Keine Ahnung

Keine AhnungAls Literat geht an der Nase
‘ne Menge einem doch vorbei.
Was weiß von Säure ich und Base?
Was weiß von Kobalt ich und Blei?

Was von den andern Elementen,
aus denen sich erbaut das All?
Und wie sich einten oder trennten
die Teilchen nach dem Großen Knall?

Was weiß ich denn schon von der Rose,
die an verborgner Hecke blüht
und wie im Gras die Herbstzeitlose
sich standhaft durch den Sommer müht?

Was weiß von Esche ich und Eiche,
dern Stamm hochauf zum Himmel ragt,
was von dem Weidenbaum am Teiche,
der stumm ihm seine Trauer klagt?

Was weiß ich von den trauten Tauben,
aus Klüften stammend, wüst und wild,
in Giebeln hausend jetzt und Gauben,
der Felsenheimat Ebenbild?

Ja, nicht einmal die Stubenfliege
ist mir des Näheren bekannt,
obwohl ich doch schon in der Wiege
begafft ihr Krabbeln an der Wand.

Und die da treiben, die Gestirne,
in ihrer tödlich eis’gen Nacht,
was haben in der Dichterbirne
sie an Erleuchtung schon entfacht?

Sei’s selbst der treueste Begleiter
der Erdenheimat, unser Mond –
was weiß ich denn schon von ihm weiter,
als dass er übern Wolken wohnt?

Die Welt spricht mit Millionen Zungen,
so wie im Wind der Wipfel Laub –
doch wie gesprochen, so verklungen:
Dies Rauschen macht die Ohren taub.

Nur so ein klitzekleiner Fetzen
der kosmischen Beredsamkeit
pflegt in die Seele sich zu setzen,
die ihm auch prompt ihr Leben weiht.

Doch müssen des wir uns nicht schämen
(fürs Ganze fehlt uns das Organ),
den Krümel für den Kuchen nehmen,
den Tropfen für den Ozean.

Und mit Nichtwissen uns begnügen
wie einst ein Weiser in Athen,
statt in die Tasche uns zu lügen:
„Man muss nur wollen, wird schon gehn.“

He, stopp! Was soll das Räsonnieren!
Wie mich doch stets der Hafer sticht,
mich in Sentenzen zu verlieren.
Mach Lyrik, Mann, kein Lehrgedicht!

Lass lyrisch wenigstens noch enden,
was so gedankenvoll begann:
Streu unbesehn mit vollen Händen
noch Verse, die der Bauch ersann!

Just steigt der Mond aus Himmelstiefen,
von Licht erfüllt das ganze Rund,
wie einer, den Schamanen riefen
beschwörend mit geweihtem Mund.

Vom unt’ren Rand indes der Scheibe
kriecht schwärzlich was wie Rauch empor,
dass es den schönen Glanz vertreibe,
und schiebt sich schließlich ganz davor.

Ach, Himmelsfreund, die dunklen Schwaden
verdarben dir den Lichteffekt –
wie soll die Nacht im Vollmond baden,
wenn kläglich er in Wolken steckt?

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