen,
die beispielhaft für jeden Tag.
Doch grade das ist unbewiesen,
das glaube, wer es glauben mag.

Vermögen Sie denn beizubringen
‘nen Zeugen für die Dichterei?
Bestimmt nicht. Denn vor allen Dingen
verlangt sie, dass man einsam sei.

Die Muse pflegt nur einzukehren,
wo würd’ge Stille sie umfängt,
und nur ihr Füllhorn auszuleeren
dem, der sich ihr verschwiegen schenkt.

Das mag schon sein, doch Ihre Lage
bleibt demnach weiterhin prekär.
Ich wiederhole: Schadensklage.
Des Nachbarn Worte wiegen schwer.

Sie hätten ihm die Ruh gestohlen,
die süße, die der Schlaf verlieh,
mit Schritten wie mit Eisensohlen,
gestehn Sie – oder Alibi!

Absurd. Ich geh auf Zehenspitzen,
erwart’ die Muse ich zu Gast.
Ich würde Blut und Wasser schwitzen
beim kleinsten Laut, der ihr verhasst.

Zudem hab stets ich die Poeme
mit Monat, Tag und Jahr versehn.
Das fragliche man selbst vernehme –
das Datum müsste drunterstehn.

Dem Argument mocht sich verschließen
auch nicht der strenge Herr Jurist:
Zwar konnt ich Dichtung nie genießen,
doch hier, wo sie mehr Chronik ist …

Er ließ mich gleich ad acta legen,
erteilte mir Absolution:
Worüber Nachbarn sich erregen!
‘n Fliegendreck, Sie wissen schon!

Auch dies ein Grund, ‘ner Kunst zu frönen,
von der’s oft heißt: Geh mir bloß weg!
Denn dient sie auch mal nicht dem Schönen,
so doch gewiss ‘nem guten Zweck.

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